Vor nicht allzu langer Zeit konnte es noch passieren, dass ein Hans, Franz, Karl oder auch ein Toni neugierig, bisweilen auch mit einem Augenzwinkern, gefragt wurde, was er denn nun für einer sei. Außerhalb Altbayerns, in nicht katholischen Gefilden, mag solch ein Ansinnen für Irritation sorgen – im Land zwischen Donau, Inn und Salzach hatte man für solche Zwecke jedoch sofort die richtige Antwort parat, die da heißt: Winterhansi, Sommerhansl, Franz Xaver, Franz Seraph, Assisifranzl, Karl Borromäus und Karl der Große. Charmant wurde es nur bei den Tonerln, denn da hatte der betroffene Namensträger nur die Wahl zwischen dem rustikalen „Facketoni“ oder dem leichtlebig wirkenden „Schlamplerltoni“ – beides also Antone mit populären Spitznamen von eher fragwürdiger Zuschreibung. Dass der eine, der aus Italien, heute der bekanntere Heilige ist als der aus Ägypten, das ist eine ganz eigene Geschichte. Sie hat vielleicht mehr mit veränderten Zeitläuften in der Ökologie und Ökonomie als mit Theologie zu tun.
Der bis heute anhaltenden Popularität des Vornamens Anton ist es wohl zu verdanken, dass auch volkskundliche Überlieferungen über den „großen“ Einsiedler und Mönchsvater aus Ägypten erhalten blieben, jedenfalls in Altbayern, wenn gleich sich ihr Inhalt und ihre Herkunft uns nicht mehr gleich erschließen. Kapellen und Kirchen mit seinem Patronat gibt es eher in Schwaben und Franken als im bayerischen Kernland. Darstellungen des heiligen Antonius Eremita finden sich mit seinen für ihn typischen Attributen Schwein, Glöckchen und dem T‑förmigen, an das griechische Tau, erinnernden Kreuzstab, doch oftmals wird das Schwein auch als Hund interpretiert, und so wird aus dem in der Frühzeit des Christentums bereits bedeutenden Antonius Abba flugs der Superstar des Mittelalters, der heilige Rochus. Am bekanntesten dürften bis in unsere Gegenwart die sogenannten Bauernregeln um den Wintertonitag sein, denn, „wenn zu Antoni die Luft ist klar, gibt‘s ein trockenes Jahr“ und „große Kält‘ am Antonitag, große Hitz‘ am Lorenzitag“ beschreiben ein tatsächlich wissenschaftlich dokumentiertes Wetterphänomen. Trockener und klarer Winterluft, die gerne Mitte Januar das Hochdruckwetter beherrscht, folgt auffallend oft ein zu trocknes Jahr mit einem brütend heißen Sommer. Anders als etwa zum Sebastianitag oder zu Mariä Lichtmess sind volkskundliche Verslein über die Zunahme des Tageslichts um Antoni weniger zahlreich, inhaltlich dafür umso kecker, beziehen sie sich auf die Bedeutung des Heiligen als Vater des christlichen Mönchtums, denn „um Antonius nehmen die Täg zu um eine kleine Mönchesruh‘“.
2.214.600 Schweine wurden 2022 in bayerischen Betrieben gehalten. Das weißblaue Bundesland gilt als das Paradies des Borstenviehs schlechthin, wenngleich an Weser, Ems, Elbe, Rhein und Ruhr statistisch gesehen mehr Sauen, Eber und Ferkel in den Ställen stehen. Es sind sicher nicht die kulinarischen Genüsse wie Schäufele, Sulz und Kesselfleisch oder die schweinernen Legenden bayerischer Metzgerskunst wie Presssack und Schwarzgeräuchertem, die die Bayern bevorzugt Schweinepatrone wie St. Leonhard, St. Wendelin und vor allem St. Antonius verehren ließen, von dem es der Legende nach hieß, dass die Jungfrau Maria ihm bei seiner Ankunft im Himmel erlaubt habe, ein Schwein mitzunehmen, dass ihn überall hinbegleitet habe. Vielmehr mag für die Beliebtheit des heiligen Antonius Eremita auch die römische Vergangenheit Altbayerns eine Rolle gespielt haben, gehörten Schweine bis weit ins 4. nachchristliche Jahrhundert im damaligen Rätien und Noricum immer noch zu den bevorzugten Opfertieren. Sie versprachen dem, der sie zum Altar brachte, Fruchtbarkeit und Wohlstand. Tatsächlich gibt es in Österreich heute noch Regionen, an denen während der Messe am Antonitag schweinerne Würste, Schinken und Speckranken auf einer Stange hoch über dem Altar hängen.
Bis in die Barockzeit hinein war es üblich gewesen, am 17. Januar zu Antoniuskirchen zu wallfahrten, um in der Messe Schweineschmalz, Schweinsköpfe, Haxen und Ohren, ja ganze Spanferkel als Gaben darzubringen.
In die kultische Verehrung der Sau schwang über viele Jahrhunderte stets etwas archaisch Dunkles mithinein, glaubte man doch, dass, in ein in dreckiger Erde wühlendes Schwein, auch böse Geister und Krankheiten gebannt werden konnten. Antonius, den immer wieder Dämonen heimsuchten, um ihn von seinem Leben in mönchischer Askese abzubringen, war wohl für diese frühen Vorstellungen von Infektiologie und Immunologie die ideale Identifikationsfigur. Und so konnte es fast nicht ausbleiben, dass er im frühen Mittelalter als seine Verehrung einsetzte, bei Pest und ansteckenden Krankheiten angerufen wurde.
Schier grenzenlos wurde die Popularität Antonius des Großen, als ein junger Mann aus französischem Adel nach dem Besuch des Antoniusgrabes von seiner unheilbaren Vergiftung mit Mutterkorn geheilt worden war. Fortan trug die Krankheit den Namen „Antoniusfeuer“ – heute noch nennt man den Rotlauf im Anfangsstadium bei Schweinen so. Der Mutterkornbrand hatte Mensch und Schwein in ganz Europa in seiner Gewalt, dazu kamen die Pest und regelmäßige Choleraepidemien. 1095 wurde deshalb der Pflegeorden der Antoniter gegründet. Innerhalb nur weniger Jahre eröffneten Hunderte von Antoniushäusern, in denen am Antoniusfeuer erkrankte gepflegt und medizinisch versorgt wurden. Ihnen verabreichte man zur Heilung Antoniuswein und das gleichnamige Wasser. Bis heute hat sich der Brauch gehalten, am 17. Januar Antoniuswasser zu segnen und damit die Haustiere zu tränken. Besonders lindernd war der Antoniusbalsam, dessen Rezeptur man auf dem berühmten Isenheimer Altar im ehemaligen Antoniterkloster entdecken kann. Das Tafelbild von St. Antons Besuch beim Eremiten Paulus zeigt 14 mittlerweile identifizierte Heilpflanzen, die für Tinkturen und Salben zur Behandlung des Antoniusfeuers verwendet wurden. Zum Unterhalt der Hospitäler und Klöster erlaubte man den Antonitern außerdem, ihr Borstenvieh öffentlich auf Straßen und Plätzen weiden zu lassen, denn für die in Anspruch genommenen Dienste hatten die Gesundeten ihre Krankenpfleger mit Muttersauen und Ferkeln entlohnt, den sogenannten Antoniusschweinen, in München liebevoll als Rennsäue tituliert.
Sie trugen das sogenannte Tau als Brandzeichen und ein bis zwei Glöckchen an den Ohren, um vor Ansteckung zu warnen; am Antoniustag mussten sie ihr Leben lassen – der 17. Januar ist auch heute noch der erste große Schweineschlachttag im neuen Jahr.
Das Antoniusfeuer, die Antoniter, die Rennsäue – sie alle sind seit Jahrhunderten Vergangenheit. Geblieben ist ein Heiliger, der vom intellektuellen Gelehrten und Gründer des christlichen Mönchtums zum Schutzpatron des Schweins, der Metzger, der Saubauern und der Haustiere wurde – in Altbayern liebevoll bekannt als „Facketoni“.
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank