Im Zimmer Nr. 3 im Niederalteicher St. Ursula-Hospiz ist ein munteres Gespräch im Gang. Schwester Maria und Schwester Elisabeth sitzen am Bett einer Patientin, die erst letzten September die Diagnose einer unheilbaren Krankheit bekommen hat. Im St. Ursula-Hospiz verbringt sie nun die letzte Wegstrecke ihres Lebens. Seit Eröffnung der Einrichtung vor dreieinhalb Jahren hat das Pflegepersonal hier 407 Patienten – die im Hospiz Gäste genannt werden – betreut und begleitet bis zum Tod. Wenn schwere Krankheit, Tod und Sterben zum Berufsalltag gehören – was macht das mit den Schwestern? „Mich haben die dreieinhalb Jahre im Hospiz schon verändert. Das Leben wird intensiver und bewusster“, stellt Elisabeth Handlos bei einem Gespräch im Schwestern-Aufenthalts- und Pausenraum fest. Die 31-jährige Altenpflegerin aus Kirchberg im Wald hat vor ihrer Zeit im Hospiz im stationären Altenpflegeheim, im ambulanten Pflegedienst und in einer Reha-Klinik gearbeitet. „Da hat man auch immer versucht, das Beste zu geben, aber das hat nicht gereicht“, bedauert sie. „Für mich war es einfach nicht befriedigend, wenn ich 15 Leute waschen musste und wenn dann vielleicht jemand gefragt hat, ob ich noch 15 Minuten am Bett sitzen bleiben kann, musste ich sagen, es tut mir leid, ich muss jetzt weiter. Ich habe das ‚Schadensbegrenzung‘ genannt.“ Elisabeth Handlos weiter: „Das ist der Unterschied zu früher, dass ich jetzt befriedigt von der Arbeit raus gehe. Wir haben hier wesentlich mehr Zeit. Ich kann den Menschen wirklich Gutes tun in ihrer letzten Phase und sie bis zum Schluss begleiten. Hier im Hospiz ist es oft ein schönes Sterben, in Ruhe, begleitet, symptomfrei.“
Natürlich seien da auch Fälle, die ihr nahe gehen. „Aber mich belastet nicht das Sterben an sich, sondern die Schicksalsschläge, die dahinter stehen, wenn bei jüngeren Patienten vielleicht noch Kinder zurück bleiben. Das berührt mich dann schon stark.“ Mit nach Hause nimmt die 31-Jährige diese Probleme dennoch nicht, denn da ist dann gleich „Rambazamba“ mit den zwei eigenen kleinen Kindern. „Und dadurch, dass ich viel Sport mache – von Wandern und Tourenskigehen bis zum Fußballspielen in der Damen-Mannschaft von Kirchberg in der Bezirksoberliga – habe ich auch einen guten Ausgleich. Das nimmt viel Druck weg und macht den Kopf frei!“ In Erinnerung bleiben Elisabeth Handlos vor allem Glücksmomente, wenn Patienten zum Beispiel sagen: „Ihr habt‘s mir nochmal wahnsinnig schöne Wochen oder Monate geschenkt!“
Von solchen unvergesslichen Momenten im Hospiz kann auch Maria Eginger berichten: „Wenn sich eine Patientin, die einen großen Garten hatte, so besonders freut, weil man ihr ein Lavendelsträußerl ans Bett bringt, an dem sie riechen kann. Die Leute sind so dankbar für die Zeit, die Zuwendung und die Aufmerksamkeit.“ Die 62-jährige Krankenschwester steht seit 45 Jahren im Berufsleben und hat schon viele Stationen durchlaufen – zum Beispiel in der Neurologie, in der Onkologie, in der Notaufnahme, sie hat ihre Eltern gepflegt und war im ambulanten Pflegedienst, als ihre Kinder klein waren. Die examinierte Pflegefachkraft aus Grattersdorf zieht Bilanz: „Egal wo ich war, man hat die Leute zwar gut versorgt, aber für mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit hat die Zeit halt nie gereicht. Diese Zeit habe ich jetzt, Menschen bis zum Ende wirklich zu begleiten. Wir haben hier einen ganz anderen Personalschlüssel. Eine Schwester ist im Hospiz für drei oder vier Patienten da.“ Zum Sterben hat sie eine ganz natürliche Einstellung: „Man begleitet die Menschen ja auf ihrem Leidensweg bis zum Ende und dann ist das oft einfach eine Erlösung, wenn sie in Ruhe einschlafen können, ohne Schmerzen. Man fühlt natürlich mit, aber man leidet nicht mit. Man braucht ein bisschen Distanz als Selbstschutz.“
Nahe gehen ihr vor allem Familien-Geschichten, die sich manchmal im Hintergrund abspielen: „Wenn sich die Angehörigen untereinander bekämpfen, ja bekriegen, ist das ganz schlimm. Ich denk mir dann immer, auf diesem letzten Weg kann man sich doch irgendwie einigen. Der Sterbende soll ja in Frieden gehen können. Aber das ist dann nicht möglich.“
Heimgehen und abschalten – geht das auf Knopfdruck? „In der Regel kann ich das ganz gut“, meint die 62-jährige Krankenschwester. „Ich gehe dann zu Hause in meinen Garten, habe ein paar Hühner und Katzen zu versorgen.“
„Jeder steckt das anders weg“, erklärt Irene Basmer. Sie ist als Pflegedienstleiterin für das Team von 21 Pflegefachkräften im Hospiz verantwortlich. „Aber dass das Sterben mit jedem, der hier arbeitet, etwas macht, ist ganz klar. Bei uns wird auch mal geweint.“ Ganz wichtig findet Irene Basmer neben dem Austausch im Pflegeteam auch die regelmäßigen Supervisionen: „Da kann das Team im offenen Gespräch mit einer Theologin vieles aufarbeiten.“
Maria Eginger zieht Bilanz: „Die Arbeit im Hospiz hat mich unheimlich geerdet. Ich brauche vieles nicht mehr, zum Beispiel keine oberflächlichen Beziehungen. Ich weiß, was Gesundheit bedeutet, freue mich auch an Kleinigkeiten. Man ist zufrieden und dankbar!“
Auch bei Elisabeth Handlos haben sich die Prioritäten verschoben: „Finanzielle, materielle Dinge sind nicht mehr so wichtig. Ich brauche keinen 3500 Euro-Urlaub. Es sind die Momente, die zählen. Die Beziehungen, die man hat. Wenn jemand zu mir sagt, das mach ich, wenn ich in Rente bin, dann sage ich, mach es lieber gleich, denn man weiß nie, was in 5 oder 15 Jahren ist!“ Und sensibler sei sie geworden, meint Elisabeth Handlos: „Schicksalsschläge erleben wir hier im Hospiz genug. Bei negativen Schlagzeilen im Radio und Fernsehen schalte ich bewusst ab!“