Schmale goldene oder silberne Streifen aus dünnstem Papier aufgerollt und zu Blüten und Blättern gewickelt, winzige Perlen und kleine bunte Halbedelsteine aufgefädelt auf feinem Silber- und Golddraht, glitzernde Litzen, seidene Bordüren, kunstvoll gehäkelte feine Borten, bunt leuchtendes Seidenpapier, bestickte Stoffe, Pailletten, winzige Spiegel und herrlicher Samt – die filigranen Klosterarbeiten, mit denen Nonnen ursprünglich Reliquien gefasst und seit der Barockzeit die Altäre in ungeheizten Kirchen mit einer Blütenpracht aus Metall, Glas und Stoff zum Strahlen gebracht hatten, bezaubern und faszinieren noch heute. Viele der Techniken sind längst vergessen und zahlreiche Klöster, die berühmt waren für ihre präzise und sorgfältige Ausführung und ihren legendären Sinn für Geschmack und Stil, existieren nicht mehr.
Die Franziskanerinnen des Klosters Reutberg in Sachsenkam – es liegt in der Nähe von Bad Tölz – gehörten zu den bekanntesten Produzentinnen von Klosterwaren weit über Bayern hinaus. Besonders berühmt waren sie nicht nur für die Herstellung ihrer kostbaren Fatschen- und Gnadenkindl, die man am typischen „Reutberger Kopf“ erkennen konnte, sondern auch für ihre überaus reiche Sammlung an Kunstschätzen religiöser Volkskunst. Das Kloster war von der Säkularisation verschont geblieben, Ordensfrauen aufgelöster Klöster suchten dort Unterschlupf und brachten ihre Seelenkinder oder „Trösterlein“ mit nach Reutberg. Es war seit vielen Jahrhunderten Brauch der Angehörigen den Novizinnen bei der Einkleidung oder Profess Figuren des Jesuskindes aus Holz, Wachs oder Elfenbein zu schenken. Es war ihr einziger persönlicher Besitz, der ihnen den schmerzlichen Verlust einer eigenen Mutterschaft täglich bewusstwerden ließen; entsprechend prächtig verzierten sie das Gewand dieser „Ersatzkinder“ mit Klosterarbeiten. Um es zu schützen, legte oder stellte man es in ein kostbares Kästchen aus Holz oder Glas. Auf diese Weise haben sich zwei Darstellungen des Jesuskindes entwickelt: das in der Krippe liegende Wickelkind, mit breiten Seidenbändern gefatscht – und der segnende Jesus in Gestalt eines stehenden Kleinkinds.
„Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe“, heißt es im Lukas-Evangelium. Seit dem 3. Jahrhundert wird das Jesuskind als in Windeln gewickelt dargestellt, einer seit der Antike üblichen Art der Kinderpflege neugeborener Säuglinge. Das Bayerische verwendet für das Wickelband das lateinische Lehnwort „fascia“ und machte daraus Fatsche. Das Fatschenkind ist also im wörtlichen Sinne ein Wickelkind, ein Baby in Windeln, das von Italien her besonders im Alpenraum zum Mittelpunkt besonderer weihnachtlicher Volksfrömmigkeit wurde.
Berichtet wird, dass es bereits im Mittelalter den Brauch des Kindelwiegens in den Kirchen an Weihnachten gab; dabei wurde für das Christkind von Kindern gesungen und getanzt. Einfache Andachtsbilder, mit dem gefatschten Jesus aus Wachs geformt oder mit bemaltem Holz, sind ebenfalls bereits für diese Zeit datiert – wie übrigens auch Gebildbrote. Weite Verbreitung fanden auch Fatschenkinder, gegossen aus Eisen, Zinn- oder Silberblech, die als Votivgaben bei unerfülltem Kinderwunsch, Angst vor schwerer Niederkunft oder aus Sorge um ein krankes Kleinkind bei dafür bekannten Wallfahrtsorten dargebracht wurden. Erst im Barock entwickelte sich die Verehrung des Fatschenkindl in all seiner Pracht und Lieblichkeit, die uns verzückt staunen lässt. Besonders im Oberland, wohl unter dem nahen Einfluss der einzigartigen Reutberger Klosterarbeiten, kann man in den Weihnachtstagen die „schönen Kindln“ bewundern.
Es ist zuckersüß und zauberhaft anzuschauen, das Fatschenkind in seinem Glaskästchen mit dem geschnitzten barocken Goldrahmen (Bild oben), auf dem roten Samtpolster, in Windeln aus weißer und goldener Spitze gewickelt, mit kostbaren Posamenten und einem kleinen korallenfarbigen Perlenherz verziert, mit seinem Wachsköpfchen, den Pausbäckchen und dem lockigen Haar. Kleine Engel schweben an der Rückwand seines Glassturzes. Es gehört zu einer einzigartigen Sammlung von Jesuskindern, Fatschen- und Votivkindln der Pfarrei St. Benedikt im oberbayerischen Benediktbeuern. Gottlob hat das Kindlein das schlimme Hagelunwetter, dass die Gemeinde im Tölzer Land Ende August verwüstet hatte, unbeschadet überstanden.
„Die ältesten Kinderdarstellungen stammen aus dem Barock und gehörten einstmals der ehemaligen Benediktinerabtei, andere gelangten durch Stiftungen in den Kirchenschatz, die jüngeren Figuren werden dem 19. Jahrhundert zugerechnet“, berichtet Christian Höck. Als Basilika-Mesner hütet er die prächtigen Klosterarbeiten für seinen Pfarrverband, zu denen zwölf Fatschenkindl in Glaskästchen und drei sogenannte Gnadenkinder gehören, wie die stehenden und segnenden Jesuskinder in der religiösen Volkskunst genannt werden. Nur mehr einmal im Jahr verlassen die kleinen Kostbarkeiten für wenige Stunden ihren sicheren Aufbewahrungsort in der Sakristei. „Der Einfachheit halber stellen wir für die Dauer der Christmesse nur die Jesuskinder auf. Sie stehen dann auf den Seitenaltären der Kirche“, sagt Höck.
In Niederbayern trifft man vielfach Fatschenkindl an, die auf dem Kreuz schlafen, versonnen lächelnd, nur mit einem Lendentuch bedeckt. Das Kreuz liegt dabei auf reich verziertem und üppig gepolstertem Samt: „Hier lieg ich als Kind, bis ich als Richter komm und straf die Sünd“. Ebenfalls ganz besonders ist auch das Reutberger Kindl selbst, es stammt ursprünglich aus Bethlehem und wurde in der Weihnachtszeit seines Brokats entkleidet und nackt auf Stroh in die Krippe gebettet.
Das bekannteste und am meisten kopierte Fatschenkindl überhaupt – Repliken sind in vielen Kirchen und Klöstern überall im Alpenraum zu finden – dürfte das sogenannte Augustinerkindl der Marianischen Kongregation in der Münchner Bürgersaalkirche sein. In der Weihnachtszeit verlässt es seinen musealen Schutz und wird in der Oberen Kirche zur Verehrung aufgestellt – bis zu Mariä Lichtmess, und das seit 1817/18. Es liegt auf einem gut gepolsterten Prunkbettchen und wendet seinen Blick direkt dem Betrachtenden zu. Man erzählt sich, dass es einmal nach einem Sturz auseinandergebrochen sei und sich selbst wieder zusammengesetzt habe. Das brachte ihm den Ruf eines Gnadenkindls ein, dem die Münchner teure Kleinode und Geschmeide stifteten.
Ganz in der Nähe, eigentlich fast in der Nachbarschaft, wird seit einigen Jahren wieder ein zweites legendäres Gnadenkindl beherbergt: das Seminarikindl aus der ehemaligen St.-Gregor-Kirche, dem heutigen Albertinum. Es galt mehr als 200 Jahre als verschollen und zeigt das Jesuskind zwischen Rosen sitzend mit dem durchstoßenem Herz Jesu.
Zu den Schätzen des Benediktbeurer Pfarrverbands gehört auch eine originalgetreue Kopie des „gnadenreichen Salzburger Loretokindleins“, einer kleinen, zehn Zentimeter hohen, zierlichen stehenden Elfenbeinfigur, kostbar gekleidet in einem mit Perlen und Edelsteinen verzierten Röckchen. Auch dieses Jesuskind soll der Legende nach nicht nur zerbrochen sein und sich selbst wieder zusammengesetzt haben, es soll sich sogar selbst auf den Weg machen können. Das Hochfest seiner Verehrung ist der 3. Januar, der Tag des Festes des allerheiligsten Namens Jesu. Seit 1650 ist es, vermutlich aus dem Elsaß stammend, in Salzburg im Kloster St. Maria Loreto beheimatet.
Seit 1731 hat das Gnadenkindl einen eigenen Altar, es besitzt auch eine eigene Schmuckschatulle. Zu bestimmten Zeiten ist das Gnadenbild zur Verehrung ausgestellt. Auf Wunsch wird das „Loreto-Kindl“ von der diensthabenden Pfortenschwester der Kapuzinerinnen dem Ansuchenden aufgesetzt. Er kniet vor dem Pfortengitter, da die Ordensfrauen in strenger Klausur leben und hört den Segensspruch, in dem es unter anderem heißt: „Mit deinem göttlichen Kindlein segne uns, O du allerreinste Jungfrau und Mutter Maria!“
Die Wundertätigkeit des Loretokindl ist seit Jahrhunderten bis in die Gegenwart belegt. Das Salzburger Gnadenkindl gehört heute neben dem legendären „Santo Bambino“ in der römischen Kirche S. Maria d‘Aracoeli und dem Prager Jesulein, das in der Karmelitenkirche Santa Maria de Victoria verehrt wird, zu den bekanntesten Gnadenkindern. Das sind aufrechtstehende, segnende Jesuskinder, gekrönt und mit Szepter und Kreuz, in langen kostbaren, vom Hochadel gestifteten Prunkgewändern, die den liturgischen Anlässen entsprechend gewechselt werden. Ihre Wirkmacht entfalteten sie bei der Bevölkerung über eine große Vielfalt von billig zu erwerbenden und massenhaft produzierten Devotionalien, vom Andachtszettel, dem Oblaten- und Schluckbildchen bis hin zur Gipsfigur.
Seelenfürst, himmlisches Trösterlein, göttlicher Prinz – die aufrechtstehenden pausbäckigen, oft verschmitzt dreinblickenden Jesuskinder in ihren prächtig blitzenden Prunkröckchen trugen viele Namen. Die Wallfahrten zu ihnen sind meist vergessen oder erloschen, über 50 soll es davon in Altbayern, Österreich, Italien und Spanien gegeben haben, so auch in Schildthurn im Rottal und im oberbayerischen Mörmoosen in der Nähe von Altötting.
Nicht weit davon, in Kloster Altenhohenau südlich von Wasserburg am Inn, wird bis heute ein ganz besonderes Gnadenkindl verehrt: das sogenannte Columba-Kindl. Es ist eines von mehreren Christkindlfiguren, die das Dominikanerinnenkloster besaß, darunter auch ein neun Zentimeter kleines Holzfigürchen mit beweglichen Ärmchen, das wie das Loreto-Kindl aus dem Nahen Osten stammte. Das bekanntere Columba-Kindl trägt seinen Namen nach den der Mystikerin Columba Weigl, die dort im 18. Jahrhundert als Nonne gelebt und sich ganz der Verehrung der 50 Zentimeter hohen Holzfigur verschrieben hatte. Sie wurde Mitte des 15. Jahrhunderts vom Meister von Seeon geschnitzt. In der linken Hand hält das Jesuskind blaue Weintrauben, mit der rechten bietet es eine der Weinbeeren an. Für dieses Kindl sind bis heute prachtvolle Gnadenröckl und seidene Schühchen erhalten.
Dem Liebreiz der Fatschen- und Gnadenkindl kann sich keiner entziehen, der ihnen ins Antlitz geblickt hat. Umso wichtiger ist es, sie zu erhalten.
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank