Wir Menschen im Westen leben im ständigen Krisenmodus. Wir haben viel – und deshalb auch immer die Sorge, viel zu verlieren. Und so bauen wir massive Wände der Angst um uns auf. Wir lassen uns lähmen von der fortschreitenden Klimakrise, der Unversöhnlichkeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Häufige Reaktion ist die Flucht in Zynismus, Wut und Resignation. Damit geht‘s erst recht bergab, weil wir uns der Möglichkeit berauben, die Situation für uns erträglicher zu gestalten.
Doch das Jahr ist noch jung. Geben wir ihm eine Chance. Ich lenke meinen Blick dazu immer gerne auf Menschen, die mit gutem Beispiel vorangehen. In Erinnerung geblieben ist mir aus dem vergangenen Jahr beispielsweise der frühere Nachrichtendienst-Chef Christof Gramm. Seine Empfehlung: Seid keine Funktionsautomaten, sondern empfindsame Menschen! Wer sich für andere öffne, brauche Einsamkeit nicht zu fürchten.
Am meisten beeindruckt in letzter Zeit hat mich der Theologe Fullbert Steffensky. In einem Interview mit der Tageszeitung „TAZ“ beschreibt der 90-Jährige seinen Gemütszustand mit „grimmiger Heiterkeit“. Er habe einen Reichtum gelebt als Leben, für den er nur dankbar sein könne. Wörtlich sagte er: „Wir müssen nicht verbissen auf uns selbst bestehen. Wir leben, wir setzen uns ein, kämpfen – und irgendwann kommen nächste, andere, die diese Kämpfe bestreiten. Wir müssen nicht die Letzten sein – herrlich!“
Was mich an seiner Rückschau am meisten beeindruckt, ist, dass er die Qualität eines Lebens nicht in der „gelungenen Ganzheit“ als mustergültiger Ehemann, Vater, Lehrer und Staatsbürger sieht. Er spricht vielmehr von der „Gnade einer gelungenen Halbheit“.
Steffensky, der bis zu deren Tod mit der bekannten evangelischen Theologin Dorothee Sölle verheiratet war und nun in zweiter Ehe mit der katholischen Theologin Li Hangartner verheiratet ist, sieht auch in der Krise der Kirche keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken: „Wäre ich jünger, viel jünger, würde ich diesen Befund als Chance nehmen, als Gnade, sich auf seine Wurzeln zu besinnen.“ Die Kirche brauche keine Arroganz, aber sie brauche Stolz. Die Christen sollten sich besinnen auf die Schönheit und den Reichtum im eigenen Haus. „Es gibt nicht viele Gruppen, die so etwas wie eine Bergpredigt im Gepäck haben.“
Und wem das nicht reicht, mit einer positiven Grundstimmung ins neue Jahr zu starten, dem hilft wohl nur noch ein augenzwinkender Blick in die Sterne: Jupiter in den Zwillingen und Pluto im Wassermann – die Konstellation verheißt mehr Frieden, mehr Verständnis, mehr Miteinander, sagen die Astrologen. Also ja, wir haben durchaus Grund zu Hoffnung. Packen wir‘s an!
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur