Glaube und Tradition

Frau, Vorbild, Heilige

Redaktion am 29.07.2024

Die heilige Afra aus dem Graduale, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg 2° Cod 248, Bl. 199r - Datierung um 1500. Von Leonhard Wagner (1454-1522).

Gedenktag am 7. August: „So ziehst du nach Augsburg, wo Lech und Wertach fließen, dort sollst Du die Gebeine der heiligen Märtyrerin Afra verehren.“ (Fortunatus)

Sie ist Baye­rin durch und durch. Und das nicht nur, weil sie in der von Kur­fürst Maxi­mi­li­an I. in Auf­trag gege­be­nen, berühm­ten Bava­ria Sanc­ta“ gleich im ers­ten Band hin­ter der Patro­na Bava­riae zu fin­den ist. Es ist ihr Lebens­lauf, es sind die ihr im Mar­ty­ro­lo­gi­um Hie­ro­ny­mi­a­num, einem Hei­li­gen- und Mär­ty­rer­ver­zeich­nis aus dem 7. Jahr­hun­dert, zuge­schrie­be­nen Cha­rak­ter­zü­ge: rät­sel­haft, fas­zi­nie­rend, bis­wei­len etwas schil­lernd bis hin zu einer boden­stän­dig geleb­ten Derb­heit – all das, was man den Bay­ern ger­ne so nach­sagt. Und zwar seit den Tagen der Mero­win­ger und Agilolfinger.

Obwohl Afra genau genom­men eine Schwä­bin, eine Augs­bur­ge­rin ist – unab­hän­gig davon, ob sie tat­säch­lich am Lech gebo­ren wur­de oder, wie es die Legen­de sagt, an den weit ent­fern­ten Gesta­den Zyperns. Dort, wo auch Aphro­di­te, die schaum­ge­bo­re­ne Göt­tin der Lie­be und sinn­li­cher Begier­de, aus den Was­sern stieg. Und schon sind wir mit­ten in den venu­s­i­schen Ver­wick­lun­gen, die Afra als Ver­ball­hor­nung von Aphro­di­te ver­stan­den wis­sen wol­len – als Bor­dell­be­sit­ze­rin, Boazn­wir­tin oder gar Lie­bes­die­ne­rin selbst. Vene­ria steht im bereits erwähn­ten und his­to­risch in Fra­ge zu stel­len­den Mar­ty­ro­lo­gi­um Hie­ro­ny­mi­a­num, das um die 6000 Bio­gra­fien christ­li­cher Blut­zeu­gen aus römi­scher Zeit kalen­da­risch auf­lis­tet, neben einer Afra aus Augus­ta Vin­de­li­corum, dem heu­ti­gen Augs­burg. Inter­pre­tiert wur­de der Frau­en­na­me – man kennt ihn von der hei­li­gen Vene­ria, einer Mär­ty­re­rin aus Mai­land – als Berufs­be­zeich­nung, näm­lich der einer Dame des hori­zon­ta­len Gewer­bes. Dass Afra aber auch eine Zuschrei­bung für eine Frau sein kann, die aus der römi­schen Pro­vinz Afri­ca, dem heu­ti­gen Tune­si­en, stammt und dies auch für eine Frau namens Vene­ria gel­ten kann, die mög­li­cher­wei­se in Sic­ca Vene­ria, einer nord­afri­ka­ni­schen Bischofs­stadt zuhau­se war, soll­te in Betracht gezo­gen wer­den. Aus­se­hen, Haut­far­be und Her­kunft spiel­ten bei den Römern kei­ne Rolle.

Tilman Riemenschneider: Reliquienbüste der heiligen Afra, aus dem St. Afra-Kloster in Würzburg, Bayerisches Nationalmuseum in München.

Die Geschich­te eines gefal­le­nen Mäd­chens, einer ver­arm­ten Königs­toch­ter gar, die von ihrer Mut­ter zur Pro­sti­tu­ti­on gezwun­gen wird, ihre Sün­den bereut, sich tau­fen lässt und gegen alle Wider­stän­de an ihrem Glau­ben fest­hält bis in den qual­vol­len Tod auf dem Schei­ter­hau­fen, zeich­net ein lite­ra­ri­sches Bild, dem bis heu­te Roma­ne und Hol­ly­wood­fil­me ver­fal­len sind, das aber wie auch im Fal­le der hei­li­gen Afra wenig fass­bar bleibt. Dass es spä­tes­tens seit dem Mit­tel­al­ter eine zwei­te, qua­si par­al­le­le bio­gra­phi­sche Über­lie­fe­rung über die Hei­li­ge gibt, die vor allem in Augs­burg und Umge­bung tra­diert wird, nimmt man nur wenig wahr. Hier ist stets die Rede von einer jung­fräu­li­chen Mär­ty­re­rin, die um 304 wäh­rend der Chris­ten­ver­fol­gung unter Dio­kle­ti­an den Feu­er­tod auf einer Lech­in­sel fand, zusam­men mit 30 wei­te­ren Chris­ten. Man soll Afra an einen dür­ren Baum gebun­den haben; römi­schen Quel­len zufol­ge wur­de sie enthauptet.

Ihre Lei­dens­ge­schich­te gehört zu den frü­hes­ten christ­li­chen Glau­bens­zeug­nis­sen nörd­lich der Alpen, ihre Ver­eh­rung lässt sich, his­to­risch gesi­chert, bis auf die Zeit der Mero­win­ger im 4. Jahr­hun­dert, also unmit­tel­bar nach dem Tod der Hei­li­gen zurück­füh­ren. Die Legen­de erzählt, dass die Grab­stät­te Afras beim zwei­ten Mei­len­stein vor der Stadt ange­legt wor­den sei; zur römi­schen Zeit befand sich dort bereits ein Friedhof.

Archäo­lo­gi­sche Fun­de wei­sen tat­säch­lich auf einen frü­hen Kult­ort der Hei­li­gen vor der Stadt­gren­ze hin, der geo­gra­phisch im Bereich der heu­ti­gen Basi­li­ka St. Ulrich und Afra liegt. Er wur­de vom mero­win­gi­schen Kle­rus und Adel und spä­ter von karo­lin­gi­schen Bischö­fen als Bestat­tungs­platz genutzt, wohl ad sanc­tos, um im Tode mög­lichst nahe beim Grab der Mär­ty­re­rin zu liegen.

Ab dem 6. Jahr­hun­dert setzt die Wall­fahrt zum Grab der Hei­li­gen Afra ein. Der ita­lie­ni­sche Dich­ter und spä­te­re Bischof von Poi­tiers, Ven­an­ti­us For­t­u­na­tus, schil­dert 575 in sei­nem Epos über das Leben des hei­li­gen Mar­tin von Tours eine Rei­se­rou­te durch das Gebiet der Bai­o­va­rii, also der Bay­ern. Und er emp­fiehlt unbe­dingt in Augs­burg Halt zu machen, um dort in einer Kapel­le die Gebei­ne der hei­li­gen Mär­ty­re­rin Afra zu ver­eh­ren“. Er hat­te bereits zehn Jah­re zuvor die Stadt am Lech besucht. Ven­an­ti­us gilt somit als frü­her, his­to­risch ver­läss­li­cher Zeu­ge des Augs­bur­ger Afra­kults. Auch hier bestä­ti­gen wie­der archäo­lo­gi­sche Fun­de die zeit­ge­nös­si­sche Über­lie­fe­rung: ein Stein­fun­da­ment aus dem frü­hen Mit­tel­al­ter im Bereich des Grä­ber­felds um die Basi­li­ka St. Ulrich und Afra wird als Über­rest eines kirch­li­chen Gebäu­des bewer­tet, der wohl ers­ten Afra­kir­che Augs­burgs, die bereits 582 zur Bischofs­kir­che erho­ben wur­de. Eben­falls als Hin­weis auf die frü­he Wall­fahrt zum Grab der Afra sind die auf­fal­lend vie­len Afra-Patro­zi­ni­en in der Nähe von Römer­stra­ßen, die nach Augs­burg führ­ten, zu sehen. Es han­delt sich dabei wohl um Sta­ti­ons­pa­tro­zi­ni­en auf dem Weg zum Kult­ort der Augs­bur­ger Heiligen.

2024 07 29 pb alb artikel heilige afra buestengefaess Foto: Archäologische Staatssammlung, Manfred Eberlein
Aus Afrika nach Bayern. Der erste Fund einer Darstellung einer afrikanischen Person auf deutschem bzw. bayerischem Boden in Töging/Inn (Landkreis Altötting); ein Büstengefäß aus dem 2. Jahrhundert.

Bischof Ulrich von Augs­burg selbst for­ciert den Afra­kult im 10. Jahr­hun­dert vor dem Hin­ter­grund der ste­ten Bedro­hung durch die Ungarn­ein­fäl­le. Er ist beses­sen von der Suche nach dem Grab Afras, traut sich aber ihre Toten­ru­he nicht zu stö­ren. 1064 wird ein römi­scher Sar­ko­phag beim Bau der Augs­bur­ger Basi­li­ka gefun­den; er birgt die sterb­li­chen Über­res­te eines weib­li­chen Ver­bren­nungs­op­fers. Die Ver­eh­rung Afras erlebt dar­auf­hin einen Höhe­punkt, ins­be­son­de­re in Deutsch­land und Frank­reich. Afra-Reli­qui­en kom­men in Mode“ eben­so wie ihre Patro­zi­ni­en – in den Bis­tü­mer Augs­burg, Kon­stanz, Frei­sing, Bam­berg, Basel, Salz­burg, Worms, Köln, Trier bis hin­un­ter nach Bri­xen in Süd­ti­rol, nach Hol­land und Frank­reich. Frau­en­or­den erwäh­len sich Afra zu ihrer Patro­nin. Die Hei­li­ge gilt als Für­spre­che­rin für Büße­rin­nen, der armen See­len, für Heil­kräu­ter und reu­ige Freu­den­mäd­chen. Sie wird bei Feu­ers­not ange­ru­fen. Nur weni­ge soge­nann­te Bau­ern­re­geln wer­den mit der hei­li­gen Afra in Ver­bin­dung gebracht; für die Land­be­völ­ke­rung ist sie wohl immer eher eine Stadt­hei­li­ge geblie­ben, heißt es doch: Wenn an Sankt Afra Regen fällt, den Bau­ern er noch lan­ge quält.“

Anläss­lich der 1500-Jahr­fei­er des Todes der hei­li­gen Afra wur­de ihr Sar­ko­phag noch­mals geöff­net; die Gebei­ne setz­te man in einem Mar­mor­sarg bei. Seit Anfang der 1960er-Jah­re ruht sie Sei­te an Sei­te mit dem hei­li­gen Ulrich in der Kryp­ta der nach ihnen benann­ten Basilika.

So wild und schil­lernd ihre angeb­li­chen bio­gra­phi­schen Anfän­ge waren, so ruhig ist es heu­te um Sankt Afra gewor­den, die als Frau, als Vor­bild, als Hei­li­ge gera­de erst wie­der ent­deckt wird.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

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