Finden Sie Kirchen eigentlich auch besonders cool zurzeit? Für mich sind sie es definitiv. Wenn Sie mir nun angesichts von Skandalen und Gläubigenschwund hitzebedingte Verwirrung vorwerfen, liegen Sie gar nicht mal ganz falsch. Denn bei 29 Grad im Büro und tropischer Luftfeuchtigkeit sorgt selbst das tippen dieses Textes für Schweißperlen.
Wie gut ist es da, dass wir in unserem Land so viele wunderschöne alte Kirchenbauwerke haben – mit dicken, kühlenden Mauern und hohen Räumen. Hier kann nicht nur die Seele atmen, sondern auch der von Sommerhitze geplagte Mensch durchschnaufen. Ganz im Sinne von „TV-Wissenschaftler“ Harald Lesch, der im ZDF neulich beim Besuch einer Kirche sagte: „Hier kannst du offline sein – und online mit dir selbst.“ Ich würde es noch erweitern: „und online mit Gott“. Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden – aber wie schön wäre es doch, viele Menschen entdeckten diesen besonderen Raum für sich, vielleicht erstmals, oder nach langer Zeit wieder? Ich erwische mich bei dem Gedanken „Könnte man so nicht mehr Besucher in die Kirchen bekommen“?
Nach kurzer Recherche merke ich: Die Idee hatte ich nicht allein und schon gar nicht als Erster. Mindestens im vergangenen Jahr öffneten etliche Kirchen quer durchs Land ihre Pforten, um Passanten eine kühlende Auszeit zu ermöglichen. Manche teilten sogar Trinkwasser aus. In der Erzdiözese Wien lädt Kardinal Christoph Schönborn heuer die Menschen im Rahmen des Projekts „Offene Kirche“ aktiv ein: „Wenn es in der Wohnung oder beim Stadtspaziergang zu heiß wird – setzen Sie sich doch einfach in eine Kirche! Nehmen Sie sich ein gutes Buch mit oder genießen Sie die Stille. Dem lieben Gott sind alle willkommen.“ Bis Ende September noch öffnen in Wien und Niederösterreich außerdem viele Pfarrgärten als „Klimaoasen“ für alle, die auf der Suche nach Abkühlung und Ansprache sind.
„Ich komme in die Kirche und spreche leiser. Selbst wenn gar niemand sonst da ist. Das ist ein echter Brecher des Zeitstroms. Das ist so eine Wellnessoase für die Seele, ohne dass die Seele baumelt. Man kommt zu sich.”
Bedenken gegen eine solche Öffnung und Nutzung von Kirchenräumen gibt es einige. So seien Kirchen in erster Linie da für Gottesdienst, Andacht und Gebet. Auch müsse man möglichen Vandalismus bedenken. Natürlich – aber ließen sich für solche Projekte nicht (neue) Ehrenamtliche gewinnen? In den Wiener Klimaoasen ist die Caritas mit vielen Freiwilligen aktiv. Wichtiger als die Frage nach dem, was nicht geht, finde ich ohnehin die Fragen, die sich der Papst beim Angelus am 27. November 2022 stellte: „Wie kommt der Herr? Und wie können wir ihn erkennen und willkommen heißen?“ Franziskus‘ Antwort: „Er ist da, in unserer täglichen Arbeit, in einer zufälligen Begegnung, im Gesicht eines Menschen in Not, selbst, wenn uns die Tage grau und eintönig erscheinen, genau da ist der Herr“.
Welche Chancen für Begegnung und Ansprache liegen doch in solchen Klima-Projekten … Dergestalt einladend wirkt Kirche vielleicht auch auf Zweifelnde cool – nicht nur im reinen Wortsinn. Und nun gehe ich leicht überhitzt aus dem Büro runter in die nahe Kirche, um mich kurz zu sammeln, ein paar Worte mit Gott zu wechseln – und um mich ein wenig abzukühlen.
Wolfgang Terhörst
Redaktionsleiter