Wenn es in einer Familie mehr als eine Handvoll Brüder gibt, dann rührt sich was. Wie aber wird es erst sein, wenn sich „33 Brüder“ treffen? In neun Pfarreien des Bistums Passau ist das der Fall. Nein, um Brüder im herkömmlichen Sinn handelt es sich dabei nicht. Und dennoch hat das Ganze etwas Familiäres. Zweck der Bruderschaften der „33 Brüder“ ist die Zuwendung von Gebet und Messe an verstorbene Mitglieder sowie deren Begleitung bei der Beerdigung. Im Mittelpunkt steht nicht das Getriebe der Welt, sondern die zutiefst religiöse Sorge um die Toten, um deren Geleit ins Jenseits. Dr. Herbert Wurster, früherer Archivdirektor des Bistums Passau, hat den Stellenwert der 33 Brüder herausgearbeitet: „Es handelt sich um eine äußerst seltene Art von Bruderschaften, die in Bayern außerhalb des Bistums Passau nicht nachgewiesen werden kann. Innerhalb des Bistums ist sie auf den Bayerischen Wald beschränkt, und zwar mehr auf den Bereich des Unteren Waldes.“ Eine Nachfrage der Redaktion ergab, dass in der Diözese Passau noch neun solcher Bruderschaften bestehen: Schönberg, Innernzell, Hohenau, Untergriesbach, Gottsdorf, Obernzell, Kirchberg im Wald, Oberkreuzberg und Rinchnach.
Was es mit der Zahl 33 auf sich hat? Die Bruderschaft umfasst nicht mehr als 33 männliche Mitglieder; die Zahl symbolisiert die Lebensjahre Christi. Pfarrer Michael Bauer (Schönberg) zitiert aus den Statuten im Sprachstil der damaligen Zeit, in denen von „drei und dreißig Mitgliedern der brüderlichen Liebe männlichen Geschlechts zu Ehren der 33 Jahre Christi unseres im Fleische herumgewanderten Welterlösers“ die Rede ist. Der Oberbegriff „33 Brüder“ gilt für alle, unterschiedlich sind die Bezeichnungen vor Ort. So tragen die Schönberger den Namen „Lieb- und Lehrbruderschaft“, die Untergriesbacher nennen sich „Salvatorbruderschaft“.
War das nur eine Männersache? Ja und Nein! In Wegscheid wie auch in Obernzell waren einstmals auch 33 Schwestern Angehörige der Bruderschaft.
Es geht um die Liebe zu Gott und den Menschen
Der Passauer Bischof Franz Xaver Eder (1925−2013) ordnete das Wirken der 33 Brüder so ein: Wo immer sie um ein offenes Grab stünden und so den Verstorbenen wie seine Angehörigen in ihre Mitte nähmen, sei das ein Zeichen der Hoffnung und zugleich Trost. In der so aufgeklärten Zeit habe man ihr Anliegen nicht immer verstanden. Über den brüderlichen Dienst hinaus gehe es um den gelebten Glauben, um die Liebe zu Gott und den Menschen. „Das sind Ideale, die in treuer Zuverlässigkeit gelebt sein wollen“, so Franz Xaver Eder.
Über die Geburtsstunde der 33 Brüder schreibt Historiker Wurster: „Im Bistum Passau kann man davon sprechen, dass die barocke Blüte des katholischen Lebens ab etwa dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts begann. Gemäß katholischer Auffassung war vor allem das religiöse Gemeinschaftsleben zu stärken und zwar durch die Gründung einer großen Zahl an Bruderschaften.“ Und noch etwas schrieben sich die Brüder, vornehmlich Bauern, auf die Fahne: Sie schworen, im Falle des eigenen Todes oder eines ihrer Angehörigen auf dem Hof, füreinander einzustehen.
Nach derzeitigem Forschungsstand ist davon auszugehen, dass die 33 Brüder von Schönberg – was die Zeit der Gründung angeht – im Bistum Passau die Nase vorn haben. Rupert Köckeis, einer der 33 Brüder von Schönberg, legt sich nach akribischer Suche und intensivem Studium des Quellenmaterials fest, „dass eine Gründung der Bruderschaft um das Jahr 1670 erfolgt ist“.
Wie es mit den Aufnahmebedingungen ausschaut, erklärt der Schönberger Zechpropst – so die offizielle Bezeichnung des Leiters – Peter Pleintinger: „Grundsätzlich muss der Mann katholischen Glaubens sein, der Pfarrgemeinde Schönberg angehören und einen guten Leumund haben.“ Pleintinger hat nicht nur eine religiös-spirituelle Nähe zur Kirche, auch geographisch liegt er ihr sehr nahe. Direkt neben der Pfarrkirche hat er seine Apotheke, die übrigens den gleichen Namen trägt: Margareta.
„Der Ernst des Lebens muss Spaß machen!“
Die Mitgliedschaft ist in der Regel an das jeweilige Haus gebunden; sie wird nach dem Tod eines Bruders an den Sohn vererbt. Falls kein männlicher Nachkomme da ist, kann man zu Lebzeiten den Vorschlag für die Nachfolge machen, etwa einen Schwiegersohn. Wenn auch das nicht klappen sollte, wird ein geeigneter Kandidat ernannt. Mancherorts ist es schwierig, die Zahl der Brüder bei exakt 33 halten zu können. Nicht so in Schönberg. Der Zechpropst: „Es ist schon vorgekommen, dass manch einer 20 Jahre lang gewartet hat, um in der Lieb- und Lehrbruderschaft aufgenommen zu werden.“
Seit dem Jahr 1740 – und das in ununterbrochener Reihenfolge – gehört ein Mitglied seiner Familie zu den 33 Brüdern. Und mit dem Selbstbewusstsein eines gestandenen Niederbayern erklärt Peter Pleintinger die Attraktivität der Bruderschaft so: „Wir sind exklusiv, so etwas wie der Lions Club.“ Dabei handelt es sich um eine weltweite Vereinigung freier Menschen, die in freundschaftlicher Verbundenheit bereit sind, sich den gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit zu stellen und uneigennützig an ihrer Lösung mitzuwirken. Für die Schönberger Bruderschaft bedeutet das auch: das Missionskreuz renovieren zu lassen oder für das Johanneskirchlein barocke Leuchter zu stiften, und, und…
Bleibt noch die eingangs gestellte Frage zu beantworten, wie das ist, wenn sich 33 Brüder treffen? Zechpropst Peter Pleintinger: „Im Fall des Todes eines Bruders findet ein Gottesdienst statt. Der Tote erhält von seinen Mitbrüdern 32 Messen gelesen, mit der Fahne begleitet die Bruderschaft dessen letzten Weg. Einmal im Jahr findet unser Jahrtag statt, am Samstag nach dem Buß- und Bettag. Hier wird die Totenmesse gehalten, alle Namen der Verstorbenen seit 1945 werden vorgelesen. Danach geht es ins Wirtshaus. Es gibt immer Weißwürste, Leberknödelsuppe und Schweinsbraten. Am Jahrtag findet auch die Aufnahme eines Neubruders statt. Als Einstand muss er ein Fass Bier zahlen.“
Also nicht immer eine todernste Angelegenheit? Zechpropst Peter Pleintinger: „Der Ernst des Lebens muss Spaß machen!“
Warum die 33 Brüder überlebt haben
Dr. Herbert Wurster, früherer Archivdirektor im Bistum Passau, über die Gründe für das große „Bruderschaftssterben“:
Die Bruderschaften der 33 Brüder haben den historischen Erosionsprozess sehr gut überdauert, denn etwa zwei Drittel aller Gründungen gibt es noch heute. Damit unterscheiden sich die Bruderschaften der 33 Brüder erheblich von anderen Bruderschaften: Es gehört zwar zu den normalen Entwicklungsprozessen religiösen Lebens in der Neuzeit, dass Laien-Vereinigungen entstehen und verschwinden bzw. zum Verschwinden gebracht oder gezwungen werden, aber die Bruderschaften aller Art haben dramatische Einbrüche erlebt, weil ihre spezifischen Formen der Religiosität dem Aufbruchsgeist nach dem II. Vatikanischen Konzil in besonderem Maße zum Opfer gefallen sind. Dem damaligen Neuerungsbestreben konnten die zum Teil mehrere Jahrhunderte alten religiösen Lebensformen und Gebräuche der Bruderschaften nicht mehr vermittelt werden. Dies war nicht die Absicht des Konzils, aber eine seiner Wirkungen. Das Konzil wollte erneuern, bereichern, das Wichtige, nämlich die Messe, herausstellen – dies ist nur zu oft missverstanden worden als Aufforderung zur Zerstörung des Alten. Voraussetzungen für das große Bruderschaftssterben, dem aber die Bruderschaften der 33 Brüder kaum erlegen sind.