„Brauchst Zwiebeln?“ fragt mich die Anni Sigl am Telefon in ihrer freundlich-direkten Art. „Dann kommst wieder einmal vorbei und holst dir welche!“ Natürlich kann ich Zwiebeln brauchen und außerdem wird es echt mal wieder Zeit, dass wir uns ausgiebig unterhalten. Und einen Blick in die üppigen Gärten der Bäuerin mit dem grünen Daumen zu werfen, ist immer ein Erlebnis.
Bekannt geworden ist das Ehepaar Sigl, als im Jahr 2012 das Buch „Anni und Alois. Arm sind wir nicht. Ein Bauernleben“ erschien und zahlreiche Beiträge im Bayerischen Fernsehen folgten. Ich habe die Familie Sigl auch schon oft besucht in ihrem idyllisch gelegenen Hof in Hilgenreith und über ihr einfaches zufriedenes Leben geschrieben. Treuen Bistumsblatt-Lesern – zu denen übrigens auch Anni Sigl selbst gehört – ist sie also keine Unbekannte. Und über die ganzen Jahre hinweg hat es übrigens kein Thema gegeben, auf das ich mehr Rückmeldungen von Lesern bekommen habe, als zu den Reportagen über Anni Sigl.
Ihr Mann Alois ist im Jahr 2020 gestorben, jetzt bewohnt sie das Anwesen allein mit Katze Maukerl. Die räkelt sich gerade vor dem Haus in der Sonne. Da stehen auch die zwei Küchenstühle zum Trocknen, die die Anni heute schon mit der Wurzelbürste gesäubert hat. Und gleich neben der Haustür sind die ganzen geernteten Zwiebeln zum Trocknen ausgebreitet, natürlich alle selbstgezogen. Meine Zwiebeln hat sie mir schon ausgehändigt und jetzt sitzen wir auf der Hausbank und reden über Gott und die Welt. „Heut war ich schon mit dem Bulldog im Nachbardorf und hab einer Bekannten auch eine Tüte voll Zwiebeln vorbeigebracht“, erzählt sie. Dass sie sich mit dem Bulldog auf den Weg macht, kommt nicht mehr so oft vor und deshalb reiche der Diesel, den sie noch auf Vorrat hat, bis auf Weiteres, erzählt die 86-Jährige. „Ich brauch kein Gas, ich brauch kein Öl, die Krise geht mich nichts an“, betont die Anni, die auf ihren 70 Jahre alten Holzofen in der Küche schwört und noch nie eine Zentralheizung hatte. „Das Holz reicht bestimmt noch für fünf Jahre. Im Sommer brauch ich eh fast gar kein Holz. Was ich halt im Winter brauch! Aber auch im Winter hat es bei mir drin nicht mehr als 17, 18 Grad“, erzählt die Bäuerin. „Als ich noch im Schlafzimmer oben geschlafen habe, hatte es im Winter da drin auch nicht mehr als minus drei oder vier Grad.“ Sie findet das nicht so außergewöhnlich und meint: „Wir sind ja auch nicht aufgewachsen wie die Weicheier!“ Und so steht für die Anni angesichts der steigenden Energiepreise fest: „Wenn sich die Leute im Winter ein bisschen wärmer anziehen würden, bräuchten sie auch nicht so zu heizen.“
Was die Anni sowieso nicht versteht, ist die ihrer Meinung nach zu geringe Wertschätzung von Lebensmitteln: „Jetzt wird gleich geschimpft, wenn die Lebensmittel mal ein bisschen teurer werden. Aber in den 50-er Jahren hat man ja auch 60 Prozent seines Lohnes für Lebensmittel hergegeben. Zur Zeit gibt man eh nur rund 20 Prozent für Lebensmittel aus. Heut ist halt keiner mehr zufrieden. Da wird gleich gejammert, wenn das Essen teurer wird. Für Feste, Veranstaltungen und zum Fliegen ist das Geld ja auch da. Lebensmittel jedoch sollten billig sein. Aber die Bauern müssen ja auch noch was verdienen!“
Sie denkt an ihre Kindheit, als nur alle paar Wochen einmal Brot gebacken wurde und das Brot dann mitunter schon so hart war, dass man es in die Suppe oder in Wasser eintauchen musste, damit man es überhaupt essen konnte. Trotzdem habe man es geschätzt – und da seien die Leute heute eben zu sehr verwöhnt, findet die Anni und erzählt, wie sie einmal Besuch hatte, dem Buben der Apfel runtergefallen ist und der ihn dann nicht mehr essen wollte. „Und als ich zu ihm gesagt habe, er soll den Apfel halt abwischen und trotzdem essen, haben sogar die Eltern komisch geschaut“, wundert sich die Anni. „Warum soll man so einen Apfel nicht mehr essen können? Wenn mal ein Apfel angefault ist, dann schneid ich ihn ja auch aus.“ Heute werde einfach generell zuviel weggeworfen, wundert sich Anni Sigl, „auch Kleidungsstücke, an denen noch das Original-Etikett dran ist. Bei mir wird nichts weggeworfen, da wird eine Schürze auch mal geflickt, bis es halt nicht mehr geht. Ich hab das Sparen gelernt. Und wenn meine 40 Jahre alte Waschmaschine kaputt gehen würde, dann wird halt wieder mit der Hand gewaschen. Hat man ja früher auch getan.“ Sie formuliert es krass: „Wenn die Leute heute nur ein halbes Jahr mitmachen müssten, wie es uns unterm Krieg und nach dem Krieg gegangen ist, da gäb‘s nicht so viele Bäume, wie sich Leute dran aufhängen würden.“
Die Anni würde sich wünschen: „Die Leute sollten zufriedener sein. Man kann soviel zurückstecken, was man wirklich nicht unbedingt braucht!“ Eins gehöre da aber sicher nicht dazu, und das sind gesund produzierte Lebensmittel. „Bei mir ist alles Bio!“ freut sich die Selbstversorgerin und lässt lächelnd den Blick über ihr Naturparadies in Hilgenreith schweifen. Ihre zwei Gemüsegärten und der Obstgarten geben so ziemlich das ganze Angebot eines Obst- und Gemüseladens her. Die Anni zählt auf: „Ich hab verschiedene Salate wie den Eichblattsalat, den Batavia-Salat, Romana-Salat, italienische Salatherzen und Kopfsalat, zweierlei Endiviensalat, den Pak Choi oder Senfkohl, Chinakohl und Zuckerhut. Denn Salat esse ich jeden Tag. Das ist meine Hauptnahrung.“
Die Bäuerin erzählt beim Gang über den Hof, was in ihren Gärten sonst noch so zu finden ist: Kartoffeln, Sellerie, Porree, Rotkohl, dreierlei Rettich, Gelbe Rüben, Gurken, Bohnen, Tomaten, weiße, rote und schwarze Johannisbeeren, gelbe, rote und grüne Stachelbeeren, Himbeeren, Tropfenheidelbeeren, Aronia-Beeren, Kapka-Beeren, Amaranth, Kräuter. Ganz zu schweigen vom Obstgarten, in dem 171 Apfelsorten und 18 Birnensorten wachsen und gedeihen. Auch Zwetschgen und Aprikosen gibt es auf dem Hof. „Leider sind heuer zwei Drittel der Äpfel wurmig“, bedauert Anni. Vorm Haus wächst ein Aprikosenbaum, der ihr heuer viele appetitliche Früchte geliefert hat. Aber diese ganze Pracht will natürlich auch geerntet und verarbeitet, eingemacht, entsaftet und eingefroren werden. „Man hat halt auch Arbeit das ganze Jahr über“, stellt die Selbstversorgerin klar und freut sich, dass ihr Sohn und die Schwiegertochter ihr helfen.
Ich probiere noch ein paar Beeren aus dem Garten. Dann nehme ich die Tasche mit den Zwiebeln, die mir die Anni geschenkt hat und sage ihr beim Gehen zum Spaß: „Anni, halt die Ohren steif!“ – Und sie lacht: „Die sind bei mir sowieso immer steif!“