Im Herbst 2019 wurde die Passauer Sonntagsbibel der Öffentlichkeit vorgestellt. In dem schön aufgemachten Prachtband zu finden sind die Lesungen der Sonn- und Feiertage aller drei Lesejahre der katholischen Liturgie. Ein Team von Theologen und Theologinnen der Diözese Passau hat für jeden der Sonntage sogenannte Leseschlüssel entwickelt, die dem Leser und der Leserin helfen wollen, jeweils eine der drei biblischen Lesungen aus zwei Perspektiven zu erkunden:
Ich lese den Text. Die Fragen dieses Leseschlüssels wollen anleiten, genau hinzuschauen: Was steht da? Worum geht es? Wer spricht? Wer handelt usw.
Der Text liest mich. Hier wird nach dem Leser und der Leserin gefragt. Was berührt der Text in dir? Wie kann dieser Text „Wort Gottes“ für dich sein?
Auf die beiden Leseschlüssel folgt dann eine Betrachtung von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt zum jeweiligen Sonntag. Vor allem aber, das ist das Besondere an dieser Bibel, ist jedem Sonntag ein Bild vorangestellt, das einen der biblischen Akzente des Sonntags illustriert. Die meisten dieser Bilder befinden sich in einer Kirche der Diözese Passau, für einige wurde das Diözesanarchiv geöffnet.
Mitgearbeitet an der Erstellung der Sonntagsbibel hat u.a. die Passauer Bibelreferentin Dr. Andrea Pichlmeier. Ihr ist es seit langem ein Anliegen, die geistliche Schriftlesung, oder Lectio divina, unter den Gläubigen der Diözese bekannter zu machen. Als im Frühjahr 2020 die Corona-Krise auch über das kirchliche Leben der Passauer Christen hereinbrach, war es unmöglich geworden, sich zum gemeinsamen Lesen der Heiligen Schrift zu treffen. Zugleich nahm die digitale Kompetenz und Experimentierfreudigkeit zu, auch die der Bibelreferentin.
Sie „verordnete“ sich selbst ein neues Arbeitsfeld: Zu jedem Sonntag sollte es einen biblischen Impuls geben, nach dem Grundprinzip der Lectio divina mit den beiden Leseschlüsseln und mit der Passauer Sonntagsbibel. Es sollte kein Text sein, sondern ein lebendig gesprochenes Wort, das auf einen Video-Kanal geladen werden sollte. Die „Takes“, wie diese kurzen Aufnahmen im Fachjargon genannt werden, sollten nicht im Büro des Bibelreferats oder in einem Studio aufgenommen werden, sondern dort, wo schon die Bilder der Sonntagsbibel aufgenommen wurden.
So wurde aus diesem Lectio-divina-Projekt zugleich eine Reise durch die Diözese, an viele Orte, an denen Menschen miteinander gebetet und Gottesdienst gefeiert hatten, ehe die Pandemie ihnen ein „spirituelles Moratorium“ verordnete.
Inzwischen löst sich dieses Moratorium bereits wieder etwas auf, doch ist der Alltag des gewohnten kirchlichen Lebens längst nicht wieder zurückgekehrt. Manche fragen sich, ob er überhaupt je wieder zurückkehren wird, oder ob „Corona“ uns einlädt, Neuland zu betreten. Die Bibelreferentin ist auf jeden Fall sehr neugierig, wohin sie das Projekt führen wird.