Schön ist es nicht, wenn man als Teil einer tickenden Zeitbombe wahrgenommen wird. Aber genau so ist es. Warum? Ich bin Babyboomer. 1966 geboren, gehöre ich zu den geburtenstärksten Jahrgängen, die dieses Land je hervorgebracht hat. Vor 60 Jahren, 1964, war der absolute Höhepunkt: 1,36 Millionen Kinder kamen allein in diesem Jahr in Deutschland zur Welt, doppelt so viel wie jetzt.
Zündapp, Bandsalat im Kassettenrekorder, Rockdisco, autofreie Sonntage, 40 Leute im Klassenzimmer, schwierige Jobsuche, verseuchtes Gemüse nach Tschernobyl fallen mir schnell als kollektive Erfahrungen unserer Kindheit und Jugend ein. Die Soziologie kennt noch ein paar andere Gemeinsamkeiten der Babyboomer-Jahrgänge von 1955 bis 1970: Die Großeltern waren in irgendeiner Form ins NS-System verstrickt, die Eltern noch im Krieg sozialisiert, sie selbst im stetig zunehmenden Wohlstand aufgewachsen – so umschrieb der Soziologe Heinz Bude einige Übereinstimmungen. Die für die Gesellschaft wohl folgenschwerste Gemeinsamkeit: Die Babyboomer gingen oder gehen jetzt in absehbarer Zeit alle in Rente. Und nicht nur Arbeitgeber, Pflege- und Rentenversicherungen fragen sich: Wer soll das bezahlen? Vor allem die Frauen und Männer der jüngeren Generation müssen eigentlich die Hände über den Köpfen zusammenschlagen: Sie müssen mit dem von Menschen gemachten Klimawandel genauso fertig werden wie mit einem eklatanten Personalmangel in allen Bereichen. Zur gleichen Zeit müssen die Jungen über den Generationenvertrag eine noch nie dagewesene Zahl an Ruheständlern versorgen. Wer könnte da nicht nachvollziehen, dass dem ein oder anderen gelegentlich die Lust am Arbeiten vergeht?
Dabei war die Entwicklung absehbar. Wenn etwas gut funktioniert in diesem Land, dann die Erhebung von Statistiken. Die Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung sind nicht im Giftschrank versteckt. Doch die notwendigen Reformen waren allenfalls halbherzig. Kein Wunder: Masse verleiht Macht. Wenn‘s hart auf hart kommt, können die geburtenstarken Jahrgänge an der Wahlurne jede Regierung zum Straucheln bringen.
Haben wir Babyboomer es also selbst vergeigt, wie unlängst das Manager Magazin schrieb? Ganz so hart möchte ich mit mir und meiner Generation nicht ins Gericht gehen: Die meisten von uns mussten mit harter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt umgehen und haben diszipliniert den Wohlstand des Landes vermehrt. Ölkrise und Kalter Krieg lehrten uns, dass nichts sicher ist, der rasende Wandel der Gesellschaft zwang uns eine große Flexibilität auf. Gewappnet mit diesen Erfahrungen müsste es doch möglich sein, dass wir jetzt die Reife haben, uns zurückzunehmen. Dass wir mit Demut und Tatkraft die jungen Generationen unterstützen auf dem Weg in die Zukunft.
Ganz ehrlich: Ich möchte ungern als tickende Zeitbombe oder Mitglied eines schwarzen Blocks der Besitzstandswahrung in den Herbst des Lebens gehen. Dann schon lieber als runzliger Baum, der hie und da noch die ein oder andere gute Frucht hervorbringt.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur