Seit einigen Jahren gibt es vor allem in der Fastenzeit und im Advent im Bistum Passau Abende der Barmherzigkeit. Warum diese Abende wertvoll sind und eine wunderbare Gelegenheit bieten, dem hektischen Alltag zu entfliehen, erklären Pfarrer Thomas Steinberger und Sieglinde Weiherer im Interview.
Herr Pfarrer Steinberger, was meint „Barmherzigkeit“?
Pfarrer Thomas Steinberger: Barmherzigkeit meint einen wichtigen Aspekt der Liebe Gottes. Gott ist die Liebe. Und eine wichtige Wesenseigenschaft ist die Barmherzigkeit. Gott hat Erbarmen mit allen, die sich ihm zuwenden. Auch Menschen können diese Eigenschaft Gottes erlernen oder annehmen und barmherzig sein. Im Kern ist Barmherzigkeit die ständige Bereitschaft zu vergeben.
Wie kann die Barmherzigkeit Gottes heute erfahren werden?
Pfarrer Thomas Steinberger: In Gesten und Taten der Barmherzigkeit. Die Menschen sollten erkennen können an uns Gläubigen, dass wir einen besonderen Blick auf alle haben und echte Not sehen. Davon sprechen ja auch die Werke der Barmherzigkeit (Mt 25,34−46). Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten. Dazu kommen die geistigen Werke der Barmherzigkeit: Unwissende lehren, Zweifelnde beraten, Trauernde trösten, Sünder zurechtweisen, Beleidigern gern verzeihen, Lästige geduldig ertragen, Für Lebende und Verstorbene beten. Alles gute Werke, die wir beherzigen und praktizieren sollten. Alles mündet aber im großen Sakrament der Barmherzigkeit, in der heiligen Beichte. Wir erleben in der Beichte, in der Vergebung Gottes die innere Aufforderung und Ermutigung, anderen zu vergeben, auf andere zuzugehen und Gutes zu tun. Darin liegt die Botschaft für unsere Zeit, um die Barmherzigkeit Gottes zu erfahren.
Papst Franziskus sagt „Wir gehen nicht zur Beichte, um uns zu erniedrigen, sondern um uns aufrichten zu lassen.“ Trotzdem ist die Beichte heute vielerorts ein fast vergessenes Sakrament. Wie kann dieses Geschenk heute neu zugänglich gemacht werden?
Pfarrer Thomas Steinberger: Das steckt schon in den Worten des Heiligen Vaters. Die Botschaft, dass wir „aufgerichtet“ werden. Also die positive Sicht auf die hl. Beichte. Sündenvergebung ist nicht etwas Schlechtes, das einen straft, sondern etwas Gutes, das einen aufbaut und stärkt. Es schenkt wieder neues Licht auf dem Weg mit Gott und mit dem Menschen. Das Reden darüber ist etwas ganz Wichtiges. Und das kann nur der, der es selbst praktiziert, der selbst die Vergebung und Barmherzigkeit Gottes immer wieder neu erfährt und annimmt. Nur Pfarrer, die selber beichten, werden dieses Sakrament großzügig anbieten. Dazu gehört die Verkündigung. Also immer wieder etwas darüber in der Predigt sagen. Und es im Schulunterricht so positiv wie möglich den Kindern ans Herz legen. Das sind unsere Möglichkeiten. Am Besten kann jemand dazu motiviert werden, wenn er andere erlebt, die auch beichten. Deshalb sind die Abende der Barmherzigkeit eine gute Sache. Wir haben in Mehring einen neuen Beichtstuhl. Ein Zimmer, modern und hell, das bald fertig wird. Wieder ein Anlass, darüber zu sprechen und es vermehrt anzubieten. Mal schauen, was geschieht.
Frau Weiherer, Sie organisieren seit Jahren „Abende der Barmherzigkeit“. Was ist Ihre persönliche Erfahrung mit der Beichte?
Sieglinde Weiherer: Bei mir gibt es ein Leben VOR und ein Leben NACH einer lebenswendenen Beichterfahrung. In einer meiner dunkelsten Stunden bekam ich im Jahr 2007 während der Gründonnerstagsliturgie ein tiefes Verlangen nach der Beichte. Ich war katholisch aufgewachsen, hatte mich aber über viele Jahre hinweg weit von Gott entfernt, ohne mir dessen bewusst zu sein. In dieser ersten Beichte nach vielen Jahren kehrte ich wieder zurück zu ihm und er nahm mich ohne Zögern und ohne Bedingungen fest in seine liebenden und barmherzigen Arme.
Warum sind Gebetsabende wie der „Abend der Barmherzigkeit“ Ihnen so wichtig, dass Sie sich seit Jahren dafür einbringen?
Sieglinde Weiherer: Nun, eine logische Konsequenz aus meiner oben geschilderten Erfahrung ist, dass ich mir wünsche und mich danach sehne, dass möglichst viele Menschen die Chance bekommen, eine ähnliche Erfahrung zu machen. Leider ist es in unseren „Breitengraden“ so, dass eine Begegnung mit Gott in der Anbetung oder im Sakrament der Versöhnung de facto fast abgeschafft ist, für moderne Menschen als unnötig belächelt wird, nicht bekannt ist oder gerade die Beichte – vielleicht auch aufgrund früherer schlechter Beichterfahrungen – Angst, Beklommenheit oder Unverständnis hervorruft. Ein „Abend der Barmherzigkeit“ kann durch das offene Angebot und die angenehme Atmosphäre die Hemmschwelle senken, einen Weg mit Gott einzuschlagen.
Was darf man erwarten, wenn man zu einem solchen Abend im Advent kommt?
Sieglinde Weiherer: Zunächst einmal findet man eine besondere Atmosphäre vor, die Kirche ist in farbiges Licht getaucht, es gibt viele Kerzen und Lobpreismusik. Es gibt einen Impulsvortrag, danach hat jeder die Möglichkeit, sich sein Angebot auszusuchen: Man kann in der Bank sitzen bleiben, man kann aber auch nach vorne gehen zum Allerheiligsten, ein Anliegen aufschreiben und in eine geschlossene Gebetsbox stecken, eine Kerze bringen, Bibelstellen ziehen. Plastischer wird dieses persönliche Wort noch, wenn man den Gebetsdienst aufsucht und für sich in einem Anliegen beten lässt. Dies kann auch bei Bedarf zu einer Beichte hinführen. Natürlich kann man auch eine Aussprache mit dem Priester suchen und das Sakrament der Versöhnung empfangen. Am Ende erhalten die Besucher noch den eucharistischen Segen. Auf jeden Fall darf man gespannt sein, wie Gott einen überraschen und beschenken möchte.
Interview: Katharina Hauser
Die Abende der Barmherzigkeit im Advent
- Di, 5. Dezember, um 19 Uhr, St. Peter und Paul, Aicha vorm Wald.
- Fr, 8. Dezember, um 18 Uhr, St. Brigida, Preying.
- Sa, 9. Dezember, um 18 Uhr, St. Anna, Neuschönau.
- Do, 14. Dezember, um 19 Uhr, St. Georg, Winzer.
- Sa, 16. Dezember, um 18 Uhr, Maria Himmelfahrt, Grafenau.
- Di, 19. Dezember, um 19 Uhr, St. Petrus und Paulus, Neßlbach.
- Do, 21. Dezember, um 19 Uhr, St. Martin, Reischach.