Unfreiwillig Tratsch und Klatsch mitanhören zu müssen ist meist unangenehm. Wenn aber eine Passagierin am Cäcilientag (22. November) in einem Linienbus in der Wallfahrtsstadt spontan über die Musik in den Altöttinger Kirchen ins Schwärmen gerät, dann hört man genauer hin, am Tag der Kirchenmusik im November. „Der Sound in der Basilika, der haut dich einfach um. Der Chor, das Orchester, die Orgel – ich krieg jedes Mal Gänsehaut. Ich habe das im Advent zufällig für mich entdeckt, weil ich im Warmen auf Freunde wartete, wir wollten zum Christkindlmarkt. Denn eigentlich gehe ich schon lange nicht mehr in die Kirche, aber jetzt bin ich so oft dabei, wie es nur geht“. Die Frau erntet ungläubiges Nicken von ihren Mitfahrern, die tatsächlich von ihren Handys aufschauen. „Der Sound. Es ist einfach so schön, und tut mir gut“, sagt sie kurz vor dem Aussteigen leise mehr zu sich selbst als zu den im Bus Sitzenbleibenden.
Dass das gemeinsame Singen Freude macht, einem gut in der Seele tut, das sagen alle Sängerinnen und Sänger der zahlreichen Altöttinger Kirchenchöre, und zwar unisono. Sie schätzen die Gemeinschaft, den freundschaftlichen Zusammenhalt und dass man etwas Miteinander auf die Füße stellt. „Das beflügelt einen“, sagt Elisabeth Straßer. Sie singt seit 33 Jahren im Altöttinger Kapellchor, davor war sie bereits Mitglied in einem kleinen Landchor und auch im Kirchenchor in St. Josef in Altötting Süd. Im Gespräch mit Straßer über ihr Mitwirken an der Kirchenmusik kommt etwas zur Sprache, was typisch für Altötting zu sein scheint. Ob die zwei Pfarrchöre unter der Leitung von Anselm Ebner, der Kolpingchor, der Bachchor, der Kirchenchor aus Unterholzhausen, ob in Formationen wie Autingas oder in der Schola Autingensis, dem Kapellchor, den Frauenbundchören oder dem Ehemaligenchor der Schülerinnen der legendären Chorleiterin Sr. Avita Bichlmaier, die Mitgliedschaften in den Kirchenchören sind fließend. Viele singen in zwei bis drei Chören parallel und verbringen drei bis vier Tage mit nachmittäglichen oder abendlichen Chorproben.
Einfühlsame Leitung: Die erwachsenen Mitglieder des Frauenbundchors der Pfarrei St. Philippus und Jakobus fühlen sich bei Saki Tsuji (1. Bild) genauso wohl wie die Jüngsten im Kinderchor St. Josef bei Sibylle Garus. Das Ergebnis sind Freude an der Musik und begeisterte Zuhörer.
Fotos: Maximiliane Heigl-Saalfrank
Eine der Altöttingerinnen, die in drei Kirchenchören in der Wallfahrtsstadt seit vielen Jahren mitwirkt, ist Elisabeth Kindler. Sie schätze die Unterschiede, die für sie persönlich das Besondere ausmachen und sie in ihrem Alltag bereicherten. Sie ist seit über vier Jahrzehnten Mitglied im Frauenbundchor St. Philippus und Jakobus, singt im Kapellchor und in der Schola Autingensis, in der die älteste Kirchenmusik, etwa die Gregorianik und frühe mehrstimmige Chorwerke gepflegt werden. Und Kindler kennt die feinen Unterschiede der Altöttinger Kirchenchöre aus eigenem Erleben sehr genau. So haben sich die etwas mehr als 20 Sängerinnen des Frauenbundchors aus Altötting-Nord in den vergangenen Jahren ein recht umfangreiches Repertoire während ihrer vierzehntäglichen Proben erarbeitet. „Für mich ist der Probenabend wie ein Kurzurlaub, hier kann ich ganz bei mir und auch für mich sein. Es fällt, wenn ich zu singen anfange, der ganze Alltagsballast von mir ab. Beim Singen fühle ich mich frei“, erzählt eine Sängerin, die ungenannt bleiben möchte, nach der Probe im Saal des Begegnungszentrums an der Raitenharter Straße. Sie würde gerne noch mehr singen, habe aber im Moment nicht die Zeit dazu. Die Frauen des Katholischen Frauenbunds gestalten mit ihrer Chorleiterin Saki Tsuji einmal im Monat den sonntäglichen Abendgottesdienst in der Stiftspfarrkirche und treten im Krankenhaus, bei Geburtstagsfeiern und auch außerhalb Altöttings auf.
Nachwuchs für den Chorgesang zu finden ist trotz allem nicht mehr leicht. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden, langjährige Sängerinnen und Sänger machen sich dazu natürlich Gedanken, erleben sie doch hautnah mit wie schwere Krankheit und Tod ihre Sängerschar plötzlich dezimieren können. Auch Stiftskapellmeister Stephan Thinnes, er bekleidet diese Funktion seit Juli 2020, erinnert sich mit Wehmut an einen seiner Sänger, den er wegen seiner besonderen Persönlichkeit und seiner Zuverlässigkeit sehr vermisst. „Das geschieht gerade an den Feiertagen wie Weihnachten, wenn ich mich daran erinnere, was wir noch im letzten Jahr miteinander gestaltet haben“. Die Corona-Pandemie sei für alle, den Kapellchor wie auch die dazugehörigen Orchestermusiker, eine Herausforderung gewesen, im positiven wie im negativen Sinne. „Wir nutzten die Gunst der Stunde, wenn man so sagen darf, um kammermusikalischer aufzutreten. Unsere sechs Solisten gaben ihr Möglichstes, mit Maske und den einzuhaltenden Abständen. Aber ich probierte auch mit meinem kleinen Ensemble Neues aus, etwa für die Christmette, in der nur Sopran und Tenor zum Einsatz kamen, die Messebesucher durften ja nicht singen. Einige Stücke habe ich dann neu geschrieben. Sobald es ging, nahmen wir unsere Proben wie gewohnt wieder auf“, blickt Thinnes auf die vergangenen Jahre zurück. Bleibend geändert hat sich für den Kapellchor und das Kapellorchester der Probenrhythmus, sie kommen nur mehr alle zwei Wochen zusammen. „Es bleibt jetzt mehr Zeit zum Proben,“ sagt der Stiftskapellmeister. Sein Chor umfasst im Moment zwischen 25 bis 30 aktive Sänger jeglichen Alters, einige kommen auch von auswärts, etwa von Simbach am Inn, dem vormaligen Wirkungskreis von Thinnes. „Der Sopran ist am besten besetzt, Männer sind Mangelware, gerade im Bereich des Tenors, sie wachsen leider nicht auf den Bäumen“, gibt Stephan Thinnes schmunzelnd zu. Warum aus den Kinderkirchenchören wenige in die Kirchenchöre im Erwachsenenalter überwechselten, auch in Altötting, darüber wundere er sich selbst, könne sich das aber nicht so ganz erklären.
Zu Ehren der heiligen Cäcilia: Am 22. November, dem Gedenktag der Schutzpatronin der Kirchenmusik sangen drei Chöre gemeinsam in der Stiftspfarrkirche Altötting.
Fotos: Roswitha Dorfner
Die Nachwuchsarbeit im Kirchenchorgesang wird in der Wallfahrtsstadt seit zwei Jahrzehnten wieder sehr gefördert. 2003 begründete das Altöttinger Marienwerk die Altöttinger Kapellsingknaben wieder, deren Anfänge um 1490 erstmals schriftlich erwähnt wurden, ihre tatsächliche Geschichte dürfte aber wohl bis ins das frühe 13. Jahrhundert zurückreichen. Eine Mädchenkantorei kam wenig später dazu. Derzeit singen um die 100 Kinder und Jugendliche unter der Leitung von Herbert Hager in verschiedenen Ausbildungsstufen. Ihr Repertoire umfasst geistliche Werke und weltliche Lieder, stilistisch wendet sich die Chorgemeinschaft einer Vielzahl von Musikepochen gekonnt und hochprofessionell zu. In der Vorweihnachtszeit präsentieren die Altöttinger Kapellsingknaben und die Mädchenkantorei traditionell ein festliches Adventskonzert mit hochkarätigen Gästen in der St. Anna-Basilika, so auch in diesem Jahr am 10. Dezember mit dem Kammerorchester viva musica aus Salzburg und der Mühldorferin Eva Barbarino an der Orgel.
Auch die Altöttinger Pfarreien versuchen, die Kirchenchorarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu pflegen – die Begeisterung ist bei den mitwirkenden Kindern und Jugendlichen groß und das Engagement enorm. Lebhaftes Zeugnis legt die kleine Chorformation der Pfarrei St. Josef in Altötting-Süd, unter der Leitung von Sibylle Garus, ab. Der Kinderkirchenchor besteht seit 2015 und wurde auf Anregung von Pfarrvikar Deva Gudipalli gegründet. Die zehn Sängerinnen und Sänger werden bei ihren freitäglichen Proben im Pfarrheim von einem Gitarristen begleitet, der Spaß, den alle Beteiligten haben, ist deutlich hör- und sichtbar. Schuld daran dürfte nicht nur die versprochene Schokolade sein, die es nach den Proben gibt, sondern einfach die freundliche Ausstrahlung der Chorleiterin, die aufgeräumt heitere Stimmung und das sich sofort einstellende Gefühl, in dieser kleinen Runde angenommen und angekommen zu sein.
Alle sind sich einig, dass ihnen das Miteinandersingen in diesem Kreis einfach gefällt, ihre Fixpunkte, an denen sie im Kirchenjahr auftreten, sind ihnen heilig. Das merkt man ihrem Probeneifer an und ganz besonders der Detailfreude ihrer Erzählungen über die Adventskranzweihe, die Kindermette, die Kinderauferstehungsfeier und ganz besonders über die Blühwiesenmaiandacht, zu der auf eine Blühwiese in der Nähe des Altöttinger Flugplatzes geradelt wird.
Die Kirchenchorlandschaft in Altötting ist lebendig, vielfältig und freut sich auf jeden, der gerne singt, wie Anselm Ebner, Chorleiter der beiden Pfarrchöre in Altötting-Nord und Süd, nicht müde wird, zu betonen. „Es ist für jede, für jeden etwas dabei, unabhängig von der Stimmlage. Unterschiede gibt es nur in den Chortraditionen, etwa was die Geselligkeit nach den Proben anbelangt“, sagt Ebner mit einem Augenzwinkern. „Das Wichtigste ist, dass das Singen Spaß macht und sie für sich etwas mitnehmen“. Der heiligen Cäcilie, der Patronin der Kirchenmusik, hätte es in Altötting ganz sicher gefallen. Und das nicht nur an ihrem Ehrentag, am 22. November. Und so sollte der Applaus, zu dem Stadtpfarrer Dr. Metzl anlässlich der Cäcilienmesse die Besucher ermunterte, um den Chören, Musikern und ihren Dirigenten zu danken, eigentlich nie verhallen.
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank