488 Kilometer zu mir selbst

Redaktion am 09.02.2022

S32 olav Titel PB Hans Schmöller
Einmal quer durch Norwegen zum Grab des Heiligen Olav – diese wenig bekannte Pilgerroute hat Hans Schmöller für sich gewählt. Allein. Er kam an Orte, wo sich die Zeit scheinbar ausdehnt und die Grenze zwischen Himmel und Erde durchlässiger ist. Und ihm wurde einmal mehr klar, wie wichtig ihm sein Glück daheim in der Familie ist.

Einmal quer durch Norwegen zum Grab des Heiligen Olav – diese wenig bekannte Pilgerroute hat Hans Schmöller für sich gewählt. Allein. Er kam an Orte, wo sich die Zeit scheinbar ausdehnt und die Grenze zwischen Himmel und Erde durchlässiger ist. Und ihm wurde einmal mehr klar, wie wichtig ihm sein Glück daheim in der Familie ist.

Jetzt, ein hal­bes Jahr nach mei­ner Pil­ger­rei­se zum Grab des Hei­li­gen Olav in Trond­heim, Nor­we­gen, ist mir bewusst gewor­den, dass die­se Wan­de­rung ein Mei­len­stein in mei­nem Leben ist, die mit mir, mit mei­nem Lebens­lauf, untrenn­bar ver­bun­den blei­ben wird. Und die ein­fach sein hat müs­sen“. Ich woll­te Pil­gern, mal neben der Spur“ lau­fen. Der Olavs­weg, der quer durch Nor­we­gen von Oslo nach Trond­heim führt, erschien mir dafür ide­al: weni­ger über­lau­fen als der Jakobs­weg, viel grü­ne Natur, alte Kul­tur­land­schaft. Der größ­te Teil des Weges ver­läuft im Gud­brand­sons-Tal, dann über das Gebir­ge zur Nordsee-Küste. 

Die Inter­net­sei­te Pile­grims­le­den, auf die ich ein Jahr zuvor gesto­ßen war, begeis­tert wohl jeden. Sie zieht dich hin­ein und gibt dir mit der inter­ak­ti­ven Kar­te und den vie­len Bil­dern das Gefühl, dass du prak­tisch schon auf dem Weg bist. Es hat dann schon eine Zeit­lang gedau­ert, bis aus dem Gedan­ken ein Wunsch und dann auch der kon­kre­te Ent­schluss gewor­den ist. 

Ich woll­te eigent­lich nicht allei­ne gehen, habe aber kei­nen Beglei­ter gefun­den. Damit war ich zwar unab­hän­gig, aber mei­ne Frau mach­te sich noch mehr Sor­gen beim Gedan­ken, dass ich allei­ne und ein­sam drei­ein­halb Wochen durch die unbe­kann­te nor­we­gi­sche Wild­nis stap­fen würde.

Aller­dings bin ich schwer von einem ein­mal gefass­ten Ent­schluss abzu­brin­gen. Und so leg­te ich dann zu Jah­res­be­ginn den Zeit­raum vom 15. Juli bis 7. August 2021 fest, prüf­te die Quar­tier­mög­lich­kei­ten und ver­kürz­te mit dem Start ab Hamar die Stre­cke nach Trond­heim auf rea­li­sier­ba­re 488 Kilo­me­ter. Dafür nahm ich mir 21 Tage Zeit, also gut 23 km im Schnitt, mit Spit­zen bis zu 36 Tages­ki­lo­me­tern. Von mei­nen mehr als 20 Wall­fahr­ten von Pas­sau nach Alt­öt­ting wuss­te ich, dass ich 45 Kilo­me­ter am Tag schaf­fe, hat­te das dann auch in mei­ner opti­mis­ti­schen Art auf die geplan­te Tour umge­legt und mich gefragt, was ich den Rest des Tages machen sollte …

S32 fokstukapelle PB Hans Schmöller
Der größte Teil des Weges verläuft im Gudbrandsonstal. Kleine Holzkirchen säumen den Weg. An der Fokstukapelle hat der Autor die Erfahrung gemacht, dass dort die Grenze zwischen Himmel und Erde besonders durchlässig ist.

Dann ging‘s los: Flug nach Oslo, wei­ter mit dem Zug nach Hamar. Die ers­ten Kilo­me­ter als Nor­we­gen-Pil­ger bei 26 Grad, vor­bei an gut gefüll­ten Bade­strän­den am Mjösa-See zur Pil­ger­sta­ti­on: Net­te Wor­te (dies­mal gebro­che­nes Deutsch sonst immer Eng­lisch), Kaf­fee, der Pil­ger­aus­weis und der ers­te Stem­pel! War ich stolz und vol­ler Freude!

Wir waren dort drei Pil­ger: Lisa aus Hol­stein schlief im Frau­en-Schlaf­raum mit acht Bet­ten, ich im Män­ner­raum. Und Knut aus Nor­we­gen spann­te sich sei­ne Hän­ge­mat­te zwi­schen zwei Bäu­men auf und muss­te drau­ßen über­nach­ten: Je Zim­mer war nur ein Haus­halt erlaubt. Coro­na hat zwar die Pil­ger-Anzahl gevier­telt, aber durch die Ein­schrän­kun­gen waren Schlaf­plät­ze ver­knappt. Gut, dass ich alle Quar­tie­re schon vor­ge­bucht hatte.

So konn­te es los­ge­hen. 13 Kilo­gramm auf dem Rücken: drei Tro­cken-Mahl­zei­ten, zwei Liter Was­ser und Tages­pro­vi­ant. Wich­tigs­tes Teil war mein Han­dy. Dort gespei­chert waren alle Tages­etap­pen mit Reser­vie­run­gen, die inter­ak­ti­ve Pil­ger­kar­te mit GPS-Track­ing und die Wet­ter­app. Natür­lich war es auch die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ba­sis für mei­ne vie­len Beglei­ter im Geis­te“ für Whats­App-Nach­rich­ten, Bil­der, Grü­ße, Telefonate.

Nach drei Tagen mit jeweils über 30 Kilo­me­tern schwamm“ mein lin­ker klei­ner Zehen­na­gel auf einer mäch­ti­gen Bla­se, war auch nicht die ein­zi­ge. Ich kauf­te mir leich­te Stoff­schu­he, um die kri­ti­schen Stel­len zu entlasten. 

Am sechs­ten Tag kam die Sinn­kri­se: War­um mache ich das alles? Ich wäre viel lie­ber zuhau­se bei mei­ner Fami­lie. Ich sehn­te mich danach, woll­te den Blick durchs Fens­ter in den son­ni­gen Gar­ten genie­ßen, ein­fach sit­zen (was mir sonst furcht­bar schwer fällt!). Die Sinn­kri­se war mit ein paar tol­len Erleb­nis­sen wie­der vor­bei, die Sehn­sucht nach Fami­lie, nach dem, was ich zuhau­se hat­te, blieb. Die Wert­schät­zung mei­ner nor­ma­len“ Lebens­um­stän­de und die Lie­be zu mei­ner Fami­lie und zu mei­ner Frau wuch­sen mit jeder Woche, die ich unter­wegs war.

S32 Gudbrandson Tal PB Fans Schmöller

Unter­wegs traf ich – außer in Ort­schaf­ten – fast nie jeman­den, war also immer allei­ne unter­wegs. Ich tele­fo­nier­te oft, hör­te Pod­casts oder mei­ne Lieb­lings­mu­sik. Auch in gut der Hälf­te der Quar­tie­re war ich allei­ne. Wenn ich mir was koch­te (meist Schin­ken­nu­deln), reich­te das meist für wei­te­re zwei Mahl­zei­ten. Käse und Brot hat­te ich immer auf Vor­rat dabei. Es gab kei­ne Gast­wirt­schaf­ten, fast kei­ne Cafés, wenig Geschäf­te. Und so habe ich eine Erfah­rung neu erlebt: Hun­ger ist der bes­te Koch!“

An den Aben­den war zunächst Fuß­pfle­ge ange­sagt: Bla­sen­ver­sor­gung und Heil­sal­be. Danach Kochen und (Hand-)Wäsche. Für die Zeit danach hat­te ich mir – ganz alt­mo­disch – ein klei­nes Büch­lein mit­ge­nom­men. Mir fällt es leich­ter, Gedan­ken fest zu hal­ten und zu ver­tie­fen, wenn ich sie auf­schrei­be. Und Gedan­ken soll­te ich mir auf die­ser Pil­ger­rei­se vie­le machen: Ich brauch­te kei­nen neu­en Lebens­sinn, dazu bin ich zu geer­det. Auch für mei­nen neu­en Lebens­ab­schnitt als Rent­ner, der sechs Mona­te spä­ter begann, brauch­te ich kei­ne neue Aus­rich­tung. Viel­mehr war mei­ner Frau und mir schon immer bewusst, wie­viel Glück wir in unse­rem Leben hat­ten und haben: Wir sind seit fast 50 Jah­ren zusam­men, waren eine jun­ge Fami­lie, jun­ge Eltern, haben zwei lie­be Kin­der und sind jetzt glück­li­che Oma und Opa. Ich hat­te nur ein mal mei­ne Arbeits­stel­le gewech­selt, war noch nie arbeits­los, noch nie im Kran­ken­haus. Das Bewusst­sein um unser Glück macht uns zufrie­den. Dafür woll­te ich dan­ken, woll­te mir die ent­schei­den­den Weg-Gabe­lun­gen im Leben, an denen wir den rech­ten Weg gewählt haben, ins Gedächt­nis rufen, die dama­li­gen Situa­tio­nen im Rück­blick noch mal bewer­ten. Die­se Weg-Gabe­lun­gen woll­te ich auf­schrei­ben. Es ist aber dann wesent­lich aus­führ­li­cher gewor­den, schon fast ein Rück­blick auf mein bis­he­ri­ges Leben. Aber das hat gut getan!

Nach zehn Tagen an den Hän­gen des Gud­brand­son-Tales mit schon ordent­li­chen Auf- und Abstie­gen ging es jetzt über die ers­ten Ber­ge, über die Baum­gren­ze, wo nur noch Gestrüpp, Moos und Flech­ten die Stei­ne bede­cken. Lei­der hat sich dann auch das Wet­ter deut­lich ver­schlech­tert, es reg­ne­te oft, der Wind blies über die Hoch­ebe­nen, es wur­de kalt. So kalt, dass ich im Hoch­som­mer mein zwei­tes Paar Socken als Hand­schu­he anzie­hen musste.

Nach einer Wei­le mein­te sie: Die Son­ne bewe­ge sich nicht. Sie habe an die­sem Ort immer das Gefühl, like stret­ched time“, als wäre die Zeit gedehnt.”

Aber immer wie­der – und da steigt gera­de jetzt beim Schrei­ben wie­der die­ses ganz tie­fe Gefühl in mir hoch – wenn sich der Hori­zont wei­te­te und ich den wei­te­ren Weg­ver­lauf in der vor mir lie­gen­den wun­der­ba­ren Land­schaft erken­nen konn­te, wuss­te ich: Das ist MEIN WEG – Und war über­glück­lich, ihn gehen zu können.

Zwei tie­fe Erfah­run­gen, kön­nen die­se Erfah­rung viel­leicht ein wenig verdeutlichen: 

Zwei tiefe Erfahrungen, können diese Erfahrung vielleicht ein wenig verdeutlichen:

In Buds­jord, einem uralten Gehöft auf hal­bem Anstieg zum Gebir­ge, saß ich auf der Haus­bank, Blick über das dun­kel wer­den­de Tal zur unter­ge­hen­den Son­ne. Ich zeich­ne­te gera­de die Situa­ti­on auf eine Ansichts­kar­te an mei­nen Sohn. Die jun­ge Wir­tin, Thre­ad­locks, wei­tes Gewand, bar­fuß, saß unweit von mir auf einem Stein und genoss die glei­che Situa­ti­on. Nach einer Wei­le mein­te sie: Die Son­ne bewe­ge sich nicht. Sie habe an die­sem Ort immer das Gefühl, like stret­ched time“, als wäre die Zeit gedehnt.

Eini­ge Tage spä­ter in der alten Post­sta­ti­on, wo die E6 übers Gebir­ge ver­läuft, ergab sich abends nach der Andacht noch eine klei­ne Gesprächs­run­de, zu der ein jun­ger Mann stieß. Er hat­te sich sein neu­es Auto in Trom­sö geholt und sich für die Fahrt nach Oslo, die nor­ma­ler­wei­se in zwei­ein­halb Tagen zu fah­ren ist, 14 Tage Zeit genom­men und bestimm­te Orte, so auch die Kapel­le in die­ser Post­sta­ti­on, auf­ge­sucht. Er ver­dich­te­te im Gespräch den Gedan­ken, dass es Orte gibt, an denen die Gren­ze zwi­schen Erde und Him­mel durch­läs­si­ger sei. Und hier füh­le er das so. Ich konn­te das sehr gut nachempfinden.

S32 ziel PB Hans Schmöller

Gro­ße Pau­se. Die Gedan­ken beru­hi­gen sich. Inne­hal­ten. Ruhe.”

Du bist nur mit dir in die­sem rie­si­gen Raum, wohl­tu­en­de Gerü­che und Kir­chen­mu­sik. Du bist angekommen.

Im Pil­ger­bü­ro hin­ter dem Dom lege ich mei­nen Pil­ger­pass vor, bekom­me die Urkun­de und eine Steck­na­del, die ich auf die gro­ße Welt­kar­te an der Wand auf mei­nen Her­kunfts­ort ste­cken soll­te. Sie erwar­te­ten den 500. Pil­ger die­ses Jahr. Ent­spre­chend war die Kar­te schon bespickt: die meis­ten aus Skan­di­na­vi­en, zwei aus Öster­reich, zwei aus Baden-Würt­tem­berg. Ich konn­te es kaum glau­ben: kei­ner aus dem rest­li­chen Bay­ern, aber in Pas­sau steck­ten schon zwei Stecknadeln! 

Hans Schm­öl­ler

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