Hier hat er also seine Kindheit und Jugend verbracht. Hier hat er gespielt, gelernt, bei der Ernte geholfen. Hier hat er vermutlich auch irgendwann die Entscheidung getroffen: Ich gehe weg. Für immer. Der Nebel hält sich zäh an diesem Vormittag auf dem Weg von Passau nach Pelkering bei Triftern. Auf der Straße ist wenig los. Die abgeernteten Felder wirken kahl, erstarrt im kühlen Griff des Herbstes. Eine schöne Gegend, eine fruchtbare Gegend. Und doch hält das ruhige Landleben nicht jeder auf Dauer aus. Vor allem, wenn einer jung ist und das große Lebensabenteuer überall wähnt, nur nicht daheim.
Ich fahre in die Heimat von Anton Weggartner, der als Pater Possenti Weggartner von hier aus als junger Mann 1934 aufbrach ins ferne Afrika. Für ein Buch über den Missionar rede ich mit Nachfahren, zeichne auf, was ihnen nach all den Jahrzehnten noch einfällt.
Im von blutigen Bürgerkriegen zerrissenen Simbabwe entstanden mit Pater Possentis Unterstützung Schulen, Krankenhäuser und Kirchen. Mit dem Fahrrad fuhr der Niederbayer oft mehrere Wochen von Schule zu Schule und kehrte schließlich „ausgehungert, sonnverbrannt und bärtig heim“. Er hatte eine besondere Begabung, Kinder zu unterrichten. Viele seiner Schützlinge machten nach ihrem Abschluss eine Ausbildung oder besuchten eine Universität – der Aufbruch in ein neues, in ein besseres Leben.
Was mag ihm alles durch den Kopf gegangen sein, als er beschloss, Ordensmann zu werden und in die Mission zu gehen? Wie schwer wird ihm das Herz gewesen sein, als er aufbrach und nicht sicher wusste, ob er je wieder heimatlichen Boden betreten würde? Was hat er gefühlt beim letzten Kuss der Mutter?
Karl Weggartner, von 1992 bis 2008 Bürgermeister von Triftern, ist ein Neffe von Pater Possenti. Beim Heimaturlaub des Missionars 1960 war er sein Chauffeur. Wenn er vom „Onkel Toni“ erzählt, glänzen seine Augen und man spürt heute noch die Begeisterung, 60 Jahre später. Es waren nicht nur die Abenteuer-Geschichten aus dem fernen Kontinent, die den damals 20-jährigen Neffen begeisterten, es waren vor allem das Auftreten, sein freundliches Wesen, der offene Umgang mit Menschen – egal wer oder was einer war. Wäre Karl Weggartner damals nicht schon in seine spätere Frau verliebt gewesen, er wäre wohl selber in den Mariannhiller Orden seines Onkels eingetreten.
Was bleibt von Pater Possenti, 45 Jahre nachdem er von einem Terroristen ermordet worden ist? „Ein Zeuge für Christus“ lautet der Titel des Buches über sein Leben. Ja, das war er. Anton Weggartner hat mit Herz und Hand und Leidenschaft gelebt, geliebt, geholfen. Er hat die Komfortzone verlassen und sich, getragen von seinem Glauben, in ein Abenteuer mit offenem Ausgang gestürzt. Den Menschen zugewandt, leidenschaftlich, freundlich, ohne Angst. Was für ein Vermächtnis! Das bleibt. Das gibt Kraft. Das schenkt Hoffnung.
Gegen Mittag verlasse ich das Haus und fahre zurück nach Passau. Es ist heller geworden. Wer weiß, vielleicht noch eine Stunde und der Nebel lichtet sich und die Herbstsonne bringt das Land zum Leuchten.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur