Die katholische Kirche in Deutschland steht schwer unter Druck. Die Menschen kehren der Institution in Massen den Rücken. Was bleibt nach dieser Zeit des Umbruchs von der Kirche übrig? Wie kann ein gangbarer Weg in die Zukunft aussehen? Antworten auf diese und ähnliche Fragen für die Kirche von Passau gab es bei den Pastoraltagungen 2021.
Passau. „Die Frage, wo die Reise hingeht, beschäftigt mich sehr“, verdeutlichte gleich zu Beginn seines ersten von zwei philosophischen Vorträgen Bischof Stefan Oster. Er machte keinen Hehl daraus, dass er den Synodalen Weg der deutschen Kirche in dieser herausfordernden Situation nicht für den Königsweg hält. Er gehöre zu denen, die die Lehre der Kirche für sinnvoll und glaubwürdig halten, weil darin viel Wahrheit stecke. Aber er spüre auch, dass die Mehrheit der Synodalversammlung anders denke: „Wir kommen damit nicht mehr durch.“
„Wir kommen damit nicht mehr durch.”
Sein anthropologischer Ansatz bei den Pastoraltagungen, die unter der Überschrift „Gemeinschaft von Gemeinschaften – Eine neue Sozialgestalt von Kirche“ standen: Es gebe einen unlösbaren Zusammenhang zwischen Selbstverhältnis, Verhältnis zum Anderen und zu Gott. Die Selbstannahme und die Selbstbejahung sei für jeden Menschen ein Lebensthema.
Erwachsene hätten verlernt, das Ich-Bewusstsein loszulassen. Doch wer das nicht schaffe, werde nie wirklich authentisch, könne nie den Grund seines Seins erreichen und so auch nie wirklich ganz beim Anderen sein. „In dem Maß, wie ich mich öffne und mein Ich-Bewusstsein loslasse, bekommt der Andere Platz in unserem Herzen.“ Doch Angst, erlittene Enttäuschung, Stolz, Selbstgerechtigkeit und der Verlust an Urvertrauen hinderten viele Menschen, ganz zu sich selbst zu kommen. „Es gibt keine Liebe, ohne den Anderen mitzutragen, mit ihm mitzuleiden“, so Bischof Stefan Oster. Wer frei sei von sich selbst, könne sich selbst verschenken. Echte Hingabe sei, wenn einer nicht frage, wer er sei, sondern wofür er da sei. „Werde, der du bist – und finde so deinen Platz in der Welt und in der Kirche!“, empfahl er. Die Kirche sei der Erlösungsraum, der dazu entscheidend beitrage, dass jemand ein offenes Herz bekomme. Sie sei die Wohnung Gottes in der Welt, die Versöhnung Gottes mit der Menschheit.
Große Worte. Aber ist in der Vielfalt der Postmoderne die Zeit der „Großen Erzählung“ nicht schon vorbei? Oder haben wir als Christen die letztgültige „Große Erzählung“, die wir gestalten und mit unserem Leben weiterschreiben können? Diese Fragen standen zu Beginn des zweiten Vortrags im Mittelpunkt. Für Bischof Stefan Oster ist die Antwort klar: Die „Große Erzählung“ sei Gottes Geschichte mit den Menschen. Und die Kirche sei die Bewahrerin dieser Erzählung. „Wir sind dazu berufen, zu helfen, dass Kirche ein Sakrament zur Versöhnung mit Gott wird.“ Im Heilsdrama sei jedem Menschen eine Rolle zugedacht, die völlig auf ihn zugeschnitten sei.
Doch in einer Zeit, in der Glaube für viele immer weniger plausibel sei, seien u.a. ein tieferes persönliches Verstehen, eine vertiefte Christusbeziehung und ein erneuertes Gebetsleben notwendig, um als Glaubender zu bestehen. „Wir brauchen Sprach- und Deutungskompetenz für unser eigenes Leben“, betonte Bischof Stefan Oster.
Kompetenz ist auch ein wichtiger Begriff im Entwurf eines Strategiepapiers, das Generalvikar Josef Ederer zusammen mit Bischof Stefan Oster, dem Bistumsrat und unter Beteiligung vieler haupt- und ehrenamtlicher Frauen und Männer ausgearbeitet hat. Das Papier soll die Grundlage für einen Prozess des Nachdenkens und Umdenkens sein, zu dem alle Pfarreien, Verbände und kirchlichen Einrichtungen eingeladen sind. Wie können wir uns heute schon vorbereiten auf eine neue Sozialgestalt der Kirche von morgen?, lautet dabei die wichtigste Frage. Bei der Suche nach Antworten soll dieses Strategiepapier, das bewusst als Entwurf gekennzeichnet ist, weil es immer noch weiterentwickelt werden soll, helfen. Es geht u.a. darum, wie man die Kräfte bündeln kann, sodass die Charismen in den größeren pastoralen Räumen sinnvoll zum Einsatz kommen. „Die Vielfalt der Menschen, die unterschiedlichen Generationen, ihre Stile und Lebensweisen erfordern heute neben der Vielfalt altbewährter auch neue Zugänge zur Eucharistie hin. Wir wollen unterschiedliche Erfahrungsräume von Gebet und liturgischem Feiern eröffnen, in denen Menschen die Gegenwart Gottes feiern und ihm die Ehre geben können“, heißt es dazu in den „Strategischen Überlegungen“, die Domkapitular Anton Spreitzer bei den Pastoraltagungen vorstellte.
Den ersten Entwurf dieses Papiers gab es Ende 2019, Anfang 2020. Bis Ostern 2023 will man sich für diesen Prozess Zeit nehmen. Geplant ist auch noch eine zweite Handreichung: „Pastorale Handlungen in Pastoralen Räumen“, quasi der praktische Unterbau, Impulse für die konkrete Arbeit vor Ort. Spreitzer ist überzeugt, dass durch die Kooperation in den größeren Einheiten auch eine größere Vielfalt bei den Gottesdienstformen möglich sein werde. Mit dem Prozess einher gehen soll eine Vertiefung und Qualifizierung der Seelsorge. Die besondere Aufmerksamkeit möchte man auf die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Familien richten. Das Bischöfliche Ordinariat wolle Beratung und Unterstützung anbieten.