Glaube und Tradition

Ein wahrer Europäer

Redaktion am 10.06.2024

2024 06 09 pb alb st vitus bad birnbach Foto: Werner Friedenberger
Die Marter des heiligen Vitus in einem siedenden Ölkessel; Altarblatt in der Filialkirche St. Veit (Pfarrei Bad Birnbach).

Der Sommerheilige aus dem Plattenschrank – Gedanken zum Veitstag am 15. Juni

Prag­rei­sen­de und Besu­cher des Bam­ber­ger Doms kom­men an ihm gar nicht vor­bei. Nicht anders ergeht es den weni­gen, die es ins fer­ne Mön­chen­glad­bach zieht. In Ober- und Nie­der­bay­ern sowie im öster­rei­chi­schen Inn- und Mühl­vier­tel ist er eben­falls als Kir­chen­pa­tron popu­lär. Alte Fried­hofs­ka­pel­len tra­gen ger­ne sei­nen Namen, galt er doch vor Jahr­hun­der­ten als Für­spre­cher in der Ster­be­stun­de. Sei­ne beson­de­re Nähe zu den Engeln ließ die Ster­ben­den auf Erlö­sung hof­fen, wie sie ihm selbst zuteil­ge­wor­den war. Die Die­ner und Boten Got­tes hät­ten ihn nicht nur spi­ri­tu­ell sein Leb­tag lang beglei­tet, son­dern auch aus der qual­vol­len Mar­ter erret­tet. Denn der Legen­de nach war der 13-jäh­ri­ge Sizi­lia­ner auf Geheiß des römi­schen Kai­sers Dio­kle­ti­an in sie­den­des Öl gewor­fen wor­den. Er woll­te sei­nem christ­li­chen Glau­ben nicht abschwö­ren. Über­all in Euro­pa tra­gen Orte sei­nen Namen. In Ita­li­en gehört er anders als in Deutsch­land immer noch zu den belieb­tes­ten Män­ner­vor­na­men, den Mar­lon Bran­do in Cop­po­las Der Pate“ in Hol­ly­wood unsterb­lich mach­te. Und er ziert vie­ler­orts Plat­ten­schrän­ke und CD-Racks, beson­ders bei Lieb­ha­bern der här­te­ren Metal­le: Der hei­li­ge Vitus, land­läu­fig in Bay­ern eher als Veit bekannt, einer der Vier­zehn Not­hel­fer und mit über 30 Patro­na­ten qua­si viel­be­schäf­tigt, obgleich er sei­nen Bekannt­heits­grad als Schutz­hei­li­ger in der letz­ten Zeit etwas ein­ge­büßt hat. Sein Gedenk­tag ist der 15. Juni; in den Ost­kir­chen, wo Vit oder Vidov­dan als einer der wich­tigs­ten Hei­li­gen ver­ehrt und über vie­le Jahr­zehn­te als poli­ti­sche Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur des natio­na­lis­tisch aus­ge­rich­te­ten Pan­sla­wis­mus galt, fei­ert man ihn am 28. Juni.

2024 06 09 pb alb st vitus kloster seeon Foto: Roswitha Dorfner
Vielverehrter Heiliger. Der heilige Veit mit Kessel und Hahn; Darstellung im Kloster Seeon.

Die Ver­eh­rung Veits wäre wie die des hei­li­gen Johan­nes Nepo­muk zunächst nur eine böh­mi­sche Ange­le­gen­heit gewe­sen, heißt es: Von Prag aus sol­le der Hei­li­gen­kult um den Schutz­pa­tron der Gast­wir­te, Bier­brau­er, Win­zer, Kup­fer­schmie­de, Tän­zer und Schau­spie­ler und noch vie­les mehr zu den west­li­chen Nach­barn gewan­dert sein. Dage­gen spricht, dass sich der Hei­li­gen- und Reli­qui­en­kult um San Vito, wie er in Ita­li­en heißt, bereits im 6. Jahr­hun­dert von Süd­ita­li­en über Ober­ita­li­en nach Frank­reich und Deutsch­land aus­ge­brei­tet hat­te. Dabei bemer­kens­wert ist, dass die Hei­li­gen­ver­eh­rung Veits in ihren Anfän­gen nicht nur eine unver­hoh­le­ne poli­ti­sche Note besaß. Auf­fal­lend ist auch, mit welch hoher geo­gra­phi­schen Dyna­mik sich der Kult inner­halb von 250 Jah­ren ent­wi­ckel­te. 583 hat­te man die Gebei­ne des hei­li­gen Vitus aus Sizi­li­en nach Lukani­en gebracht, 756 dann nach Frank­reich in die Abtei St. Denis bei Paris, von dort über­führ­ten sie die Karo­lin­ger 836 nach Cor­vey im heu­ti­gen Nord­rhein-West­fa­len. Die Bene­dik­ti­ner­ab­tei Cor­vey, seit 2014 ein UNESCO-Welt­kul­tur­er­be und von fran­zö­si­schen Mön­chen gegrün­det, galt im frü­hen Mit­tel­al­ter schnell als das Zen­trum der Veitver­eh­rung überhaupt.

Bald schon wur­de der Hei­li­ge als der Stam­mes­pa­tron der Sach­sen ange­se­hen, die das heu­ti­ge West- und Nord­deutsch­land bis in die heu­ti­gen Nie­der­lan­de besie­delt hat­ten. Die Liudol­fin­ger soll­ten ihn dann wenig spä­ter zum Schutz­herrn ihres Kai­ser­reichs machen, die Dar­stel­lun­gen des jun­gen­haf­ten Hei­li­gen ver­än­dern sich damit. Er ist jetzt nicht mehr der Mär­ty­rer mit der Mär­ty­rer­pal­me, son­dern der Reichs­hei­li­ge mit dem Reichsapfel.

Von Cor­vey aus zogen Wan­der­mön­che und ‑bischö­fe nach Skan­di­na­vi­en und Ost­eu­ro­pa, um zu chris­tia­ni­sie­ren. Im Gepäck hat­ten sie die Pas­sio Sanc­ti Viti“, die Legen­de über das Leben und Ster­ben des hei­li­gen Vitus, die um 600 erst­mals schrift­lich nie­der­ge­legt wur­de. Es ist anzu­neh­men, dass die Geschich­te Veits über­all auf den Mis­si­ons­rei­sen erzählt wur­de. Vitus ent­wi­ckel­te sich so nicht nur zu einem ers­ten pan­eu­ro­päi­schen Hei­li­gen, er wur­de mög­li­cher­wei­se auch zu einem belieb­ten Vexier­bild für alle, die sich unter sei­nen Schutz stell­ten. Wie sol­len sich all sei­ne unter­schied­li­chen Patro­na­te sonst erklä­ren – vom Apo­the­ker über den Hund bis zum Bettnässer.

Wall­fah­rer aus ganz Euro­pa kamen an die Weser, um die zahl­rei­chen Veit-Reli­quia­re zu sehen, anzu­be­ten und auch käuf­lich zu erwer­ben. So soll Bischof Otto von Bam­berg bei sei­nen Mis­si­ons­rei­sen nach Pom­mern ein sil­ber­nes Reli­qui­ar mit den sterb­li­chen Über­res­ten Veits, das von einem Hahn gekrönt war, ver­wen­det haben. Der Hahn galt bei den Sla­wen als hei­li­ges Opfer­tier für ihren Licht­gott Svan­te­vit – die Namens­ähn­lich­keit mag Zufall sein, die Bekeh­rungs­be­mü­hun­gen waren von Erfolg gekrönt. Geblie­ben ist aus die­ser Zeit bis ins 18. Jahr­hun­dert auch in unse­ren Brei­ten der Brauch, schwar­ze Häh­ne und Hen­nen mit zusam­men­ge­bun­de­nen Bei­nen am Veits­tag in der Kir­che auf den Altä­ren abzulegen.

Auch der böh­mi­sche Her­zog Wen­zel wall­fahr­te­te nach Cor­vey, wo er eine Arm­re­li­quie Veits erstand, für die er in Prag im 10. Jahr­hun­dert eine Kir­che errich­ten ließ. Sie wird Jahr­hun­der­te spä­ter als die wohl berühm­tes­te Kir­che des hei­li­gen Vitus gel­ten und als Veits­dom natio­na­le Geschich­te schrei­ben. Seit 1355 wird das Haupt Veits in der tsche­chi­schen Haupt­stadt auf­be­wahrt. In der Renais­sance kamen wei­te­re Reli­qui­en des Hei­li­gen dazu, die in Nord­ita­li­en erwor­ben wor­den waren. Prag und sein Veit über­strah­len seit­her alle ande­ren Orte, die Reli­quia­re des Hei­li­gen besit­zen – es sol­len an die 150 sein – oder sich St. Vitus als Patron aus­er­ko­ren hat­ten. Bis heu­te sind dies 1300 Kir­chen und Kapel­len über­all in Euro­pa. Dazu gehö­ren Neu­markt-St. Veit im Rot­tal genau­so wie die Vitus­kir­chen in Ehol­fing bei Ruhstorf, in Hau­zen­berg, in Kirch­wei­dach, in Titt­ling oder gar das Etten­dor­fer Kir­cherl in Traun­stein. 34 Kir­chen sind allein im Bis­tum Augs­burg dem Hei­li­gen aus Sizi­li­en geweiht. Bay­ern ist also kirch­lich gese­hen das wah­re Veits­land – zuge­ge­ben viel­leicht in ähn­li­cher Wei­se auch Gegen­den an Rhein und Ruhr.

Wahr ist, dass der hei­li­ge Veit hier­zu­lan­de einen abso­lu­ten Spit­zen­platz hält, was die Zahl, der sich auf ihn bezie­hen­den Wet­ter­re­geln anbe­langt, begann man doch an sei­nem Ehren­tag seit dem Spät­mit­tel­al­ter bis zur gre­go­ria­ni­schen Kalen­der­re­form 1582 die Son­nen­wen­de. Wir kom­men von Sankt Veit, gebt’s uns an Scheit“, hieß es im baye­ri­schen Ober­land noch Ende des 19. Jahr­hun­derts, wenn es um das Holz­sam­meln für die Sonn­wend­feu­er, die Veits­feu­er, ging.

Hei­li­ger St. Veit, wecke mich zur rech­ten Zeit; nicht zu früh und nicht zu spät, bis das Glöck­lein schlägt.”

Anrufung an den heiligen Veit für pünktliches Wachwerden

In den land­wirt­schaft­lich gepräg­ten Regio­nen Bay­erns ist Veit der tra­di­tio­nel­le Patron der Som­mer­sonn­wen­de auf eine gewis­se Wei­se bis heu­te geblie­ben, Hier mag die Sunn nit höher“, sagt man sich beim Blick auf den Son­nen­stand. Sein Tag gilt wei­ter­hin als der Wet­ter­los­tag der Jah­res­mit­te, für Bau­ern, Gärt­ner und Win­zer glei­cher­ma­ßen, denn nach St. Veit wen­det sich die Zeit, alles geht auf die ande­re Seit“. Mit dem Som­mer­an­fang am Veits­tag beginnt die Heu­ern­te, die Bau­ern hof­fen auf ein trock­nes Wet­ter, denn Hei­li­ger Veit, reg­ne nicht, dass es uns nicht an Gerst‘ gebricht“. Die Win­zer gehen in die Wein­ber­ge, um einen ers­ten Ein­druck des neu­en Weins zu bekom­men, denn ist der Wein abge­blüht auf St. Vit, so bringt er ein schö­nes Wein­jahr mit“.

Um den 15. Juni her­um ent­wi­ckeln vie­le Kräu­ter ihre höchs­te Heil­kraft. Jetzt ist die Zeit, sie zu schnei­den und zu trock­nen. Dazu gehö­ren Brenn­nes­sel, Kamil­le, Spitz­we­ge­rich, Frau­en­man­tel, Bal­dri­an, Dost, Giersch und der dann beson­ders aro­ma­ti­sche Wald­meis­ter, außer­dem der Holun­der. Wer Veit nicht traut, kriegt auch kein Kraut“, so lau­tet eine der Hand­lungs­an­wei­sun­gen, die zum Pflan­zen von Kohl­sor­ten für den Win­ter auf­for­dert. Und auch die Schwam­merl­su­cher, die es jetzt zu Mas­sen wie­der in die Wäl­der treibt auf der Pirsch nach Maro­nen und Mil­li­brät­ling, kom­men bei Veit nicht zu kurz, soll doch Regen am 15. Juni die Schwam­merl wie ver­rückt aus dem Boden schie­ßen lassen.

Dass Veit ein ech­ter Som­mer­hei­li­ger mit gro­ßem Ver­ständ­nis für Som­mer­näch­te, fürs Drau­ßen sit­zen im Bier­gar­ten und fürs Genie­ßen lau­er Aben­de ist, und des­halb fürs pünkt­li­che Auf­wa­chen ange­ru­fen wer­den kann (wohl ganz­jäh­rig gül­tig) ist im Zeit­al­ter des Han­dy- und Smart­watch-Weckens mehr als char­mant: Hei­li­ger St. Veit, wecke mich zur rech­ten Zeit; nicht zu früh und nicht zu spät, bis das Glöck­lein schlägt“.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

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