Altötting. Als die Englischen Fräulein in Altötting Fuß fassten, war bereits mehr als ein Jahrhundert vergangen, seit sich die Engländerin Mary Ward (1585−1645) und einige Gefährtinnen zusammengeschlossen und damit den Grundstein für ein „Institut der seligen Jungfrau Maria“ gelegt hatten, dessen Ziel es war, Mädchen und jungen Frauen eine Erziehung zu Eigenständigkeit und vor allem eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Die kirchlichen Autoritäten des 17. Jahrhunderts akzeptierten allerdings diese Form des Ordenslebens ohne strenge Klausur nach dem Vorbild der Jesuiten lange Zeit nicht. Die Kongregation besteht heute weltweit unter dem Namen Congregatio Jesu (CJ) und „Institut der Allerseligsten Jungfrau Maria“ (IBVM).
In Bayern gab es bereits in München, Burghausen und Augsburg, daneben auch in Mindelheim und in Bamberg ein „Institut der Englischen Fräulein“. Der Plan für die Gründung in Altötting fand die lebhafte Zustimmung von Kurfürst Max Emanuel (1662−1726) und wurde bald auch von Erzbischof Sigismund Harrach aus Salzburg genehmigt, unter dessen Hoheit Altötting damals war. Die ersten Jahre der Klostergemeinschaft waren von großen Sorgen und Entbehrungen begleitet – und es gab wenig Wohlwollen. Es bestanden bereits drei geistliche Gemeinschaften in Altötting: Franziskaner, Jesuiten, und das Stiftskapitel – genug auch für die kirchlichen Kreise im Wallfahrtsort. Die Chronik des Instituts berichtet: „Am 4. Juni haben wir die Schul zu halten angefangen mit 12 Kinder den ersten Tag, darunter meist Arme.“
„Am 4. Juni haben wir die Schul zu halten angefangen mit 12 Kinder den ersten Tag, darunter meist Arme.”
Schon im Oktober 1721 konnte die Oberin Elisabeth von Giggenbach dem Kurfürsten melden, „dass wir eine ziemliche Meng Schulkind zu unterrichten haben.“ Mit den ersten Erfolgen wuchs auch das Vertrauen der Eltern und der Bevölkerung und damit auch das Interesse an der neuen Schule. Aus der Armenschule wurde bald eine Mädchenvolksschule. Der Schulbesuch war bald sehr rege und die Visitationsberichte berichten Beispiele von außerordentlichem Eifer. Von 1723 bis 1734 wurden mehrere Häuser gekauft, was zu Eröffnung eines Pensionats führte. Denn der Ruf des Institutes verbreitete sich rasch, bald kamen auch Zöglinge aus dem Ausland. 1773 zählte die Schule bereits 130 Schülerinnen. 1737 wurde trotz der angespannten Finanzlage der prachtvolle Rokokobau der Institutskirche, die dem heiligen Josef geweiht ist, vollendet.
1786 wurde die „Schießl‘sche Armenmädchenstiftung“, gegründet. Freiherr Georg von Schießl, Kanonikus von Ilmmünster, hatte seine Schwester Franziska Schießl zur Erbin bestellt mit der Auflage, dass nach dem Abscheiden die ganze Verlassenschaft „zu Unterricht und christlicher Auferziehung armer bedürftiger Mägdlein in Altötting“ zu einer ewigen Stiftung verwendet werde, welche die Englischen Fräulein zu besorgen haben sollen. Zweck der Anstalt war Ausbildung der Mädchen in häuslichen Arbeiten. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts führten die Englischen Fräulein ihre Schulen auf eigene Kosten und ohne Einmischung des Staates. Die Säkularisation brachte eine einschneidende Änderung: 1803 wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt und den Englischen Fräulein übertragen, aber der bayerische Staat griff rücksichtslos in die Erziehungsarbeit der Schwestern ein, und der aufgeklärte Theologe Josef Wismayer aus Salzburg urteilte: „Die Nonnen werden täglich untauglicher zum Unterricht“, sie seien mehr Nonnen als Lehrerinnen und würden nur die Vorschriften des Instituts befolgen.
Im Jahr 1809 wurde durch Beschluss der bayerischen Regierung das Institutshaus und das Pensionat aufgelöst. Die Schwestern konnten wählen zwischen Austritt aus dem Kloster oder Übersiedlung nach Burghausen, aber keine verließ das Institut. Die Zöglinge mussten die „allgemeine Volksschule“ besuchen. 1823 konnte das Pensionat bereits wieder eröffnet und der Aufbau einer höheren Schule geplant werden. 1853 errichteten die Schwestern die Kinderbewahranstalt als Vorläufer des heutigen Kindergartens. 1932 beschlagnahmt und als Lazarettapotheke genutzt, konnte die Anstalt 1945 bereits wieder 250 Kinder aufnehmen. 1887 wurde die Lehrerinnenbildungsanstalt (Präparandie) genehmigt, aus der bis 1933 der klösterliche Lehrerinnennachwuchs hervorging.
Die Klostergemeinschaft der Englischen Fräulein wuchs enorm: 1853 kamen 23 Novizinnen, im Jahr 1879 zählte das Kloster 160 Schwestern. An der Klosterpforte gab es rege Nachfrage nach Melissengeist und Calmus-Likör, aber auch Gewürzlebkuchen und die beliebte Quittensulze in Schächtelchen wurden verkauft. Von 1861 bis 1991 vorsorgten die Schwestern in der Hostienbäckerei bis zu siebzig Pfarreien und Klöster. Auch Reliquien von Heiligen wurden von den Schwestern kunstvoll gefasst.
Die Lehrtätigkeit in der Schule prägte jedoch das Leben des Klosters auch in seinen Bauten. Bereits 1906 wurde im Institutsgarten eine den Anordnungen entsprechende Turnhalle errichtet. 1912 erfolgte die ministerielle Genehmigung für eine sechsklassige höhere Mädchenschule, dazu kam eine zweiklassige „Frauenschule“. 1933 gründeten die Schwestern eine dreiklassige „Haustöchterschule“ als Vorläuferin der heutigen Realschule.
Am 25. März 1941 wurden durch das Machtwort des Nazi-Kreisleiters die Mittelschule und die Höhere Haustöchterschule geschlossen. Im November 1940 wurden 64 Umsiedler aus der Bukowina im Kloster untergebracht, dazu kamen im April 1941 360 Buben aus Westfalen im Rahmen der Kinderlandverschickung. Im Juni 1942 wurde das Haus zu einem Lazarett mit etwa 900 verwundeten Soldaten, Ärzten und Angestellten. Die arbeitslosen klösterlichen Lehrerinnen setzte man im Lazarettdienst als Pflegerinnen oder Verwaltungskräfte oder zu häuslichen Arbeiten ein. Viele Schwestern gingen jetzt in die Missionsarbeit nach Chile, Brasilien und Argentinien. Bereits zwei Wochen nach Kriegsende am 15. Mai 1945 wurde den Schwestern von der Militärregierung die Genehmigung erteilt, den Kindergarten wieder zu eröffnen. Im Oktober 1945 konnte der Schulbetrieb in der dreiklassigen Mittelschule bereits wieder aufgenommen werden.
1947 wurde das sechsklassige Lyceum, die spätere Oberrealschule, genehmigt, die 1965 zum Gymnasium mit Oberstufe ausgebaut wurde. Mit Ende des Schuljahrs 1997/98 wurde das Internat, das 1732 gegründet worden war, geschlossen. Das Gymnasium und die Realschule der Englischen Fräulein prägten das Schulleben in der Wallfahrts- und Kreisstadt und weit darüber hinaus bis in die Gegenwart. Seit 1982 werden auch Buben in die Klosterschulen aufgenommen. Weithin bekannt wurde auch der hochqualifizierte Schulchor unter der Leitung von Schwester Avita Bichlmeier.
Auch nach 300 Jahren haben die Schwestern der Congregatio Jesu ihren festen Platz im Wallfahrtsort, auch wenn ihre Gemeinschaft deutlich kleiner geworden ist. Die Realschule und das Gymnasium gehören jetzt zur Maria-Ward-Schulstiftung und führen ihre Lehrtätigkeit im Geist der Ordensgründerin und der Schwestern mit großem Erfolg weiter. Derzeit leben noch 21 Schwestern in der Gemeinschaft, die teilweise aus anderen Häusern des Ordens nach Altötting gekommen sind. Wenn auch im 21. Jahrhundert keine Schwester mehr im Schuldienst tätig ist: Ihr apostolisches Wirken hat nicht nur den Wallfahrtsort geprägt, sondern auch vielen Schülerinnen neben solidem Schulwissen viele prägende und bleibende menschliche und religiöse Lebenswerte mit auf den Weg gegeben. Durch die Corona-Pandemie ist eine große Jubiläumsfeier nicht möglich, aber die Maria-Ward-Schwestern schauen dankbar gegenüber allen Wohltätern in Altötting und weit darüber hinaus auf ihre segensreiche Geschichte zurück.
Text: Dr. Hans Würdinger