Keine Frage: Die Kirche ist in einer Krise. Andererseits: Sie ist auch in Bewegung: Kaum ein Bistum in Deutschland, das derzeit nicht in einem Reformprozess unterwegs wäre. Je nach Schwerpunkt steht dabei die strukturelle oder die geistliche Erneuerung im Focus. Die Diözese Passau hat beides auf die Agenda gesetzt. Und die Caritas ist mit im Boot.
„Neuevangelisierung“ heißt die eine große Überschrift in Passau, „pastoral-strukturelle Erneuerung“ die andere. Wie die zwei zusammenhängen, und was die Caritas damit bzw. darin zu tun hat, war Thema des Studientags „Diakonia in den Pastoralen Räumen“, zu dem die diözesane Abteilung Fort- und Weiterbildung und die Gemeindecaritas (GC) eingeladen hatten. Ein „Forum für Austausch und Anregungen“, so stellt sich der Leiter der Abteilung Fortbildung, Dr. Anton Cuffari, dieses neue Vernetzungs-Format vor. Es gehe ums „Hinschauen“ auf die Situation und die Entwicklungen in den Pfarreien, und vor allem ums „Hinhören“: Auf die Nöte der Menschen und die Hilfen, die sie brauchen, und auf die Erfahrungen mit neuen diakonischen Projekten und Initiativen.
„Wer in der Pandemie übersehen wurde.”
Dass sich „Neuevangelisierung“ nicht nur auf Glaubensverkündigung und Gottesdienstfeier beziehen soll, sondern „selbstverständlich“ auch auf tätige Nächstenliebe und Teilhabe, darauf wies Diakon Mario Unterhuber in seinem Impulsvortrag hin. Er ist als Referent für Gemeindecaritas in den Dekanaten Pfarrkirchen und Simbach seit Jahren unter anderem mit Caritas-Gottesdiensten unterwegs: Darin berichten Haupt- und Ehrenamtliche von Sorgen und Schicksalen, denen sie in ihrem sozialen Umfeld begegnen, aber auch von ihrer persönlichen Motivation, den Mitmenschen zu helfen und sie zu begleiten. So komme im Gottesdienst (Liturgia) ein Glaubens-Zeugnis (Martyria) zur Sprache, das von Nächstenliebe (Caritas) und Gemeinschaft (Koinonia) handle.
Mit Auszügen aus dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter lud GC-Fachbereichsleiter Konrad Haberger zu Erfahrungsberichten aus der pastoralen Praxis ein. Wenn es bei Lukas etwa heißt: „Er sah ihn und ging vorüber“ – wo passiere das auch im Hier und Heute? In der Pandemie, merkte dazu ein Pfarrer an, seien besonders alte Menschen in Gefahr gewesen, „übersehen zu werden“. Im Nachhinein sei (selbst-)kritisch zu bewerten, dass sich manche Seelsorger/innen allzu „angepasst“ an die strengen Lockdown-Vorschriften gehalten hätten. Andererseits war auch von Beispielen zu hören, wo Haupt- und Ehrenamtliche viel Herzblut gezeigt hätten, um Kontakte zu halten und Vereinsamung zu verhindern. Gerade die „organisierte Caritas“ habe sich vor Ort vielfach in „gelebter Diakonie“ bewährt.
„Von gelebter Diakonia erzählen.”
In den größer werdenden Pastoralen Räumen werde – wie schon in den bisherigen Pfarrverbänden – die Frage der „Identität“ wieder virulent, betonten Mitarbeiter der Gemeindecaritas. Erfahrungsgemäß gebe es bei Strukturreformen auch Angst vor Verlust an Selbständigkeit und vor Anonymisierung. Die Caritas-Treffen von Haupt- und Ehrenamtlichen, die seit geraumer Zeit regelmäßig auf Dekanatsebene veranstaltet werden, bildeten hier einen Gegenpol: Die Erfahrung, mit „gleich Gesinnten“ diakonisch unterwegs zu sein, stärke sowohl den Gemeinschafts-Geist in einer Region als auch die persönliche Motivation. Mitunter werden die neu entstehenden Pastoralen Räume auch als Chance gesehen: Wo sowohl Priester und hauptamtliche Seelsorger/innen als auch Ehrenamtliche zahlenmäßig weniger werden, sei es natürlich geboten, „Kräfte zu bündeln“, sich über bisherige Pfarreigrenzen hinweg zu vernetzen und diakonisch-pastorale Aktionen gemeinsam anzugehen.
Zum Beispiel bei der Firmvorbereitung: Nachdem Bischof Stefan Oster das Projekt „Firmung ab 16“ auf den Weg gebracht hatte, lieferte auch die Gemeindecaritas etliche Bausteine für neue sakramentenpastorale Konzepte, zugeschnitten auf die neue Zielgruppe und auf die regionalen Ressourcen. Beim Studientag stieß vor allem das Pilotprojekt „Junge Bettler/innen“ des Semesterpraktikanten Leon Bangerl auf Interesse. „Junge Menschen“, heißt es in seinem Projektbericht, „sollen Erfahrungen sammeln als Caritas-Sammler/innen. Sie sollen erfahren, wie es ist, von den Leuten empfangen oder auch abgelehnt zu werden. Gleichzeitig wollen wir das soziale Engagement von Jugendlichen stärken und sie motivieren, Gutes zu tun. Auch bestehende Jugendgruppen und junge Vereine sollen einbezogen werden“. Für sein Projekt fand der Student der Sozialen Arbeit Kooperationspartner in der Ortscaritas seiner Heimatpfarrei, im Kirchlichen Jugendbüro und einer aktiven Pfadfindergruppe, mit der er sich in der Woche vor dem Caritassonntag auf den Weg machte. Sein Fazit: „Die Jugendlichen trafen ganz überwiegend auf herzliche Bürger, die bereit waren, für die Caritas zu spenden.“
Eine weitere Beispiel-Geschichte für vernetzte Diakonie kam von der Gemeindecaritas im Stadtdekanat Passau: Beim alljährlichen Projekt „Heilig Abend im Konradinum“ helfen Hauptamtliche der Caritas, der Bahnhofsmission und der Stadtverwaltung mit Ehrenamtlichen aus dem katholischen und evangelischen Dekanat sowie der alt-katholischen und der neuapostolischen Kirche zusammen. Sie laden einsame und bedürftige Menschen aus dem Stadtgebiet ein, den Heiligen Abend im Caritashaus Konradinum zu verbringen, gestalten eine Weihnachtsandacht, organisieren ein abendliches Festmenü und bescheren ihre Gäste mit liebevoll gestalteten Geschenken. (Coronabedingt wurden allerdings beim letzten Mal Essens- und Geschenkpakete „ambulant“ verteilt.)
„Geh und handle genauso“ – mit diesem Appell aus dem Samariter-Gleichnis hatte Agnes Stefenelli, GC-Referentin für Vilshofen und Pocking, ihren Einladungs-Impuls überschrieben. Und weiter gefragt: „Wie können wir genauso handeln? Wie verbinden wir Wunden? Wo sind gute Herbergen?“ Die Teilnehmenden waren sich einig: Es gibt Wunden – offensichtliche und versteckte –, und es gibt Menschen, die sie verbinden. Es gibt helfende Hände und heilsame Herbergen. Es gibt erstaunlich viele gute Geschichten von gelebter „Diakonia in den Pastoralen Räumen“. Genau diese Geschichten gehören weitererzählt, fasste Fortbildungsreferentin Barbara Maier zusammen. Der Studientag sei ein Signal, das Miteinander von Seelsorge und Caritas weiter zu vertiefen und zu konkretisieren, sprich: „Gemeinsam hinzuschauen und hinzuhören, wo was Not tut“.
Text: Konrad Haberger