Das glauben wir

Beten hilft

Redaktion am 18.10.2022

2022 10 17 pb alb rosenkranz1 Foto: Myriams-Fotos / Pixabay

In allen Religionen rufen die Menschen zu Gott, danken ihm oder bitten um seine Hilfe. Eine Jüdin, eine Muslima und eine Christin erzählen, wann und wo sie beten, was sie dafür brauchen und was das Gespräch mit Gott ihnen bedeutet.

Inessa Goldman - Jüdin: Sie denkt beim Gebet besonders an ihre Kinder und Enkel

2022 10 17 pb alb beten goldman Foto: privat
Inessa Goldman.

Jeden Mor­gen nimmt Ines­sa Gold­man sich Zeit für das Gebet. Dazu zieht sie sich zurück in ihr Zim­mer. Für mich ist Gebet immer mit Dank­bar­keit ver­bun­den“, sagt die Jüdin. Sie dankt Gott für ihr Leben, für ihre Gesund­heit und die ihrer Fami­lie: Ganz beson­ders den­ke ich dann an mei­nen Sohn, an mei­ne Toch­ter und die zwölf Enkel­kin­der.“ Das Gebet beru­higt sie, sie denkt dann: Ich habe etwas für sie gemacht und hof­fe, dass es hilft.“ Heu­te legt sie in ihre Gebe­te ihr gan­zes Gott­ver­trau­en. Frü­her hat sie das nicht gedurft.

Die 69-Jäh­ri­ge ist in Lett­land auf­ge­wach­sen. Reli­gi­on und Glau­be haben in ihrer Kind­heit und Jugend kei­ne Rol­le gespielt. Lett­land war kom­mu­nis­tisch. Reli­gi­on war bei uns ver­bo­ten“, sagt sie. Wer sich zu sei­nem Glau­ben bekann­te, bekam beruf­li­che Schwie­rig­kei­ten. Bei mei­nen Groß­el­tern war der jüdi­sche Glau­be noch prä­sent. Aber uns nennt man die ver­lo­re­nen Kin­der“, sagt Goldman.

Erst als sie nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on nach Deutsch­land kam, änder­te sich das. Mit ihrem Mann und den bei­den Kin­dern zog sie nach Osna­brück – und traf auf den Rab­bi­ner Marc Stern. Er war ein Freund und ein Men­tor für unse­re Fami­lie“, sagt sie.

Er habe ihnen alles über das Juden­tum, ihre Reli­gi­on und den Glau­ben bei­gebracht. Vor allem die Spei­se­ge­set­ze waren kom­pli­ziert für uns“, sagt sie und lacht. Aber Rab­bi Stern habe sie immer moti­viert. Es ist häu­fi­ger pas­siert, dass er sag­te: Heu­te kann ich nicht bei euch essen, weil es nicht koscher ist. Aber ich bin mir sicher, dass ich mor­gen Abend bei euch zu Gast sein wer­de.‘ So haben wir gelernt.“

Jah­re­lang hat sich Gold­man in der Bil­dungs­ar­beit enga­giert. Sie zeig­te Schü­le­rin­nen und Schü­lern, was es heißt, jüdisch zu sein. Sie brach­te Tho­ra­rol­len in den Unter­richt, erklär­te die Bedeu­tung des Schab­bat und sprach mit den Kin­dern und Jugend­li­chen über das Gebet. Beten ist eine Hil­fe in jeder Situa­ti­on“, sagt Gold­man, die heu­te in der Nähe von Straß­burg lebt. Wenn jemand krank ist, betet sie für Gesund­heit. Wenn jemand ein Pro­blem hat, bit­tet sie Gott um Hil­fe. Und wenn jemand ver­reist, betet sie, dass nie­mand ihm auf dem Weg scha­den möge.

Für ihr eige­nes Gebet braucht Gold­man Ruhe – sonst nichts. Ich möch­te allei­ne sein und mich auf die Tex­te kon­zen­trie­ren“, sagt sie. Beson­ders ger­ne betet sie den Psalm 91. Das sind sehr schö­ne Bil­der: Gott, der uns schützt und ver­tei­digt, auf den wir uns in jeder Gefahr ver­las­sen kön­nen, der Engel schickt, uns zu behü­ten und zu tra­gen.“ Meist liest sie Stel­len aus der Tho­ra oder spricht ein vor­for­mu­lier­tes Gebet. Wir sol­len nicht still blei­ben, son­dern die Tex­te aus­spre­chen“, sagt sie. Das hel­fe auch, sich nicht so leicht ablen­ken zu lassen.

Sie glaubt fest dar­an, dass das Gebet etwas bewir­ken kann. Ich habe schon erlebt, dass das Gebet etwas ver­bes­sert hat“, sagt sie. Sie erin­nert sich an eine Rei­se nach Isra­el zur Hoch­zeit ihres Soh­nes, der dort Rab­bi­ner ist. Sie und ihr Mann über­nach­te­ten bei einem Ehe­paar. Sie lit­ten sehr unter ihrer Kin­der­lo­sig­keit. Als Dank für die Unter­kunft habe ich für das Paar gebe­tet und auch mei­ne Schwie­ger­toch­ter dar­um gebe­ten, für das Paar zu beten“, sagt Gold­man. Das Gebet der Braut vor der Hoch­zeit soll, so glau­ben es die Juden, beson­ders stark sein. Ich weiß nicht, ob es unser Gebet war“, sagt Gold­man. Aber gut ein Jahr spä­ter bekam die Frau ihr ers­tes Kind.“

Für Gold­man ist Beten wie eine inten­si­ve Medi­ta­ti­on: Wenn du betest, bist du mit Gott in einer Welt.“ Sie spre­che zu ihm wie zu einem Vater: Alle Sor­gen, alles, was mich bewegt, kann ich ihm vor­tra­gen.“ Beson­ders beim Ent­zün­den der Ker­zen zum Schab­bat am Frei­tag­abend tue sie das: Man sagt im Juden­tum: Die Ohren Got­tes sind für die Frau geöff­net, wenn sie die Ker­zen anzün­det. Da kann sie ihn alles fra­gen und ihm alles sagen, was sie sich wünscht.“

Gabi Renneke - Christin: Sie schöpft Zuversicht und Kraft aus dem Gebet

2022 10 17 pb alb beten renneke Foto: privat
Gabi Rennecke.

Vor eini­gen Wochen traf Gabi Ren­ne­ke im Super­markt zwei älte­re Frau­en. Sie kann­te sie nicht, kam aber an der Kas­se mit ihnen ins Gespräch. Sie mach­ten sich gro­ße Sor­gen um die Zukunft. Sie frag­ten: Was soll nur wer­den? Was wird aus unse­ren Kin­dern und Enkeln?“, sagt Ren­ne­ke. Die Kli­ma-Kri­se, der rus­si­sche Angriffs­krieg, die hohen Prei­se für Ener­gie und Lebens­mit­tel. All das beschäf­tigt auch sie. Ich mache mir Gedan­ken, wie wir das alles stem­men kön­nen“, sagt die 48-jäh­ri­ge Mut­ter von drei Kin­dern. Bei all der Ver­un­si­che­rung schöpft sie Zuver­sicht und Kraft aus dem Gebet.

Das Gebet ist wie ein Anker für mich“, sagt sie. Ich als klei­ner Mensch kann nicht so weit schau­en und den­ken wie Gott. Ich ver­traue dar­auf, dass da jemand ist, der uns in schwe­ren Zei­ten beglei­tet. Die­ses Gott­ver­trau­en ist für mich ent­schei­dend.“ Glau­be und Gebet haben für Ren­ne­ke schon immer eine wich­ti­ge Rol­le gespielt.

Auf­ge­wach­sen ist sie in West­fa­len in einer tra­di­tio­nell gepräg­ten katho­li­schen Fami­lie. Zunächst sprach sie Gebe­te, die sie aus­wen­dig gelernt hat­te: ein Abend­ge­bet, das Vater­un­ser. Aber da war immer das Gefühl: Da ist noch mehr“, sagt Ren­ne­ke, die heu­te in Syke bei Bre­men lebt.

Ihr Gebet ent­wi­ckel­te sich wei­ter. Als Jugend­li­che zwei­fel­te sie und hin­ter­frag­te die Glau­bens­sät­ze der Kir­che. Sie such­te das per­sön­li­che Gespräch mit Gott. Sie warf ihm ihre Sor­gen und Fra­gen vor die Füße. Das hat­te etwas Befrei­en­des“, sagt sie.

