Die Zeit ist reif für den Gunthersteig – davon ist die passionierte Pilgerwegbegleiterin Helga Grömer fest überzeugt. „Wir müssen nicht zwingend erst mit dem Flugzeug irgendwohin fliegen und dort loslegen, wir haben hier direkt vor unserer Nase wunderbare Wander- und Pilgerwege.“ Einer davon ist ihrer Ansicht nach der Gunthersteig. „Ein regionaler Fernwanderweg, den es lange vor vielen anderen neu erfundenen oder wiederaktivierten Pilgerwegen schon gegeben hat“, so Grömer.
Der Gunthersteig führt von Niederalteich nach Dobrá Voda (Gutwasser) in Südböhmen. Wanderer folgen hier dem einstigen Weg des als Volksheiligen verehrten St. Gunther (um 945 – 1045). Insgesamt werden in vier Tagesetappen fast 90 Kilometer zurückgelegt. Zunächst geht es von Niederalteich nach Lalling, am zweiten Tag dann weiter nach Rinchnach. Am dritten Tag geht es über Zwiesel weiter der tschechischen Grenze entgegen, die am vierten Tag überschritten wird. Endstation ist in Dobrá Voda, dem Sterbeort des Heiligen Gunther. Grömer versichert: „Man muss kein Profi-Pilger sein, um das zu schaffen!“
Vielen Pilgern, die zum ersten Mal auf dem Gunthersteig unterwegs sind, wird es wohl ähnlich gehen: Die eigene Heimat, von der man denkt, sie gut zu kennen, offenbart plötzlich ganz neue Facetten, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Entlang des Weges treffen die Pilger immer wieder auch auf besondere Orte. „Für mich ist einer davon der Guntherfelsen bei Lalling. Da gibt es einen kleiner Abzweig vom Weg, der in ein paar Höhenmeter hinauf zu dem Felsen im Wald führt, der zum Still werden und Schweigen einlädt“, so Grömer. Natürlich sei auch das Ziel Dobrá Voda ein besonderer Ort. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden dort die deutschsprachigen Bewohner vertrieben, später war das Gebiet um Dobrá Voda als Grenzzone für Zivilisten gesperrt, die Kirche wurde im Inneren zerstört. „Wenn man nun hierherkommt und dem nachspürt, was in der Vergangenheit alles passiert ist, zugleich aber sieht, dass die Kirche wunderschön renoviert wurde und wieder Gottesdienste gefeiert werden, ist das sehr berührend“, so Grömer.
Am Gunthersteig fasziniert sie auch der grenzübergreifende Gedanke, mit dem man automatisch verbunden ist, wenn man den Weg geht. „Der Gunthersteig passt sehr gut zur europäischen Idee. Der Heilige Gunther war ja nicht nur ein Mönch, sondern zuvor Reichsgraf und damit politisch gut vernetzt. Auch später als Einsiedler hat er wieder die Rolle des politischen Vermittlers übernommen, damit wichtige Machthaber ins Gespräch kommen. Er war also ein ‚Brückenbauer‘. In diesem Bereich brauchen wir sowieso Vorbilder, die uns daran erinnern, nicht darüber nachzudenken, was uns trennt, sondern was uns zusammenführt“, so Grömer.
Was dem Gunthersteig derzeit noch fehle, sei die Infrastruktur eines Pilgerweges. „Die ist noch ausbaufähig. Zum Beispiel braucht es schlichte Übernachtungsmöglichkeiten.“ Als pilgernder Mensch brauche man kein 3‑Sterne-Hotel. „Man sucht ja auch die Einfachheit. Zum anderen würde es mit der Zeit recht teuer werden. Bislang gibt es entlang des Gunthersteigs einige Gasthäuser und Hotels, aber leider wenige Möglichkeiten, auch dazwischen eine Einkehr zu machen.“ Daran und an weiteren Verbesserungen werde allerdings schon gearbeitet. Erst kürzlich fand in Bayerisch Eisenstein ein Symposion mit Teilnehmern aus Bayern und Tschechien statt, denn das Potential des Gunthersteigs wurde mittlerweile auch von Touristikern erkannt. Der Gunthersteig soll offiziell von einem Wander- zu einem Pilgerweg werden. Unter anderem wurde beim Symposion, bei dem auch Helga Grömer einen Vortrag gehalten hatte, gemeinsam überlegt, was der Gunthersteig – neben einer besseren Infrastruktur – braucht, um ein Pilgerweg zu sein. Im Gespräch sei laut Grömer beispielsweise, in den Kirchen Gebetskärtchen auszulegen, um den Pilgern immer wieder geistliche Impulse an die Hand geben zu können. Doch Grömer ist schon jetzt davon überzeugt, dass Menschen, die sich auf den Gunthersteig begeben, tiefe Glaubenserfahrungen machen können. Pilgern habe schließlich auch viel mit der inneren Haltung zu tun. Gerade auch für „Anfänger“ sei der Gunthersteig eine gute Möglichkeit, sich dem Pilgern anzunähern. Dank ihrer langjährigen Erfahrung als Pilgerwegbegleiterin weiß Helga Grömer, warum das Pilgern in den vergangenen Jahren wieder eine Renaissance erlebt. Der „moderne“ Mensch habe ständig das Gefühl, noch etwas erledigen zu müssen und sei ständig unter Druck, mithalten zu müssen. „Viele stellen sich auch zunehmend die Frage: ‚Ist es das jetzt?‘ Es gibt eine Sehnsucht, danach zu fragen, was der Sinn des Lebens ist“, betont Grömer und verweist auf den Heiligen Augustinus, der schon im 5. Jahrhundert sagte: „Im Menschen lebt die Sehnsucht, die ihn hinaustreibt aus dem Einerlei des Alltags und der Enge seiner gewohnten Umgebung.“ Beim Pilgern kann es gelingen, nicht nur neue Wege zu beschreiten, sondern auch den Weg zu sich selbst und zu Gott neu zu finden. „Im Gehen, vor allem auch in der Gruppe, wenn man die Gemeinschaftserfahrung erlebt, die ja auch urchristlich ist, findet man Antworten“, so Grömer.
Text: Mareen Maier
Fotos: Helga Grömer