Wir parken das Auto, biegen um zwei Ecken – und sofort nimmt uns eine vibrierende Atmosphäre gefangen. Über eine mehrere hundert Meter lange Fußgängerzone verteilen sich Dutzende Gastgärten, aus denen Stimmengewirr und lautes Lachen dringen. Zwei Buben spielen Fußball, Mädchen geben sich wie kleine Prinzessinnen, Jugendliche schlendern betont cool in Grüppchen; „aufgebrezelt“ ist hier sowieso jeder, Jung wie Alt. Ein ganz normaler Samstagmittag. Jedenfalls in Ubrique, einer Kleinstadt mitten in den andalusischen Bergen.
Wir lassen uns anstecken von dem Brausen, finden mit Mühe einen kleinen Tisch draußen vor einer winzigen Bodega und schauen verwundert dem bunten Treiben zu, während wir unsere Tapas genießen. Der halbe Ort scheint auf den Beinen, wechselt von einem Lokal zum nächsten, mit lautem Hallo und Schulterklopfen werden Freunde und Bekannte begrüßt. Eine andere Geschichte geht so: Immer freitagabends fallen in unserem Hotel etliche Familien mit Kindern ein, um ebenfalls wie die Bodega-Besucher das Wochenende zu feiern. Viele kennen sich untereinander. „Fin de semana“ heißt dieses Ritual, erfahre ich später.
Während also in Spanien das Miteinander gelebt wird, sind wir Deutschen beschäftigt mit Hausputz, Wochenendeinkäufen, Rasen mähen, Hecke stutzen und Auto wienern. Natürlich grillen wir auch mal zusammen mit anderen oder schauen gemeinsam Fußball, gerade jetzt zur EM. Doch der Kontrast ist groß, das Stimmungsbild ganz anders.
„Das beste soziale Netzwerk ist ein Tisch, um den nette Menschen versammelt sind.”
Man könnte meinen, Deutschland stehe kurz vor dem Zusammenbruch, alle Menschen vor der Verarmung. Und dann wird uns aktuell auch noch eine „Pandemie der Einsamkeit“ attestiert. Millionen Bürger fühlen sich allein (gelassen) – darunter immer mehr junge Menschen. Die Politik ist aufgeschreckt, die Bundesregierung hat mit dem „Einsamkeits-Barometer“ eine Studie erstellen lassen und gerade erst die zweite Aktionswoche (17. — 23. Juni) im Rahmen ihrer „Strategie gegen Einsamkeit“ veranstaltet. Inzwischen gibt es sogar ein „Kompetenznetz Einsamkeit“, das erklärtermaßen Forschung, Netzwerkarbeit und Wissenstransfer zu den Ursachen und Folgen von Einsamkeit verbinden will.
Alles gut, alles richtig – aber mir ist das schon wieder zu „deutsch“, zu verkopft. Liegt’s an den noch frischen Urlaubserinnerungen aus dem warmen Süden? Das Gemüt der Spanier scheint jedenfalls deutlich sonniger, die Einstellung zum Leben mit all seinen Anforderungen und Erschwernissen viel entspannter zu sein. Auf den Punkt brachte all das ein Spruch auf der Wand unserer Bodega in Ubrique (sinngemäß): „Das beste soziale Netzwerk ist ein Tisch, um den nette Menschen versammelt sind.“ Das funktioniert bei uns genauso wie in Spanien, im Privaten gleichermaßen wie in der Pfarrei beim Kirchenkaffee. Nur tun müssen wir es!
Wolfgang Terhörst
Redaktionsleiter