Die Macht der Babyboomer

Redaktion am 15.01.2024

Rudy Anderson auf Pixabay baby boomer 442252 1920 Foto: Rudy Anderson auf Pixabay
Babyboomer.

Vor 60 Jahren, 1964, war der Höhepunkt der Babyboomer. Zu dieser gehört auch der Autor unseres aktuellen Editorials (Ausgabe 4-2024). Er macht sich Gedanken über seine (Mit-)Verantwortung.

Schön ist es nicht, wenn man als Teil einer ticken­den Zeit­bom­be wahr­ge­nom­men wird. Aber genau so ist es. War­um? Ich bin Baby­boo­mer. 1966 gebo­ren, gehö­re ich zu den gebur­ten­stärks­ten Jahr­gän­gen, die die­ses Land je her­vor­ge­bracht hat. Vor 60 Jah­ren, 1964, war der abso­lu­te Höhe­punkt: 1,36 Mil­lio­nen Kin­der kamen allein in die­sem Jahr in Deutsch­land zur Welt, dop­pelt so viel wie jetzt.

Zünd­app, Band­sa­lat im Kas­set­ten­re­kor­der, Rock­dis­co, auto­freie Sonn­ta­ge, 40 Leu­te im Klas­sen­zim­mer, schwie­ri­ge Job­su­che, ver­seuch­tes Gemü­se nach Tscher­no­byl fal­len mir schnell als kol­lek­ti­ve Erfah­run­gen unse­rer Kind­heit und Jugend ein. Die Sozio­lo­gie kennt noch ein paar ande­re Gemein­sam­kei­ten der Baby­boo­mer-Jahr­gän­ge von 1955 bis 1970: Die Groß­el­tern waren in irgend­ei­ner Form ins NS-Sys­tem ver­strickt, die Eltern noch im Krieg sozia­li­siert, sie selbst im ste­tig zuneh­men­den Wohl­stand auf­ge­wach­sen – so umschrieb der Sozio­lo­ge Heinz Bude eini­ge Über­ein­stim­mun­gen. Die für die Gesell­schaft wohl fol­gen­schwers­te Gemein­sam­keit: Die Baby­boo­mer gin­gen oder gehen jetzt in abseh­ba­rer Zeit alle in Ren­te. Und nicht nur Arbeit­ge­ber, Pfle­ge- und Ren­ten­ver­si­che­run­gen fra­gen sich: Wer soll das bezah­len? Vor allem die Frau­en und Män­ner der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on müs­sen eigent­lich die Hän­de über den Köp­fen zusam­men­schla­gen: Sie müs­sen mit dem von Men­schen gemach­ten Kli­ma­wan­del genau­so fer­tig wer­den wie mit einem ekla­tan­ten Per­so­nal­man­gel in allen Berei­chen. Zur glei­chen Zeit müs­sen die Jun­gen über den Gene­ra­tio­nen­ver­trag eine noch nie dage­we­se­ne Zahl an Ruhe­ständ­lern ver­sor­gen. Wer könn­te da nicht nach­voll­zie­hen, dass dem ein oder ande­ren gele­gent­lich die Lust am Arbei­ten vergeht?

Dabei war die Ent­wick­lung abseh­bar. Wenn etwas gut funk­tio­niert in die­sem Land, dann die Erhe­bung von Sta­tis­ti­ken. Die Zah­len zur Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung sind nicht im Gift­schrank ver­steckt. Doch die not­wen­di­gen Refor­men waren allen­falls halb­her­zig. Kein Wun­der: Mas­se ver­leiht Macht. Wenn‘s hart auf hart kommt, kön­nen die gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge an der Wahl­ur­ne jede Regie­rung zum Strau­cheln bringen.

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„Dann schon lieber ein runzliger Baum, der hie und da noch die ein oder andere gute Frucht hervorbringt ...“

Haben wir Baby­boo­mer es also selbst ver­geigt, wie unlängst das Mana­ger Maga­zin schrieb? Ganz so hart möch­te ich mit mir und mei­ner Gene­ra­ti­on nicht ins Gericht gehen: Die meis­ten von uns muss­ten mit har­ter Kon­kur­renz auf dem Arbeits­markt umge­hen und haben dis­zi­pli­niert den Wohl­stand des Lan­des ver­mehrt. Ölkri­se und Kal­ter Krieg lehr­ten uns, dass nichts sicher ist, der rasen­de Wan­del der Gesell­schaft zwang uns eine gro­ße Fle­xi­bi­li­tät auf. Gewapp­net mit die­sen Erfah­run­gen müss­te es doch mög­lich sein, dass wir jetzt die Rei­fe haben, uns zurück­zu­neh­men. Dass wir mit Demut und Tat­kraft die jun­gen Gene­ra­tio­nen unter­stüt­zen auf dem Weg in die Zukunft.

Ganz ehr­lich: Ich möch­te ungern als ticken­de Zeit­bom­be oder Mit­glied eines schwar­zen Blocks der Besitz­stands­wah­rung in den Herbst des Lebens gehen. Dann schon lie­ber als runz­li­ger Baum, der hie und da noch die ein oder ande­re gute Frucht hervorbringt.

Wolfgang krinninger

Wolfgang Krinninger

Chefredakteur

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