Zugegeben, ich bin befangen, nicht nur, weil mein Altöttinger Lieblingsmitschüler Konrad heißt, genauso wie ein Kinderfreund aus längst vergangenen Töginger Tagen und auch der letzte lebende Cousin meiner niederbayerischen Mutter, nein, es ist die Geschichte der Bad Endorfer Theatergesellschaft und ihrer religiösen Schauspiele, die mich seit mehr als einem halben Jahrhundert begleitet. Endorf und das Theater, darüber wurde viel erzählt, meist von meiner Großtante und ihrer Freundin Lisi, die beide im Chiemgauer Marktflecken zur Welt gekommen waren. Getauft wurde meine Tante auf den Namen Hildegard, denn die Begeisterung für das im Jahr 1906 aufgeführte Spiel über Hildegards Wallfahrt nach Loretto war bei Eltern und Geschwistern groß und besonders gewesen. Wie alles, was mit Endorf, den Endorfern und dem Chiemgau im Zusammenhang stand, jedenfalls in den familiären Erinnerungen. Meine Vorfreude wächst, dem Ort und Theater, vor allem aber der Regisseurin und ihren Darsteller zu begegnen.
Theater gespielt wird in Bad Endorf nachweislich schon seit dem 18. Jahrhundert. Das erste religiöse Stück, das die Chronik der örtlichen Theatergesellschaft verzeichnet, trägt den Titel „Thraurige Vorstellung dess Erschrecklichen Jingsten Gerichts“ und wurde 1790 aufgeführt, als Freiluftspiel auf einer Ortswiese. 1790 gilt deshalb auch als das offizielle Gründungsjahr der Laienspielgemeinschaft, die als die drittälteste in Bayern gilt. Jeden Frühsommer führen die Theaterer, wie sie sich selbst nennen, ein religiöses Schauspiel im Theaterhaus in der Ortsmitte auf. Das 1867 errichtete Theatergebäude, zunächst für 300 Besucher angelegt, musste wegen des Zuspruchs, den Stücke und Darsteller erfuhren, 1899 bereits baulich auf 1200 Sitzplätze erweitert werden. Seither ist das mächtige steinerne Gebäude im Großen und Ganzen unverändert geblieben, zuletzt wurden Brandschutz-Maßnahmen und die Dachsanierung durchgeführt.
Der Premierentag der Stücke ist stets der Pfingstmontag, der in diesem Jahr auf den 20. Mai fällt; nach einem gemeinsamen Festgottesdienst in der Pfarrkirche St. Jakob – im Festjahr des heiligen Bruder Konrad wird ihn Br. Marinus Parzinger, Guardian am gleichnamigen Kapuzinerkloster in Altötting halten – geht es dann über die Straße ins Theater zur Aufführung. Fünf Wochen lang steht das Stück auf dem Spielplan, jeweils am Freitagabend und am Sonntagnachmittag. 130 Jahre nach dem Tod Bruder Konrads und 90 Jahre nach seiner Heiligsprechung heißt es heuer in Bad Endorf „Bruder Konrad. Mit großem Vertrauen.“
Am Samstagmittag gegen 13 Uhr solle ich kommen, denn dann würde ich die erste, chronologische Durchlaufprobe mit Musik und Effekten des neuen Bruder-Konradstücks im Theaterhaus miterleben und die Darsteller kennenlernen können, sagt man mir. Und so machte ich mich Ende April im überraschend hereingebrochenen Schneetreiben auf, von Altötting nach Bad Endorf. Auf dem Parkplatz, im Treppenhaus, in den Räumen unter der Bühne und auf der Bühne herrschte ein freudig-erregtes, betriebsames, aber zu keiner Zeit hektisches Gewusel. Letzte Korrekturen und Ergänzungen an den Kostümen werden vorgenommen, das Licht eingerichtet und einfach noch das eine oder andere lockere Gespräch geführt. Die Konzentration steigt merklich, es wird allmählich ruhiger hinter der Bühne und auf ihren Zugängen, der Souffleur nimmt gelassen seinen Platz in seinem Kasten ein.
Zugewandt und herzlich begrüßt mich der Hauptdarsteller Konrad Hamberger, der seinen Namenspatron Bruder Konrad spielt, die Regisseurin und Autorin des neuen Stücks, Paula Aiblinger, bindet mich sofort in das Geschehen ein, erklärt und macht mich auf Besonderheiten wie die Musikelemente des Burghauser Theologen Konrad Raischl aufmerksam, trotz aller sichtbarer Nervosität. Sie ist einfach ein Theaterprofi, langjährig erprobt als Hauptdarstellerin großer weiblicher Heiligenfiguren, als Stückeschreiberin fachlich und inhaltlich enorm versiert und theologisch gut beraten. „In das Leben des heiligen Bruder Konrad habe ich mich intensiv eingelesen. Mir ist wichtig, dass ich ihn auf der Bühne als den Menschen mit all seinen Facetten zeigen kann, der er war. Vom Parzhamer Hoferben Johann Birndorfer über den Kapuzinernovizen in Burghausen bis hin zum Klosterpförtner in Altötting. Es gab nicht viele Brüche in seinem Leben wie bei anderen Heiligen, aber interessante Konstanten. Besonders fasziniert hat mich seine Vorurteilslosigkeit, seine Toleranz.“ Hier gibt es keine süßlich-verklärte Legende, sondern eine zeitgemäße Auffassung eines Heiligen, der vielleicht noch oder wiederentdeckt werden will. Und Paula Aiblinger hält es bei ihrem Stück und bei ihrer Theaterarbeit mit demselben Gottvertrauen wie es dem hl. Bruder Konrad schon zu seinen Lebzeiten nachgesagt wurde: „In Gotts Nam, es wird scho wern!“
„Bruder Konrad. Mit großem Vertrauen.“ – Karten und Kontakt
- Persönlich: Theaterkasse im Theaterhaus, Rosenheimer Straße 6, 83093 Bad Endorf, Öffnungszeiten: Montag und Freitag (außer Feiertag) von 9 bis 13 Uhr
- Telefon: 08053 – 3743
- E‑Mail: karten@theater-endorf.de
Hölzerne Kulissenelemente werden noch schnell an ihren eigentlichen Platz geschoben und letzte Requisiten auf Tisch und in der Stube platziert, die Anwesenheit der Schauspieler abgefragt und warmer Kaffee verteilt. Paula Aiblinger ist überall, mal kommt sie rechts, mal links von der Bühne. „Heute ist wichtig, dass alle einen ersten Überblick, ein Gefühl für das Stück, seine Dauer und die Bedeutung einzelner Szenen bekommen. Die Gewandmeisterinnen sehen jetzt, was noch fehlt und ergänzt werden muss oder einfach nicht passt. Auf die schauspielerische Leistung kommt es heute nicht an“. Die quirlige Pensionistin, ehemals am Finanzamt in Rosenheim tätig, sieht alles, merkt alles und steht gleichzeitig im ständigen Austausch mit dem Bühnentechniker, der eingesteht, dass man doch auf manche Finessen heute nicht zugreifen könne. Der zuständige Mann habe heute wie ausgemacht frei, sein Kind morgen Erstkommunion.
Es ist bitterkalt im Zuschauerraum, der Atem gefriert in der Luft, viele der Mitspieler tragen warme Winterstiefel oder wärmen sich in dicken Daunenanoraks oder Wintermänteln auf, die das Bühnengewand darunter nur erahnen lassen. Allmählich leert sich der Bühnenraum, die Schauspieler der ersten Szene ziehen sich zurück, der Blick fällt auf die Stube der Familie Birndorfer in Parzham. „Schauen Sie auf den grünen Kachelofen“, sagt Peter Bichler, zweiter Vorstand der Theatergesellschaft und selbst ein Aktiver, und deutet auf die Bühne. „Der ist dem auf dem Venushof originalgetreu nachgebaut, wir waren extra in Parzham, uns ist es wichtig, dass alles so echt wie nur möglich wirkt.“ Bichlers Sohn Florian spielt das Kind Hansl Birndorfer und wirkt trotz seiner jungen Jahre, bereits ziemlich abgeklärt. Nervosität scheint ihm fremd. Sein Vater erklärt, dass ein Stück über den hl. Bruder Konrad in Bad Endorf zum fünften Mal gegeben werde, 1955 hatte man damit begonnen. Die Begegnung mit Altöttinger Kapuzinern spiele von jeher eine besondere Rolle, das sei der gesamten Theatertruppe eine Herzensangelegenheit. Der Heilige sei auch auf der Vereinsfahne der Theatergesellschaft eingestickt, der Besuch in Altötting und auf dem Venushof im Aufführungsjahr sei ihnen Verpflichtung.
