Als Party-Hit für eine Fußball-Europameisterschaft passt dieses Lied ja eigentlich nicht: Ein Astronaut, der sich vom Kontrollzentrum der Erde abkapselt und im stillen weiten Weltall einem Licht entgegenschwebt. Mancher denkt sich da jetzt: „Ja mei, dann stirbt er halt, der Astronaut …“. Aber wer so denkt, der hat wenig Fantasie. Und erst recht keinen Sinn für Romantik. Auf deutsche Fußball-Fans trifft das offenbar nicht zu. Sie haben den Song „Major Tom“ von Peter Schilling zur neuen Torhymne erkoren und seit der EM erlebt der Hit der Neuen Deutschen Welle eine Wiedergeburt.
Als der Song in den 1980ern die Hitparade eroberte, da jagte ich als Bub „völlig losgelöst“ von allen Alltagssorgen mit meinen Freundinnen und Freunden über die (Fußball-)Spielwiese neben unserem Haus und ließ im heimischen Keller meine Playmobil-Mannschaften über das auf den PVC-Boden mit wasserfester Farbe gemalte Spielfeld sausen. Solange, bis meine Eltern den „Buam“ wieder zurückholten in die Realität. Und deshalb passt für mich dieser melancholische Song perfekt zu einer Fußball-EM-Partystimmung.
Diese durfte ich übrigens gerade erst beim Eröffnungsspiel in München miterleben. Mit viel Glück und dank meiner Schwester und einem ihrer Arbeitskollegen hatte ich mir ein Ticket und gerade noch rechtzeitig eines dieser fast ausverkauften pinken Auswärtstrikots der deutschen Nationalmannschaft ergattert. Und so war ich mittendrin in der Fan-Zone und in der Arena, in der die „Tartan Army“, die schottischen Fußballfans in ihrem „Schottenkaro“ (Tartan), mit Abstand die lautesten waren. Selten dabei in einer Endrunde und ohne große Chancen auf den Titel feiern sie, als wären sie immer schon Europameister gewesen. Schon wieder so ein Widerspruch! Herrlich. Auch wenn ich ein DFB-Trikot anhabe: Mein Herz schlägt am meisten für die Underdogs.
In der U‑Bahn sammeln wir einen schottischen Fan auf, der voller Selbstbewusstsein in die völlig falsche Richtung unterwegs ist. Auf geht’s zur Fan-Zone im Olympiapark. „No Scotland, no party!“, skandieren die schottischen Fans. Das stimmt. Wir stehen zwei Stunden (!) für ein Bier an. Keiner drängelt. Die Leute singen, feiern, unterhalten sich. Hätte nicht gedacht, dass in der Schlange stehen so viel Spaß machen kann. Die Sicherheitskräfte sind auch da, aber angenehm unauffällig. Danke!
Die schottischen Fans sind kurz mal beleidigt, als die Moderatoren von Antenne Bayern „skirts“ (Röcke) sagen, als sie ihre „Kilts“ (Schottenröcke) erwähnen wollten. Als die schottischen Fans fürs Radio auf Kommando laut sein sollen, ist es plötzlich ganz still. Obrigkeitshörigkeit sei eher nicht so ihr Ding, sagt mir ein schottischer Fan auf Nachfrage. Im Stadion und in der völlig überfüllten U‑Bahn auf dem Rückweg singen und feiern die schottischen Fans trotz haushoher Niederlage weiter.
Auf die Stimmung kommt’s an. Auch auf dem Fußballplatz. Auf dem Rasen ist’s halt die Frage, welcher Typ man ist. Lieber derjenige, der im Kontrollzentrum agiert, das Spiel analysiert und die nächsten Spielzüge plant – oder derjenige, der mit dem Ball am Fuß wie Major Tom „schwerelos“ über den Platz zu schweben scheint. Beide Typen kommen an kein Ende. Die ersteren nicht, weil die „Musialas“ dieser Welt einfach unberechenbar bleiben – und die zweiteren, die Fußball-Künstler, wollen ja sowieso niemals aufhören. Beide Typen braucht eine Mannschaft, wenn sie erfolgreich sein will. Am schönsten ist das Spiel, wenn die Mannschaft harmoniert, wenn die Strategen richtig liegen und wenn die Künstler den Ball streicheln, bis er irgendwann im Netz zappelt.
Natürlich wünsche ich mir, dass die DFB-Elf den Titel holt. Doch halb so wild, wenn’s nicht klappt. Die nächste Chance kommt bestimmt; auch die nächsten Spiele, bei denen Fans so lustig feiern wie die Schotten, denn diese schönste Nebensache der Welt kommt an kein Ende. Und sie bleibt so schön vielfältig und voller Widersprüche. Zweifellos hatte Gott, als er die Menschen den Fußball erfinden ließ, einen besonders kreativen Tag erwischt. Herrlich!
Michael Glaß
Readkteur