
Fachtag der Caritas Passau vermittelt ein neues Verständnis von Behinderung
„Ein Kind ist nicht behindert oder von einer Behinderung bedroht – es wird behindert.“ Mit diesen Worten hat Petra Haderer-Moser, neue Leiterin des Caritas-Frühförderungsdienstes Passau, am Ende eines bewegenden Tages einen zentralen Gedanken in den Raum gestellt. Beim Fachtag „Stärkung von Teilhabe und Selbstbestimmung“ im Valentinssaal Passau diskutierten Fachleute, Betroffene und Entscheidungsträger:innen über einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Behinderung: weg von einem defizitorientierten Blick, hin zu einer Betrachtung im Kontext der Lebensumstände.
Passaus Caritas-Direktorin Andrea Anderlik eröffnete die Veranstaltung mit einem klaren Appell für mehr Selbstbestimmung und Inklusion. „Teilhabe und Selbstbestimmung sind nicht nur Schlagworte, sondern die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Menschen mit Beeinträchtigung sollen von Anfang an die Möglichkeit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, betonte sie.
Die Veranstaltung moderierte Bertin Abbenhues, Abteilungsleiter Teilhabeleistung für Kinder und Jugendliche der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e. V., während Expert:innen aus verschiedenen Perspektiven die Umsetzung dieses neuen Verständnisses beleuchteten. Den rechtlichen Rahmen erläuterte Fachanwalt Alban Westenberger. Er appellierte: „Weg vom Schubladendenken hin zur individuellen, bedarfsgerechten Hilfeleistung.“
Ein weiterer Blickwinkel kam von Thomas Bannasch, selbst Rollstuhlfahrer und Geschäftsführer der LAG- Selbsthilfe Bayern, der die Sichtweise von Menschen mit Behinderung vertrat. Er machte auf die großen Herausforderungen durch Fremdbestimmung und fehlende Ressourcen aufmerksam. „Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft und auch bei den Trägern.“ Träger wie der Bezirk Niederbayern sind für die Kostenübernahme von Leistungen für Menschen mit Behinderung zuständig. Eine große Herausforderung sei es, möglichst passgenau Leistungen zu finden und auch zu gewähren, erklärte Martin Gallitzendörfer, Referatsleiter in der Sozialverwaltung des Bezirks Niederbayern. Die Kosten seien seit 2018 um 40 Prozent angestiegen.
„Teilhabe und Selbstbestimmung sind nicht nur Schlagworte, sondern die Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Menschen mit Beeinträchtigung sollen von Anfang an die Möglichkeit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.”
Für eine spielerische Abwechslung sorgten Sabine Wolf und Dr. Gerhard Herrmann, Geschäftsführungen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern. In Form eines fiktiven Interviews zwischen einem Journalisten und einer Einrichtungsleiterin stellten sie die Herausforderungen eines Kindes mit Förderbedarf im Kindergarten dar. Diese beginnen bereits bei der Reizüberflutung an der Garderobe und enden bei der Interaktion mit anderen Kindern. Man müsse „dem Kind Entwicklungsräume und Wachstumsbedingungen ermöglichen, um Teilhabe zu fördern“.
Den Abschluss des Fachtags bildete eine lebhafte Diskussionsrunde, bei der deutlich wurde: Ein grundlegender Perspektivwechsel ist nötig, um Barrieren in der Gesellschaft abzubauen.
Nach dem Fachtag folgte ein feierlicher Moment: die Verabschiedung von Gerhard Krinninger in den Ruhestand. Er hatte über 31 Jahre mit großem Engagement für die Frühförderung gearbeitet, davon über 20 Jahre als Einrichtungsleitung.
„Ihr Blick auf das Wohl der Kinder, Ihr Einfühlungsvermögen für die Sorgen der Eltern und Ihre wertschätzende Art gegenüber Ihrem Team haben Sie zu einer geschätzten Führungspersönlichkeit gemacht“, so Caritas-Direktorin Andrea Anderlik. Auch Oberbürgermeister Jürgen Dupper, Mitglied des Fördervereins, hob Krinningers beeindruckenden beruflichen Werdegang hervor.
Cornelia Wasner-Sommer, stv. Landrätin, Bezirksrätin und 1. Vorsitzende des Fördervereins des Frühförderungsdienstes, unterstrich die enge und gute Zusammenarbeit: „Wir verabschieden dich mit einem lachenden und einem weinenden Auge.“ Wehmut und Dankbarkeit schwang auch bei Regina Schön, Vorsitzende der Mitarbeitervertretung des Caritas-Frühförderungsdienstes, mit: „Dank dir sind wir nicht nur als Team gewachsen, sondern auch als Individuen.“
Irene Berner, 1. Vorsitzende der Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung, würdigte Gerhard Krinninger für seine stets gute Art und verabschiedete ihn mit den Worten: „Du warst und bist ein Eckpfeiler für die Viff – sowohl nach innen als auch nach außen.“
Gerhard Krinninger selbst blickte dankbar auf seine Zeit bei der Caritas Passau zurück: „Mit Leib und Seele war ich Frühförderer und Führungskraft der Caritas Passau. Nun gebe ich die Leitungsverantwortung in großer Dankbarkeit ab.“ Seine Nachfolgerin wird Petra Haderer-Moser.
Zum Abschluss des Tages setzte die neue Einrichtungsleitung Petra Haderer-Moser einen starken Impuls für die Zukunft. „Eine drohende Behinderung wird nicht mehr als Eigenschaft oder Defizit eines Kindes betrachtet, sondern als Zusammenspiel diverser Faktoren. Es wird behindert – in seinem Recht auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe“, erklärte sie. Ihr Appell an die Anwesenden war unmissverständlich: „Tragen Sie dieses neue Verständnis von Behinderung hinaus in Ihre Lebenswelten. Erzählen Sie davon. Streuen Sie diese Botschaft aus wie einen Samen. Nur wenn wir als Fachkräfte und Verantwortliche dieses neue Denken weitergeben, kann sich etwas für Kinder und Menschen wirklich ändern.“
Text und Foto: Kilian Seiberl / can