Vor zehn Jah­ren erlitt Ren­ne­ke über­ra­schend einen Herz­still­stand. Ihr drit­tes Kind war gera­de erst weni­ge Mona­te alt, als sie zu Hau­se ein­fach umfiel. Ich war bis dahin völ­lig gesund. Und auf ein­mal ging es um Leben und Tod für mich.“ Fast drei Wochen lag sie im Koma. Nie­mand wuss­te, ob sie wie­der auf­wa­chen und wie es ihr dann gehen wür­de. Als ich wie­der wach war, wuss­te ich sofort, welch ein Geschenk das ist, noch da sein zu kön­nen“, sagt sie. Ihr Glau­be habe durch die­se Kri­se eine ande­re Tie­fe und das Gebet für sie eine grö­ße­re Bedeu­tung bekom­men, sagt Ren­ne­ke. Das gespro­che­ne Wort ist ihr nicht mehr so wich­tig, sie hat das Gebet in Stil­le für sich ent­deckt. Auf­grund der Krank­heit brauch­te ich viel Ruhe. Das war wie Medi­zin für mich“, sagt Renneke.

Sie mach­te sich auf die Suche nach neu­en Gebets­for­men. Sie besuch­te Kur­se bei spi­ri­tu­el­len Autoren wie Anselm Grün und las vie­le Bücher zu dem The­ma. Gott ist wie eine Quel­le, die uner­schöpf­lich ist“, sagt Ren­ne­ke. Aber wir haben den Weg zur Quel­le ver­ges­sen. Ich habe gesucht und jeden Stein umgedreht.“

Fün­dig wur­de sie in der Gebets­pra­xis der Bene­dik­ti­ner und Jesui­ten. Heu­te beglei­tet vor allem das Jesus­ge­bet sie durch ihren All­tag. Eine evan­ge­li­sche Pas­to­rin, die für sie zu einer geist­li­chen Beglei­te­rin wur­de, lehr­te es sie vor eini­gen Jah­ren. Das Gebet ist mit dem Atem ver­bun­den: Chris­tus beim Ein­at­men, Jesus beim Aus­at­men“, erklärt sie. Das war gleich meins. Damit konn­te ich Ruhe fin­den und inten­siv meditieren.“

Mitt­ler­wei­le habe sich das Gebet ver­selbst­stän­digt, sagt Ren­ne­ke: Wenn ich manch­mal tags­über tief ein­at­me, dann ist das Gebet da – ohne, dass ich mir vor­neh­me zu beten.“ Mit Lec­tio-Divina-Grup­pen macht sie online Bibel-Tei­len und sie nutzt die App der Jesui­ten Pray as you go“. Sie enga­giert sich in ihrer Pfarr­ge­mein­de und bringt sich beim Pro­jekt Kir­che der Betei­li­gung“ des Bis­tums Osna­brück ein.

Und sie ist Teil einer über­kon­fes­sio­nel­len Gebets­grup­pe. Zwei­mal monat­lich nimmt sie sich abends eine Drei­vier­tel­stun­de Zeit, um zu beten. Die Grup­pe trifft sich nicht, son­dern jeder betet für sich zu einer ver­ab­re­de­ten Uhr­zeit zu Hau­se. Im Gebet knüpft sich dann ein Netz. Wir füh­len uns unter­ein­an­der und mit Gott ver­bun­den“, sagt Ren­ne­ke. Immer dabei hat sie eine Lis­te mit Namen von Men­schen, für die sie betet. Manch­mal lese ich die­se Namen nur lei­se vor und lege ihr Anlie­gen in Got­tes Hän­de“, sagt Renneke.

Auch sie hat Men­schen, die für sie beten, wenn sie Sor­gen hat. Sie sagt: Die­ses Gebet für­ein­an­der tut gut und schafft unter­ein­an­der eine beson­de­re Verbundenheit.“

Tuba Isik - Muslima: Sie nimmt sich das Gebet als Auszeit

2022 10 17 pb alb beten isik Foto: Heyde/Humboldt Universität Berlin
Tuba Isik.

Ein Bis­sen Brot, ein Stück Apfel, ein Schluck Tee – wenn Tuba Isik etwas isst oder trinkt, ver­bin­det sie das häu­fig mit einem Stoß­ge­bet. Dann sage ich den Namen Got­tes und dan­ke Gott für das Essen“, sagt die Muslima.

Kur­ze Gebe­te beglei­ten Isik durch ihren Tag. Die 40-Jäh­ri­ge ist Pro­fes­so­rin für Isla­mi­sche Reli­gi­ons­päd­ago­gik und Prak­ti­sche Theo­lo­gie an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ber­lin. Sie ist ver­hei­ra­tet und hat eine zwei­jäh­ri­ge Tochter.

Das Gebet ist für mich eine akti­ve und bewuss­te Begeg­nung mit Gott“, sagt sie. Manch­mal mur­melt sie still eini­ge Sät­ze, manch­mal singt sie am Mit­tags­tisch mit ihrer Toch­ter ein reli­giö­ses Dank­lied, manch­mal betet sie in der Moschee.

