Im Rahmen der Adveniat-Weihnachtsaktion hatte Altötting am 14. Dezember Besuch aus Perus Hauptstadt Lima: Padre Juan Goicochea Calderón und Sahily Moreno erzählten, wie kirchliche Jugendarbeit auch unter schwierigsten Bedingungen Hoffnung säen kann.
„Ich glaube, dass die guten Nachrichten viel mehr sind als die schlechten – nur die schlechten Nachrichten machen mehr Lärm“, sagt Padre Juan, Pfarrer der Gemeinde Cristo Misionero in Lima, während der Diskussionsrunde im Altöttinger Begegnungszentrum St. Christophorus. Zuvor in einem Video sahen die Besucher u.a. Jugendliche, die tanzen. Es sind schöne, leichte Bilder, wäre da nicht das Thema des Tanzes: Eine Mutter trauert um ihren ermordeten Sohn, während andere sich über sie lustig machen. Und schon sind die Zuschauer wieder mitten drin in den lärmenden schlechten Nachrichten, die die Jugendlichen künstlerisch zu verarbeiten versuchen. Die 22-Jährige Sahily Moreno, die in der Pfarrei Cristo Misionero del Padre eine Jugendgruppe leitet und im Begegnungszentrum durch den Abend führt, erzählt: „Kurz vor meiner Abreise nach Deutschland sind vier Menschen in der Pfarrei ermordet worden.“
Mit (Banden-)Kriminalität, Korruption, Armut und Klimawandel hat Padre Juan bereits vor dem Vortrag während des Gottesdienstes in der St. Konradkirche die vier größten Herausforderungen in dem lateinamerikanischen Andenstaat benannt. Und Sahily Moreno bekam Gelegenheit zu erzählen, was Jugendliche diesen Problemen entgegensetzen: Glaube und Hoffnung – und vor allem auch den solidarischen Einsatz für eine bessere Zukunft. Beim anschließenden Vortrag stellt die studierte Buchhalterin fest: „Wir können nicht die ganze Welt verändern, aber wir können die Welt einer Person oder einer Familie verändern.“
Wie das geht, dafür ist das mit Unterstützung des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat aufgebaute „Casa de los Talentos“, das „Haus der Talente“, aus dem Video ein gutes Beispiel, wo Jugendliche einfach mal sie selbst sein können – tanzen, kochen, Theater spielen, handwerklich arbeiten, … Und auch das Projekt, von dem Sahily Moreno berichtet: Sie und „ihre“ rund 40 Jugendlichen verteilen Essenskörbe an Bedürftige, helfen bei der Hausarbeit, kaufen ein, passen auf Kinder auf. Sie zeigt Fotos, auf denen Jugendliche zu sehen sind, die in der prallen Sonne, vorbei an einem Meer aus kleinen Hütten aus Pappwänden mit Wellblechdächern, über Treppen und sandige Wege schwere Bretter und Material auf die Hügel des Armenviertels Chorillos am Rande der peruanischen Hauptstadt schleppen. Unter Anleitung und mit Unterstützung von Adveniat bauen die Jugendlichen kleine Häuser für die Ärmsten der Armen. Etwa für eine alleinerziehende Mutter dreier Kinder, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, und die Sahily Moreno allesamt sehr ans Herz gewachsen sind, wie sie erzählt. Kaum einer der Nachbarn reagiere da neidisch, wenn andere neue Häuser bekommen, sagt die 22-Jährige auf Nachfrage – gerade unter den Armen erlebe sie sehr viel Solidarität. Anders sehe es in der Politik aus: Bewusst wollten die Jugendlichen sie nicht miteinbinden, aus Angst, dass die Politik derartige Projekte als ihre eigenen verkauft und dann in die eigene Tasche wirtschaftet.
Auf die Politik ist auch Padre Juan nicht gut zu sprechen: Eigentlich habe die Corona-Pandemie klar gezeigt, wo die Probleme liegen: eine mangelnde Gesundheitsversorgung und schlechte Bildungs- und Berufschancen auf dem (Anden-Hoch-)Land und viel zu viele Menschen in den Städten vor allem an der Küste – über Dreiviertel der Bevölkerung insgesamt und fast ein Drittel allein in Lima –, zu viele Menschen, die zusammen in kleinen Hütten und Häusern wohnen, in den Armenvierteln ohne Strom- und Wasserversorgung, etc. Doch statt aus den Erfahrungen zu lernen, hätten sich nach der Pandemie die Probleme noch vergrößert. Vor allem Jugendliche litten unter zunehmender Perspektivlosigkeit.
Adveniat-Aktion 2024: Impressionen aus Peru
Fotos: Mareille Landau / Adveniat
Neue Hoffnung geben hier die beschriebenen kirchlichen Projekte: „Ich erlebe, wie sich Jugendliche durch diese Arbeit selbst verändern“, erzählt Padre Juan – „wie sie lernen, sich durchzusetzen, Selbstbewusstsein tanken, feststellten, dass sie Zukunft gestalten können.“ Projekte, die sehr gut zu seinem Ansatz in der Seelsorge passen, der außer der klassischen Pastoral auch ganz bewusst die psychischen und körperlichen Bedürfnisse der Menschen in den Blick nimmt. Von großer Bedeutung ist für Padre Juan der Einsatz und die Motivation der Laien in seiner rund 80.000 Köpfe und nur drei Priester zählenden Pfarrei: „Kirche, das sind alle, die getauft sind“, stellt Padre Juan fest. „Und meine Berufung als Priester ist es, die Menschen zu überzeugen, dass sie berufen sind. Ihnen Möglichkeiten zu schaffen, dass auch sie Verantwortung tragen können für die Kirche.“
Die Bedeutung von persönlichem Einsatz und von grundlegenden Werten wie Fairness und Solidarität hat auch Kapuzinerpater Br. Marinus Parzinger zuvor in seiner Predigt beim Gottesdienst mit Bezug auf das Evangelium über „Das Auftreten des Täufers“ (vgl. Lk 3,1ff) betont. An der Messe und dem anschließenden Vortrag nahm auch Christine Krammer, Referentin im Referat Mission und Weltkirche im Bistum Passau, teil, die zu diesem Abend eingeladen hatte.
Und wie hat es den Gästen im Bistum gefallen? „Viel zu kalt“ sei es hier, erwidert Sahily Moreno schmunzelnd. Dann aber fügt sie hinzu, wie beeindruckt sie sei über die Sicherheit in Deutschland: Sich frei und alleine auf den Straßen bewegen zu können, das kenne sie von zuhause nicht. Sie erwähnt die fröhliche weihnachtliche Stimmung, vor allem auf den Märkten; dann die spannende Geschichte und Tradition auch der Kirche in Deutschland, und nicht zuletzt die angenehme Atmosphäre bei ihren Vorträgen und bei den Gesprächen: „Ich habe hier viel gelernt“, sagt Sahily Moreno, die zum ersten Mal auf einer Auslandsreise ist. Mit vielen Eindrücken wird sie bald nach Peru zurückkehren – und mit vielen Bildern, von denen sie viele bereits per Smartphone nach Hause zu „ihren“ Jugendlichen nach Lima geschickt hat.
Michael Glaß
Redakteur