Glaube und Tradition

Ein Paradies im Kleinen

Redaktion am 02.12.2024

2024 12 02 pb alb paradeiser workshop Foto: Michael Glaß
Beliebte Alternative zum Adventskranz. Ausstellung (Ludwigstraße 12), die noch bis zum 6. Januar läuft. Im Rahmen der Ausstellung „Paradeiserlzeit – Weihnachten wie es früher war“ im Stadtmuseum Neuötting veranstaltete Melanie Pröpster (Inhaberin „Mellys Blumentraum“) einen Paradeiser-Workshop.

Der schönste Exportartikel aus dem Bayerischen Wald: Das Paradeiserl.

Auf ein­mal war es wie­der da, gefühlt Mitte/​Ende der 1990er-Jah­re, in Volks­hoch­schul­kur­sen, bei katho­li­schen Frau­en­ge­mein­schaf­ten, im advent­li­chen Hoagart ört­li­cher Trach­ten­ver­ei­ne, in Radio- und Fern­seh­bei­trä­gen. Ja, selbst Land­wirt­schafts­schu­len, haus­wirt­schaft­li­che Berufs­schu­len oder Lehr­gän­ge für erzie­he­ri­sche Beru­fe nah­men es in ihre Lehr­plä­ne auf. Der Zuspruch schien enorm. VHS-Dozen­tin­nen stell­ten War­te­lis­ten auf, Fahr­ge­mein­schaf­ten volks­kund­lich Inter­es­sier­ter bil­de­ten sich, um, den schlech­ten Stra­ßen­ver­hält­nis­sen zum Trotz, vor dem Advent noch einen der begehr­ten Bas­tel- und Bin­de­kur­se besu­chen zu können.

Das urplötz­lich auf­ge­tre­te­ne Inter­es­se galt einem eigen­tüm­li­chen, wie eine Pyra­mi­de aus­se­hen­den, Holz­ge­stell aus Wei­den- oder Hasel­nuss­ste­cken, roten Äpfeln, drei roten, bis­wei­len auch lit­ur­gisch kor­rek­ten, vio­let­ten Ker­zen sowie einer ein­zel­nen in Rosa für den Gau­de­te-Sonn­tag und jeder Men­ge Buchs. Para­deis­erl sag­te man dazu. Es sei die alt­baye­ri­sche, längst ver­ges­se­ne Ver­si­on des ursprüng­lich evan­ge­li­schen Advents­kran­zes, hieß es damals. Man­che woll­ten es auch als Vor­läu­fer des, eben­falls in evan­ge­li­schen Fami­li­en, bevor­zug­ten Weih­nachts­baums verstehen.

„Paradeiserlzeit“ – Ausstellung in Neuötting

Im Stadt­mu­se­um Neuöt­ting (Lud­wig­stra­ße 12) läuft noch bis zum 6. Janu­ar die Aus­stel­lung Para­deis­erl­zeit – Weih­nach­ten wie es frü­her war“. Mehr Infos zur Aus­stel­lung im Inter­net unter www​.stadt​mar​ke​ting​.neu​oet​ting​.de.

Sie lagen mit ihrer Ver­mu­tung gar nicht so falsch, denn die Sym­bol­kraft der Far­be Grün als Far­be des Lebens, der Win­ter­sonn­wen­de und des nahen­den Früh­jahrs ist bereits seit der Anti­ke bekannt. Die Römer fei­er­ten zwi­schen dem 17. und 23. Dezem­ber die Satur­na­li­en, zu Ehren Saturns. Er galt als Herr des Gol­de­nen Zeit­al­ters, eines idea­len para­die­si­schen Zustands. Geschen­ke wur­den aus­ge­tauscht, Orgi­en gefei­ert und Rol­len­spie­le ver­an­stal­tet, aber auch immer­grü­ne Bäu­me wie Zypres­sen oder Lor­beer geschmückt, die als Frucht­bar­keits- und Lebens­zei­chen ange­se­hen wurden.

Dass die frü­hen Chris­ten den Gedenk­tag für Adam und Eva auf den 24. Dezem­ber leg­ten, mag und kann ein Zufall sein. Fest­hal­ten soll­te man aber den Gedan­ken, dass die bei­den ers­ten Men­schen das para­die­si­sche Ide­al ver­las­sen muss­ten, weil sie von einem immer­grü­nen Para­dies­baum, dem Baum der Erkennt­nis, einen Apfel geges­sen hat­ten. Die Wirk­mäch­tig­keit des Apfels oder auch des Gra­nat­ap­fels, bota­nisch gese­hen eine Bee­re, taucht in vie­len Tex­ten, Lie­dern und Legen­den auf. Er galt als das Sym­bol der Lie­be, Frucht­bar­keit und des ewi­gen Lebens schlecht­hin, wird aber bis zum Mit­tel­al­ter in der christ­li­chen Sym­bo­lik nur mehr als ver­bo­te­ne Frucht gesehen.

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Beliebte Alternative zum Adventskranz. Im Bild Irmgard Schwarzenböck vor einem von ihr gebastelten Paradeiserl in der aktuellen Ausstellung „Paradeiserlzeit – Weihnachten wie es früher war“ im Stadtmuseum Neuötting.

Theo­lo­gisch ent­wi­ckelt sich im 11. Jahr­hun­dert die Vor­stel­lung des Apfels als einer Frucht der Gna­de, die die Lie­be zwi­schen Chris­tus als dem neu­en Adam“ und der Kir­che, ver­kör­pert durch Maria als der neu­en Eva“, ver­sinn­bild­licht. Der Apfel in der Hand Mari­ens ist jetzt, so kann man nach­le­sen, Sym­bol der Über­win­dung des Todes und der Erlö­sung von der Sün­de“ gewor­den. Nicht nur die Madon­nen­plas­ti­ken aus die­ser Zeit kün­den von der neu­en Sicht­wei­se, auch in den Kir­chen wer­den für die Para­dies­spie­le, die am 24. Dezem­ber, vor den Krip­pen­spie­len statt­fin­den, Nadel­bäu­me aufgestellt.

Im Para­dies­spiel pflückt Eva dann von Tan­ne oder Fich­te, dem sym­bo­li­schen Para­dies­baum, einen roten Apfel. Hier ist sicher­lich eine der Wur­zeln des Para­deis­erls zu sehen. Im Böh­mi­schen und in Schle­si­en kennt man ähn­li­che advent­li­che Auf­bau­ten, auch der erz­ge­bir­gi­sche Schwib­bo­gen erzähl­te ursprüng­lich die Geschich­te der Ver­trei­bung aus dem Para­dies. Ob man tat­säch­lich in ganz Alt­bay­ern und dar­über hin­aus im alpi­nen Raum bis hin­un­ter nach Süd­ti­rol die Apfel­py­ra­mi­de kann­te, lässt sich nicht sagen. Dort scheint mehr der hei­li­ge Niko­laus mit sei­nen Gaben im Vor­der­grund gestan­den zu sein.

Die wis­sen­schaft­li­che Quel­len­la­ge zum Para­deis­erl ist über­schau­bar, münd­li­che Über­lie­fe­run­gen über das Brauch­tum selbst stam­men meist erst aus der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Holz­ar­bei­ter aus Süd­ti­rol und Öster­reich, die wäh­rend des 1870er-Krie­ges zuwan­der­ten, um den enor­men Baum­bruch in baye­ri­schen Wäl­dern zu besei­ti­gen, sol­len das Para­deis­erl mit­ge­bracht haben.

Ver­mut­lich liegt die Wie­ge des weih­nacht­li­chen Tisch­schmucks aber im Baye­ri­schen Wald, in der Gegend um Cham. Dort und im fer­nen Mün­chen – vie­le Fami­li­en aus dem armen Osten der Ober­pfalz such­ten Ende des 19. Jahr­hun­derts ihr Glück und Aus­kom­men in der Haupt­stadt – spiel­te das weih­nacht­li­che Deko­ra­ti­ons­ob­jekt für die ein­fa­chen Leu­te eine gro­ße Rol­le, noch bis Anfang der 1930er-Jah­re. Tat­säch­lich ist die Nähe zum Legerl, einem typi­schen Advents­brauch der Wald­ler, augen­schein­lich. Noch vor 70 Jah­ren wuss­te man im obe­ren Baye­ri­schen Wald genau um die Bedeu­tung der Ele­men­te, die das Münch­ne­ri­sche Para­deis­erl bereits ver­lo­ren hat­te. So stan­den ursprüng­lich in der Mit­te der Pyra­mi­de Mann, Frau und Kind aus Klet­zen geformt oder Teig geba­cken. Die Buchs- oder Tan­nen­zwei­ge ent­lang des Bodens sind mit vier Sym­bo­len zu ver­zie­ren – mit einer Son­ne, gefloch­ten aus Stroh, als Zei­chen der Wie­der­kehr, sowie Äpfeln und Zel­ten als Zei­chen des Schick­sals, der Frucht­bar­keit und des Lebens.

Sich an Weih­nach­ten das Para­dies im Klei­nen nach Hau­se holen zu kön­nen, ist eine tröst­li­che Sache – heu­te wie schon vor mehr als 150 Jah­ren in den weni­ger fei­nen Münch­ner Vorstädten.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

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