Trotz ihres Berufs und des manch­mal anstren­gen­den Fami­li­en­all­tags ver­sucht sie, die für Mus­li­me gel­ten­den fünf Gebets­zei­ten am Tag ein­zu­hal­ten. Nicht, weil ich das als eine Pflicht begrei­fe, son­dern weil ich es als einen Hin­weis Got­tes ver­ste­he, der mir sagt: Nimm dir immer wie­der eine Aus­zeit für dich selbst.“ Im Koran ste­he, dass Gott selbst nichts von dem Gebet habe, sagt Isik: Gott sagt: Das hat etwas mit dir zu tun. Es soll dir gut­tun.“ Im Gebet kon­zen­triert sie sich ganz auf Gott: Ich bin nicht von ihm getrennt, son­dern füh­le mich eins mit ihm. Ich bin ganz in Got­tes Gegenwart.“

Sie dankt ihm für alles Gute, für alles, was er gibt – und spricht das auch laut aus. In dem Moment, in dem ich auf­rich­tig bete, glau­be ich fest dar­an, dass Gott mein Gebet annimmt und es hört“, sagt sie. Am liebs­ten spricht Isik frei zu Gott. Gott ver­steht mich. Ich kann mit ihm spre­chen wie mit einer ver­trau­ten Freun­din, einem Vater oder einer Mut­ter“, sagt sie.

Sie sagt ihm alles, was sie bewegt: ihre Wün­sche, Ängs­te, Befürch­tun­gen, Sor­gen und Pro­ble­me. Auch mei­ne Miss­gunst und mei­ne Wut – alles, was ich im Her­zen habe, kann ich vor­tra­gen.“ Im Gebet erkennt sie ihre guten und ihre feh­ler­haf­ten Sei­ten. Das ist fast so, als stün­de ich wie frü­her in der Schu­le an der Tafel“, sagt sie und lacht. Aller­dings füh­le sie sich nie bloß­ge­stellt. Gott emp­fängt mich, wie ich bin. Er sagt mir: Du bist in dei­ner Natur ambi­va­lent, so habe ich dich geschaf­fen.“ Ein­zig ver­lan­ge er, in ihr den Wil­len zu sehen, sich zu bes­sern. So ver­ste­he ich auch mei­nen Glau­ben: als Arbeit an mei­nem Selbst. Und Gott beglei­tet mich auf die­sem Weg.“

Das Gebet ver­än­dert sie. Gott spie­gelt mei­ne Gedan­ken. Er hilft mir, mich zu ord­nen, mir etwas bewusst zu machen und dar­an zu arbei­ten“, sagt die isla­mi­sche Theo­lo­gin. Im Gebet atmet sie inner­lich auf. Da ent­steht in mir eine Leich­tig­keit: Ich darf Feh­ler machen, ich darf so sein, wie ich bin.“ In schwie­ri­gen Zei­ten sei das Gebet für sie immer wich­ti­ger gewor­den, sagt Isik. Sie erin­nert sich zum Bei­spiel an die End­pha­se ihrer Dok­tor­ar­beit, als sie erschöpft war und sich kaum noch kon­zen­trie­ren konn­te: Da habe ich immer wie­der kora­ni­sche Ver­se zitiert. Am Ende klin­gen die wie ein Seuf­zer der Erleich­te­rung. Da konn­te ich alles los­las­sen. Ich fühl­te mich im Gebet Gott ganz inten­siv verbunden.“

Wäh­rend ihres Stu­di­ums hat sie sich auch mit jüdi­schen und christ­li­chen Got­tes­vor­stel­lun­gen beschäf­tigt. Einer ihrer Dok­tor­vä­ter war der katho­li­sche Theo­lo­ge Klaus von Stosch. Die Begeg­nung mit dem christ­li­chen Got­tes­bild hat ihre Vor­stel­lung von Gott ver­än­dert – und die Hal­tung beein­flusst, mit der sie zu ihm spricht. In mei­ner Kind­heit und in der isla­mi­schen Tra­di­ti­on habe ich einen gerech­ten Gott ken­nen­ge­lernt. In der Begeg­nung mit Jesus Chris­tus ergriff mich die Vor­stel­lung, Gott als Lie­be zu den­ken“, sagt sie. Heu­te glau­be ich an einen gerech­ten, aber auch an einen sehr lie­be­vol­len und barm­her­zi­gen Gott, der vol­ler Güte ist.“

Text: Kers­tin Ostendorf

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