Wenn in Bayern von einer „sauberen Gesellschaft“ gesprochen wird, dann hat das etwas Hintergründiges, ja, mitunter sogar Abwertendes. In unserer Wegwerfgesellschaft darf diese Bezeichnung als das verstanden werden, was sie ist: eine wenig schmeichelhafte Umschreibung für ein Volk, das gerne und viel wegwirft. Allein hierzulande werden so viele Lebensmittel auf den Müll geworfen, dass sich davon andernorts ein hungerndes Volk sattessen könnte. Haufenweise weggeworfen werden Beziehungen – nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern ganz „praktisch“ mit ein paar Klicks auf dem Smartphone. Neuerdings wird noch etwas weggeworfen: die Erinnerungskultur.
„Das interessiert doch heute keinen mehr, das ist alles schon so lange her“, lauten gelegentlich oberflächliche Kommentare, wenn es darum geht, über die verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges nachzudenken und das Erinnern daran wachzuhalten. Dieser Tage startet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wieder seine Haus- und Straßensammlung, um Geld für die Pflege deutscher Soldatenfriedhöfe zu sammeln. Von der Wüste Nordafrikas bis zum Polarkreis, vom Atlantik bis zum Ural liegen Väter, Ehemänner und Brüder begraben. Nein, mit „Heldenverehrung“ hat die Sorge um Kriegsgräber nichts zu tun. Es gilt der in Stein gemeißelte Satz: „Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung!“
„Lieber mit einem Bein in der Heimat als mit zwei Beinen im Grab!“ Diesen Wunsch hat so mancher Soldat ausgesprochen. Die wenigsten von ihnen wollten den „Heldentod“ sterben, wie es die Kriegspropaganda romantisierend aufs Sterbebild drucken ließ: „Süß und ehrenvoll ist der Tod fürs Vaterland.“ Die Wirklichkeit war eine andere. Ein Feldpostbrief von 1914 erzählt die ungeschminkte Wahrheit: „Lieber Vater, ich bitte Dich, sende mir etliche Zigarren, denn wir müssen viel rauchen wegen der schlechten Luft, die durch von so vielen toten Menschen und Pferden entsteht. Dein Georg.“
Oft genug wurden (und werden) Kriege im Namen Gottes geführt. „Wir ziehen nun in den Krieg, und mit Gottes Hilfe werden wir siegen“, heißt es martialisch aus der Türkei. Dieses Land überrennt gerade einen Teil von Syrien. „Man führt nicht Krieg im Namen Gottes“, sagt Papst Franziskus.
Die Ernte des Krieges fällt immer gleich aus: Tod, Flucht, Vertreibung. Deutschland hat im UN-Sicherheitsrat ein Ende der türkischen Militäroffensive in Syrien gefordert. Und dabei betätigt sich die Bundesrepublik selbst als Handlanger des Todes: So hat die Türkei in den ersten vier Monaten dieses Jahres Kriegswaffen für 184,1 Millionen Euro aus Deutschland erhalten. Dieselben Leute also, die sich in Person der schwarz-roten Bundesregierung als Waffenschieber betätigen, sprechen gebetsmühlenartig davon, dass Fluchtursachen vor Ort bekämpft werden sollen. Mit deutschen Panzern? Befindet sich unsere Politiker-Kaste tatsächlich in dem naiven Glauben, dass Kriegswaffen zum Sandkastenspielen gebraucht werden? Was für eine Heuchelei!
Recep Tayyip Erdogan, der sich auf permanentem Kriegsfuß auch mit der eigenen Bevölkerung befindet, missachtet das Völkerrecht. Damit sich die Europäische Union in der Flüchtlingsfrage wie Pontius Pilatus die Hände in Unschuld waschen kann, schickt sie Abermilliarden an Euro in die Türkei, damit Kriegstreiber Erdogan 3,6 Millionen Syrer in Lagern „parkt“ und damit letztlich die Rolle des Erpressers einnehmen kann. Mit diesem Geld finanziert der Diktator vom Bosporus (s)einen Krieg und baut (s)einen Polizeistaat aus. Und das politische „Spitzen“-Personal der EU, das sich freiwillig in die Hand dieses Schurken begeben hat, lässt sich wie ein Stier am Nasenring vorführen.
Wer sich an Kriegen – direkt oder indirekt – beteiligt, sollte Soldatenfriedhöfe besuchen. Nirgendwo besser, nirgendwo eindringlicher, nirgendwo bewegender ist der Wahnsinn des Krieges zu spüren. Wälder aus Steinkreuzen mahnen dort zum Frieden.
Auf einer Reise durch Russland habe ich mich mit Galina Chmylkowa unterhalten. Die linke Seite ihrer Kostümjacke ist über und über mit Orden behängt. Sie musste den Zweiten Weltkrieg mitmachen. Als spätere Lehrerin gab sie ihren Schülern mit auf den Weg: „Schlechte Freundschaft ist besser als guter Krieg.“