Während vor wenigen Jahren noch die Erdbestattung die klar überwiegende Form der Bestattung war, steigt der Anteil an Feuerbestattungen immer weiter an. Für das Jahr 2021 meldete etwa die Stadt München einen Anteil an Urnenbeisetzungen von 68,8% und auch in weiteren bayerischen Städten wie Nürnberg, Würzburg und Bamberg wurden in den vergangenen Jahren bereits 70% der Bestattungen als Urnenbestattungen durchgeführt. Auch deutschlandweit steht laut dem Bundesverband Deutscher Bestatter die Erdbestattung mit 28% der Feuerbestattung mit 72% gegenüber.
Dr. Thorsten Benkel ist Akademischer Oberrat für Soziologie an der Universität Passau und forscht zum Themenbereich Sterben, Tod und Trauer. „Jeder von uns wird sterben, jeder von uns wird irgendwann tot sein. Das ist so alltäglich, dass ich mich irgendwann dafür interessiert habe, warum das so relativ wenig erforscht wird“, beschreibt er sein Forschungsinteresse. Mit Hilfe qualitativer soziologischer Forschung konnte er einige Trends in der Bestattungskultur im Lauf der Zeit erkennen. Insgesamt trauern Menschen zunehmend „individualisiert und autonom“. Auf den Friedhöfen gehe die Tendenz weg vom kollektiven Familiengrab und hin zur individuellen Gestaltung der Grabstätte: „Je individueller, desto stärker scheint es Menschen bei der Trauerbewältigung zu unterstützen.“ An den Gräbern werde vor allem zurückgeblickt auf das, was der Verstorbene geleistet habe. Die Darstellung dessen, was ihn zu Lebzeiten ausgemacht hat, sei mit der Haupttrend in der Bestattungskultur. Alltagsgegenstände an den Grabstätten sollen auch Fremden zeigen, „dieser Mensch war besonders und einzigartig“.
Friedhöfe fungieren allgemein als Trauerorte, das Interesse an solchen öffentlichen Trauerorten nehme aber in der individualisierten Welt ab, so Benkel. Trotzdem: „Der Friedhof ist kein Auslaufmodell, er hat einfach nur Konkurrenz bekommen.“ Neben der klassischen Urnenbeisetzung werden auch Naturbestattungen immer beliebter, ebenso wie beispielsweise die Aufbewahrung von Urnen im eigenen Zuhause. Letzteres ist grundsätzlich jedoch in Deutschland nach wie vor illegal. Hierin liege auch ein Grund, der die klassische Bestattung auf Friedhöfen in Deutschland an Attraktivität verlieren lasse: eine starre Regulierung der Bestattungen arbeite entgegen des wachsenden Wunsches nach Liberalisierung, so Dr. Thorsten Benkel.
Ebenso im Wandel sei der Stellenwert von Religion im Trauerprozess, wie der Soziologe beschreibt. Als „klassischer Trostgeber“ funktioniere der Glaube heute weniger gut als noch vor einigen Jahrzehnten, da er die Menschen nicht mehr ausreichend tröste. Auch hier gehe der Trend wieder in Richtung Autonomie. Mittels „Bastelreligionen“ beispielsweise in Form von esoterischen Vorstellungen wollen die Menschen ihre Trauer selbstbestimmter gestalten, so Benkel. Die Zahl der öffentlichen Bestattungen nehme ab, vor allem in Großstädten. Bei Trauerfeiern erinnere Rock-Musik oder die Titel-Melodie von Star Wars an den Verstorbenen. Wieder andere lassen die Asche des Verstorbenen zu einem Diamanten pressen. Das alles sind Beispiele für individualisierte Trauer.
„Der tote Körper ist nicht mehr das Relevanteste“
Allgemein sei zu beobachten, dass Großstädte die Trends vorgeben. „Es gibt einen Verzögerungseffekt“, erklärt Benkel. Dennoch sei er sich sicher, dass Kleinstädte und Dörfer die Trends irgendwann nachholen werden, auch wenn dies mitunter auch Jahrzehnte dauern könne. Einer dieser Trends, der den Soziologen aktuell beschäftige, sei die Delokalisierung, die vor allem mit der Digitalisierung fortschreite. So gibt es online virtuelle Gräber, Start-Ups versuchen, Verstorbene zweidimensional wieder zum Leben zu erwecken, und künstliche Intelligenz chattet aus der Perspektive eines verstorbenen Menschen mit dessen Angehörigen. „Die Leiche, der tote Körper, das ist gar nicht mehr das Relevanteste. Das ist nicht der Ort der Trauer“, so Benkel. Stattdessen gebe es Möglichkeiten, über den Tod hinaus verbunden zu bleiben. Und das „spielt sich vor allem digital ab“.
Text: Tamina Friedl
Buchtipp
Thorsten Benkel/
Matthias Meitzler:
Game Over
Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe
In beiden Büchern haben die Autoren eine Sammlung von ungewöhnlichen Grabsteinen aus rund 1.200 Friedhöfen in 26 Ländern zusammengestellt und geben auf diese Weise einen mitunter humorvollen Überblick über Trends der Bestattungskultur.
KiWi, Taschenbuch, 9,99 Euro
ISBN: 978−3−462−04905−3