Als Papst Franziskus nach seiner Wahl auf den Balkon trat und der jubelnden Menschenmenge auf dem Petersplatz zuwinkte, war mein erster Gedanke: Schon wieder so ein alter Mann! Wo sollte da der frische Wind herkommen, den ich mir für meine Kirche ersehnte? Doch der alte Mann, für den die Kardinäle bis „ans Ende der Welt gegangen sind, um ihn zu holen“, wie er selbst auf dem Balkon des Apostolischen Palasts lächelnd anmerkte, belehrte mich schnell eines Besseren. Sein warmherziges „Buona Sera“ („Guten Abend“), mit dem er nach seiner Wahl die Tausende Pilger auf dem Petersplatz begrüßte, war Programm: Da steht ein zutiefst bodenständiger, bescheidener Mensch. Ein Priester und Gelehrter, der als Jesuit tief in die Welt der Philosophie, Theologie, Literatur und Psychologie vorgedrungen und doch nie abgehoben ist. Ein kluger Pragmatiker, ein weises Oberhaupt, ein mutiger Entscheider.
Mit seinem einfachen Lebensstil, seinem Verzicht auf jeden Prunk, seiner Suche nach der Nähe zu den Gläubigen und seiner Offenheit eroberte er die Herzen der Menschen im Sturm. Sie spürten instinktiv: Da ist einer, der sich nicht verstellt, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, der auch selbst seine inneren Kämpfe auszufechten hat. Jorge Mario Bergoglio strahlte eine unbändige Stärke aus, weil er sich zeit seines Lebens beweisen musste, sonst wäre er in seinem Kampf für Gerechtigkeit im zutiefst zerrütteten und lange von einer Militärjunta brutal unterjochten Argentinien zermalmt worden. Doch schon als einfacher Priester und später auch als Bischof und Kardinal schaffte er die Gratwanderung, ohne die Armen und Verfolgten jemals zu vergessen.
Papst Franziskus‘ Pontifikat war deshalb auch geprägt von seinem unermüdlichen Einsatz für soziale Gerechtigkeit, dem interreligiösen Dialog und Reformen innerhalb der Kirche. Dass ihn seine erste Reise als Papst auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa führte, war da nur folgerichtig. Und viele weitere Rufezeichen folgten.
„Zärtlichkeit ist keine Schwäche. Sie ist vielmehr die wahre Kraft. Sie ist der Weg, den die stärksten und mutigsten Männer und Frauen gegangen sind. Folgen auch wir ihm. Lasst uns mit Zärtlichkeit und Mut kämpfen. Folgt diesem Weg. Kämpft mit Zärtlichkeit und Mut… Ich bin nur ein einziger Schritt.”
Ein Meilenstein in mehrfacher Hinsicht war die Umwelt-Enzyklika Laudato si („Gelobt seist Du“, 2015): In eindringlichen Worten und untermauert vom aktuellen Stand der Wissenschaft war die Kernaussage eindeutig: Der Kampf gegen weltweite Armut und Umweltzerstörung gehören untrennbar zusammen. Mit diesem Schreiben lenkte Franziskus die globale Aufmerksamkeit auf die Verantwortung der Menschheit für das gemeinsame Haus. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass die Welt – vor allem durch die Wahl Präsident Trumps in den USA – in diesem Anliegen um Jahre zurückgeworfen wurde.
Viel beachtet war auch sein jüngstes Lehrschreiben „Dilexit nos“ („Er hat uns geliebt“, 2024), in dem Franziskus die Bedeutung der Liebe und Barmherzigkeit als zentrale Elemente des christlichen Lebens unterfüttert und ein Jahr der Hoffnung und der spirituellen Erneuerung einläutete. Einen unglaublichen Kraftakt schulterte Franziskus in den vergangenen Jahren noch mit der Weltsynode, die dazu dienen sollte, die Kirche zukunftsfähig zu machen.
Man könnte noch so vieles anfügen. Doch vielleicht ist die größte Glanztat des Mannes aus Lateinamerika, dass er es geschafft hat, die katholische Kirche zusammenzuhalten – trotz der vielen gegenläufigen Strömungen und Kräfte. Mit seinem Tod verliert die Welt einen Brückenbauer und leidenschaftlichen Kämpfer für Würde und Menschlichkeit. Franziskus‘ Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und authentische Begegnungen zu schaffen, seine Offenheit, sein frohes Herz machten ihn zu einem Papst des Volkes. Seine Initiativen zur Reform der Kirche und sein Einsatz für den interreligiösen Dialog hinterlassen ein bleibendes Vermächtnis. In einer Zeit globaler Herausforderungen erinnerte er stets an die Kraft der Barmherzigkeit und die Bedeutung des gemeinsamen Handelns für das Wohl aller. Sein Tod hinterlässt eine schmerzliche Lücke. Doch sein Geist, sein Lächeln, seine strahlenden Augen, seine Kraft, sein allerletztes „Buona Pasqua“ („Frohe Ostern“) werden weiterhin in den Herzen der Menschen weltweit lebendig sein. Dieser alte Mann hat Geschichte geschrieben. Eine zutiefst menschliche, eine zutiefst christliche.

Wolfgang Krinninger
Chefredakteur