Mal Hand aufs Herz: Würden Sie tatsächlich gerne alles verstehen, was andere so sagen? Ich frage deshalb nach, weil kürzlich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, die These aufgestellt hat, dass dank Künstlicher Intelligenz bald alle Sprachbarrieren fielen und dass diese Technik großes Potenzial habe, die Welt zu verbessern: „Die zukünftige Lingua franca ist das wunderbare babylonische Sprachgewirr, das mittels Universalübersetzer für alle verständlich wird“, schreibt er in der März-Ausgabe von „Politik & Kultur“. Und zitiert sozusagen als Beleg die Science-Fiction-Reihe „Star Trek“.
Da aber hab‘ ich so meine Zweifel und halte mit der berühmten Science-Fiction-Satire „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams dagegen. Durch sie wissen wir, dass ein Universalübersetzer eine große Gefahr wäre. In Adams‘ Roman erfüllt diese Rolle eine ganz besondere Lebensform: Ein kleiner egelartiger „Babel-Fisch“, den man sich ins Ohr steckt, und der dann alles von anderen Gesagte aufnimmt und als telepathische Matrix in das Gehirn des Wirts ausstößt. Das klingt nicht sehr angenehm, viel entscheidender aber ist: Der Babel-Fisch hat „mehr und blutigere Kriege“ verursacht „als sonst jemand in der ganzen Geschichte der Schöpfung“. Eben gerade deshalb, weil plötzlich alle verstehen können, was andere sagen …
Klar, es ist ärgerlich und auch ein wenig traurig, wenn wir nicht all die 7000 Sprachen, die es in etwa gibt, in einem Leben erlernen und verstehen können. Und ich gebe zu, so ein Universalübersetzer steht auch auf meiner heimlichen Wunschliste – allein schon aus purer Neugier!
„Jeder will zwar eine Stimme haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben – die es aber braucht für den Dialog, für das Wechselspiel, in dem ich mich vom anderen berühren und verwandeln lasse.”
Außerdem stimme ich zu, dass die Welt eine friedlichere sein könnte, wenn wir einander besser verstehen würden. Im christlichen Glauben gibt es den Ausdruck „mit dem Herzen hören“ (vgl. 1 Kön 3,9 oder Lk 2,19). Das mag für manche Ohren ein wenig kitschig klingen, zeigt aber deutlich auf, dass es zum gegenseitigen Verständnis mehr braucht als nur das Verstehen von Wörtern und Sätzen: Das Gefühl, bzw. eine Ahnung davon, was im Gegenüber gerade so alles vor sich geht. Der Soziologe Hartmut Rosa brachte das Mitte April beim Jahresempfang des Katholischen Büros Sachsen auf den Punkt: „Jeder will zwar eine Stimme haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben – die es aber braucht für den Dialog, für das Wechselspiel, in dem ich mich vom anderen berühren und verwandeln lasse.“ Er empfahl das „hörende Herz“ als Grundhaltung, um Politikverdrossenheit und Kirchenflucht entgegenzuwirken. Klingt sinnvoller als ein Universalübersetzer oder ein Babel-Fisch …
Noch eine Anekdote zur Sprache am Rande: Wie das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) kürzlich mitteilte, machen sich kulturelle Unterschiede schon im Schreien, Weinen, Quieken und Brabbeln von Säuglingen bemerkbar. Laut der Verhaltensbiologin Kathleen Wermke weinen französische Babys „tatsächlich mit Akzent“: Ihre Melodiekontur verlaufe von tief nach hoch, während Babys deutschsprachiger Mütter mit fallender Melodiekontur, also von hoch nach tief, weinten. Und: „In der Lamnso-Sprache der Nso, einem ländlichen Volk im Nordwesten Kameruns, gibt es sogar acht Tonhöhen plus spezifische Tonhöhenverläufe. Das Weinen der Nso-Babys gleicht eher einem Singsang.“ Die Forscherin hat über ihre Erkenntnisse ein Buch veröffentlicht („Babygesänge. Wie aus Weinen Sprache wird“). Damit will sie Erwachsene dazu animieren, Babys einfach mal zuzuhören. Sie fordert: „Akzeptiert, dass diese Gefühlssprache der Weg zur Sprache ist!“
Im Umkehrschluss heißt das: Akzeptieren wir, dass Sprache Gefühle ausdrückt. Egal wo. Das wäre dann der erste Schritt hin zum wirklichen Verständnis … Und vielleicht auch ein Beitrag zum Ende der sprichwörtlichen babylonischen Sprachverwirrung.
Michael Glaß
Readkteur