„Als Kinder haben wir in unseren Auftrittspausen immer gezählt wie viele Busse mit wie vielen Kapuzinern zu uns ins Theater kommen“, erzählt Konrad Hamberger lachend. Er ist 46 Jahre alt, und seit vier Dekaden aktiv auf den Endorfer Bühnenbrettern zuhause. Seine erste Rolle war die des Hans-Irgl Birndorfer, des Bruders des späteren Heiligen. Es berührt ihn sehr, dass er als Bruder Konrad zusammen mit Gerhard Kristen, dem Konraddarsteller seiner Kindheit, auf der Bühne stehen darf. „Er war für mich nicht mehr der Gerhard, sondern der heilige Bruder Konrad“, erinnert sich Hamberger an sein erstes Bühnenerlebnis. Gerhard Kristen spielt in diesem Jahr den Novizenmeister. Zu den Theaterern sei er über seine ältere Schwester gekommen – Annemarie Ramoser, ein Urgestein der Theatergesellschaft und heute Ehrenmitglied, habe ihn und auch andere Kinder motiviert, sich auf die Bühne zu wagen.
„Ich spiele den Konrad das erste Mal. Für mich ist das eine besondere Ehre, er ist doch mein Namenspatron“, bekennt der gelernte Automobilkaufmann. Paula Aiblinger habe ihn mit Literatur und Videos versorgt, um sich der Rolle annähern zu können, aber letztendlich sei es doch die Vorbereitungsfahrt nach Altötting und Parzham gewesen, die einen manches noch einmal anders wahrnehmen ließe. „Das fließt in meine Rolle mit ein, das macht was mit einem, wenn man durch das Geburtshaus in Parzham geht, auf dem Boden der Geschichte, den Geist, den man dort spürt. Und wenn man in der Konradkirche vor ihm steht“. „Ich kann Konrad verstehen, tu mich aber schwer sein Denken und Handeln, sein „Machenzumüssen“ in der jetzigen Zeit ganz nachvollziehen und einordnen zu können“, gibt er zu, „Abschauen sollte man sich von Konrad seine Vorurteilslosigkeit, sein Gottvertrauen und dass er keinen, sei er noch so schuldig oder schwierig, aufgegeben hat. Das ist schwer“.
Die Begegnung in Altötting mit Br. Marinus Parzinger hat ihn ebenfalls beeindruckt. Die gegenseitige Wertschätzung bedeutet auch dem Guardian etwas, der schon gespannt auf die Premiere blickt: „Ich finde allein schon die Wahl des Titels eine gute Transferleistung: Mit großem Vertrauen – das ist das, was Menschen heute brauchen. Der Pförtner hat das ausgestrahlt.“ Bei Br. Marinus haben die Theaterer bei ihrem Besuch in der Wallfahrtsstadt den Eindruck hinterlassen, der auch bei der Durchlaufprobe in Endorf spür- und erkennbar war. „Die Spieler halten gut zusammen, sind motiviert, freuen sich auf das Stück und identifizieren sich mit dem Br. Konrad. Die Theatergesellschaft macht daraus keine missionarische Aktion. Aber ich spürte durchaus den Ehrgeiz, Br. Konrad als ‚Propheten unserer Zeit‘ rüberzubringen“. Konrad Hamberger ist wie seine Mitspieler den Altöttinger Kapuzinerbrüdern zutiefst dankbar. Der Orden hat die Theatergesellschaft nicht nur mit Kutten und Zingula (Gürteln) ausgestattet, sondern stand auch bei der inhaltlichen und theologischen Überarbeitung des Stückes hilfreich zur Seite. Und so werden sich am Pfingstmontag wohl mit Br. Marinus Parzinger auch weitere Ordensmänner aus dem Konradkloster auf den Weg ins Chiemgau machen. Denn wie sagten Hauptdarsteller und Kapuziner unabhängig voneinander: „Bruder Konrad, der macht etwas mit einem.“
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank