Wir geben Bescheid, dass wir schließen.“ Diese Nachricht lässt nicht mehr viel Interpretationsspielraum zu. Plötzlich wird aus Vermutungen, Überlegungen und Gerüchten Gewissheit: Mein Lieblingswirtshaus sperrt zu. Die Gründe sind dieselben wie in zig anderen Gastronomiebetrieben, die in letzter Zeit aufgaben: Es ist unglaublich schwer, Personal zu finden; die Belastung für die Familie wird dadurch immer noch größer; rechnet man die Arbeitszeit, bleibt viel zu wenig übrig. Und dann auch noch Corona. Zwei Jahre voller Ungewissheit, die vielen Wirtshäusern endgültig den Todesstoß versetzten.
Richard Loibl, der umtriebige Direktor des Museums der Bayerischen Geschichte, griff genau diesen Wandel auf. Er hatte offensichtlich den richtigen Riecher: „Wirtshaussterben? Wirtshausleben!“ ist die neue Ausstellung in Regenburg überschrieben. Es geht um einen wichtigen Teil unserer Kultur, der dort von 29. April bis 11. Dezember auf etwa 500 Quadratmetern gezeigt wird. Ministerpräsident Markus Söder sparte bei der Eröffnung nicht mit großen Worten: „Ohne Kirche fehlt die Seele“ sagte er, „ohne Wirtshaus fehlt das Herz“.
Wobei Herz und Seele oft eng beieinander liegen. „Schön, dass d‘ wieder da bist!“ Ich erinnere mich gut an diesen Satz, mit dem „meine“ Wirtin mich vor beinahe 40 Jahren bei den ersten jugendlichen Bierverkostungsbesuchen begrüßte. Auch die nachfolgende Generation hat diesen Willkommensgruß übernommen und gelebt. Und weil auch noch alles, was aus der Küche kam, den Gaumen tanzen ließ und die Aussicht auf die Böhmerwald-Berge im Gastgarten unübertrefflich war, feierten wir an diesem Ort unsere Familienfeste, kehrten mit Freunden ein und ließen beinahe jede Radtour hier enden.
Hinzu kam die Magie des Unvorhersehbaren. Gerhard Polt hat einmal gesagt, dass ein gutes Wirtshaus der ganzen Gesellschaft eine Heimat biete: „Kind und Kegel, Deppen, Gaunern, Intellektuellen, Beamten, Rückkehrern aus der Kriegsgefangenschaft wie Rückkehrern von den Seychellen“. Und entsprechend groß ist das Repertoire an Geschichten, die an so einem Ort erzählt werden. Wie man damit umgehen muss, hat der große bayerische Erzähler Oskar Maria Graf vor langer Zeit wunderbar beschrieben: „,Man kennt sich oft gar nicht mehr aus, aber zuhören könnt man dir ewig‘, loben die Bauern einen flotten Wirtshausunterhalter, der ihnen Geschichten, Witze und Schnurren erzählt, und jeder geht erheitert und zufrieden nach Hause und behält bloß das, was ihm am meisten gefallen hat.“
Ja, so entsteht Heimat. Das Schnellrestaurant am Ortsrand oder die Schafkopfrunde im Internet mögen günstig und praktisch sein, doch diese Welt können sie nicht annähernd ersetzen. Aber wir merken das wahrscheinlich erst, wenn es zu spät ist.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur