Ein „neues Leben für Straßenkinder“ wollen die Salesianer Don Boscos mit ihren Projekten in Indien aufbauen. Anna-Lena Eizenhammer (19) half ein Jahr lang freiwillig mit. Dem Bistumsblatt verriet die Rottalerin ihr schönstes und schlimmstes Erlebnis.
Der Arbeitsplatz der jungen Frau war bei einem von sechs Projekten der Hilfsorganisation angesiedelt: im so genannten Shelter. Diese Einrichtung dient als Erstaufnahmestation für gestrandete Buben und junge Männer im Alter von 7 bis 18 Jahren. Den eingelieferten Straßenkindern bot Anna-Lena seelischen Beistand sowie ein Dach über dem Kopf. Wie in Indien üblich, sitzt im Shelter niemand auf einem Stuhl, sondern jeder auf dem Boden. Ihre Arbeit mit den Teenagern bezeichnet die junge Rottalerin als „Liebe auf den ersten Blick.“ Anna-Lena: „Obwohl es eigentlich kein schöner Ort ist, hat es mir im Shelter gefallen.“ Läuft alles gut, können die Kinder und Jugendlichen nach ihrem dortigen Aufenthalt zurück zu ihren Familien.
Zuletzt betreute Anna-Lena sieben Buben und Teenager. Sie half, so gut sie konnte. Einen 14-Jährigen unterstützte Anna-Lena dabei, die notwendige Brille zu bekommen. Ihre Bemühungen trugen jedoch nicht immer Früchte. So traf sie ein anderes Mal einen 15-Jährigen, um den sie sich eine Zeitlang kümmerte, auf der Straße wieder. „Er war total high“, bedauert Anna-Lena.
Hintergrund: Die Kinder, die im Shelter landen, kommen aus schwierigen Verhältnissen, oft aus Familien mit Drogenproblemen. „Natürlich strengt die Arbeit mit ihnen an“, stellt Anna-Lena klar. Dass die Rottalerin die regionale indische Sprache, Telugo, nicht gut spricht, machte die Sache nicht einfacher. Darüber hinaus war es im Südosten des Landes, wo sie wirkte, bis vor wenigen Wochen jeden Tag 50 Grad Celsius heiß. Anna-Lena: „Läuft der Schweiß nur so auf den Boden, leidet man schon.“ Trotz der fordernden Umstände betrachtet die junge Frau aus Triftern ihren Aufenthalt als „Riesenerfahrung“. Sie findet: „Meine Erwartungen haben sich mehr als erfüllt.“ Als sie einmal an ihrem freien Tag ins Shelter kam, freuten sich alle riesig. Diese positive Reaktion bestätigte sie in ihrem Tun. Ohnehin zeigt sich die junge Frau hart im Nehmen. Ihr Geheimtipp für die Arbeit: Läuse-Shampoo nicht vergessen.
Eine Stütze war ihr, dass sie vor Ort mit offenen Armen empfangen wurde. „Ich bin ein Teil der Don-Bosco-Familie“, findet Anna-Lena. Nicht umsonst stellen die „Don Bosco Volunteers“ den größten Kinder- und Jugendorden weltweit. Vor Ort wohnte die junge Frau nach ihrem Tagwerk mit anderen Freiwilligen in einer Wohngemeinschaft. Trotz „WG-Mama“ zeigt sie sich davon überzeugt: „Man wird selbstständig und richtig erwachsen.“
In ihrer Freizeit ging sie mit anderen „Volunteers“ auf Reisen. Am besten gefiel es ihr in der Provinz Kerala. „Viele Siedlungen sind dort nicht mit Straßen verbunden, sondern durch Flüsse, auf denen gondelartige Motorboote durch den Regenwald fahren“, schwärmt Anna-Lena. Als aufregend empfand sie die Zugfahrten. Einmal hatte ihre Gruppe aus Versehen für einen Nachtzug statt für sechs nur für vier Personen Tickets gelöst. Zunächst sagte der Schaffner, dass knapp 20 Euro Strafe fällig seien. Doch dann bot er an, ihm stattdessen einfach 200 Rupien auszuhändigen, also rund drei Euro. „Da habe ich zum ersten Mal jemanden bewusst bestochen“, so Anna-Lena zu dem durchaus landesüblichen Geschäft. Ihre schlimmste Erfahrung sammelte sie auch in einem Zug: Sechs Stunden lang saß sie in einem völlig überfüllten dreistöckigem Wagon. Anna-Lena: „Eine meine Begleiterinnen wurde angekotzt, und auf mich ist ein Affe gesprungen.“ Bereits eine Stunde vor der Haltestation begann ihre Gruppe, sich in Richtung Tür durchzuquetschen.
Mit Blick zurück auf das ganze Jahr empfindet Anna-Lena die Erinnerungen an die ersten drei Monate wie verflogen. Danach fühlte sie sich als Teil einer großen Gemeinschaft. „Ich bin reingewachsen und konnte bei indischen Liedern mitsingen und mittanzen“, so die Rottalerin. Heimweh bekam sie alle zwei Monate immer abends nach der Arbeit. Als bestes Mittel dagegen empfiehlt sie, „beschäftigt zu sein“.
Don-Bosco-Freiwilligendienst
In ihrem abgelaufenen Dienstjahr in Indien änderte sich ihr Blick aufs Leben. Anna-Lena: „Ich bin sehr froh, in Deutschland geboren zu sein und weiß es jetzt noch mehr zu schätzen.“ Im Unterschied dazu findet sie: „Hier in Indien haben selbst schlaue junge Leute kaum eine Chance.“
Inzwischen stand ihr Rückflug nach Deutschland an. Sie landete mit einer Maschine von Air India in Frankfurt. Ihre Eltern erwarteten sie dort sehnsüchtig. Was sie bei ihrer Rückkehr nach Triftern tun würde, verriet sie bereits in Indien: „Ich will eine Breze essen, duschen und freue mich auf mein Bett.“ Darüber hinaus plant Anna-Lena, im Herbst ein Studium für das Lehramt an Grundschulen aufzunehmen. Schließlich weiß sie: „Die soziale Arbeit macht mich zufrieden.“ Dass Anna-Lena mit herausfordernden Situationen umgehen kann, hat sie bereits mehr als bewiesen.