In den kommenden Jahren wird das Alt-Werden in Deutschland gar zu einem Massenphänomen: 24 Millionen Babyboomer schlittern in die sogenannte dritte Lebensphase, wie die Zeitspanne ab dem 55. Lebensjahr genannt wird. Diese demografische Entwicklung stellt unsere Gesellschaft vor neue, gewaltige Herausforderungen. Ob Gesundheitsversorgung, Wohnungsbau oder Pflege – die gesamte soziale Infrastruktur muss auf die vielen neuen Alten ausgerichtet werden. Und das bitteschön so, dass der jungen Generation noch Luft zum Atmen bleibt.
Freilich darf man auch nicht übersehen: Die Senioren von heute sind anders als die Alten von gestern. Ich erinnere mich noch gut an meine Großeltern: Sie saßen in den 70er- und 80er-Jahren oft stundenlang am Fenster, schauten hinaus und warteten. Worauf? Ich weiß es nicht. Auf irgendein Ereignis, auf ein Zeichen, auf den Tod?
50 Jahre später hat sich viel geändert. Die Lebenserwartung ist mit etwa 83 Jahren bei Frauen und 79 Jahren bei Männern gestiegen. Forscher haben zudem herausgefunden, dass sich die Leute im Schnitt auch noch 10 bis 15 Jahre jünger fühlen, als sie sind, besonders jenseits der 60 Jahre. Und der Großteil der Frauen und Männer will diese verbleibende Lebensspanne auch entsprechend nutzen. Es geht in dieser Phase nicht mehr um Macht, Erfolg und Einfluss (US-Präsidenten ausgenommen). Doch es geht sehr wohl darum, aktiv und produktiv zu bleiben – eine Chance, die es zu nutzen gilt.
Für alle, die dennoch mit ein wenig Bammel dem Herbst des Lebens entgegenblicken, hat Anselm Grün eine knappe Handlungsanweisung formuliert: annehmen und loslassen! Will heißen: bewusst altern, die eigene Endlichkeit akzeptieren und die Vorteile dieser Lebensphase ausschöpfen. Vielleicht bleibt in diesem Lebensabschnitt endlich Zeit für all das, was in der Hektik zwischen 25 und 55 auf der Strecke blieb: für Spiritualität, für das Ausleben von Träumen, für das Lernen einer Sprache, für ein sinnvolles Ehrenamt, für die Weitergabe all der krisenerprobten Erfahrungen, die sich im Laufe der Jahrzehnte angesammelt haben.
Elke Heidenreich (81) schreibt in ihrem neuen Buch „Altern“, dass die Vergangenheit schön sei, gerade wenn man alt ist. Doch wichtig sei es vor allem, die Gegenwart mit Sinn auszufüllen: „Und das ist nicht warten auf den Tod und in einer Ecke sitzen und die Katze streicheln.“ Die Autorin hat festgestellt, dass in ihrem Alter das meiste völlig unwichtig geworden sei. Ihre Devise: „Man sollte einfach atmen und dankbar sein.“
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur