Der Filmemacher Max Kronawitter hat mit seiner Kamera oft Menschen in existenziellen Lebenssituationen begleitet, dann trifft ihn selbst ein Schicksalsschlag. Ein Gehirntumor bedroht sein Leben und zerstört sein Sehvermögen teilweise. Der gebürtige Kellberger beschließt, darüber ein Buch zu schreiben. Im Interview erklärt er, warum das Schreiben so wichtig war, woher er Kraft und Hoffnung schöpft und welche kleinen Wunder er erlebt hat.
Max, wie geht es dir heute?
Kronawitter: Im Grunde genommen geht’s mir hervorragend – also abgesehen von meinen Einschränkungen, was das Sehen betrifft, habe ich ein sehr ausgeglichenes und erfülltes Leben zurzeit. Ich könnte mich nicht beschweren.
Der 5. Dezember 2022 hat dein Leben komplett verändert. Du bekamst an diesem Tag die Diagnose „bösartiger Gehirntumor“. Wie hast du den Tag in Erinnerung?
Kronawitter: Wir waren bei dieser Untersuchung – und eigentlich wollt‘ ich schon wieder zurück an meinen Schreibtisch, aber meine Frau hat gesagt: „Komm, die Bilder schauen wir uns jetzt noch an.“ Und als ich dieses Bild gesehen hab, war sogar mir als Nicht-Mediziner klar, dass das etwas ganz Einschneidendes in meinem Leben sein würde. Wir sind dann rausgegangen, meine Frau hat geweint und hat gesagt, dass ich sterben werde. Ich bin selber erstaunt gewesen über meine Gelassenheit. Ich habe mir gedacht: Du hast jetzt so viele Filme gemacht über Menschen in ganz außergewöhnlichen existenziellen Situationen und jetzt hat es halt dich erwischt. Und gleichzeitig erinnere ich mich, dass ich mich irgendwo weggebeamt habe. Ich habe an die schönen Urlaubsszenen gedacht, die wir in Korsika erlebt hatten; das war für mich die Strategie, mit dieser niederschmetternden Diagnose umzugehen.
Du warst plötzlich angewiesen auf Hilfe. Wie fühlt sich das an?
Kronawitter: Ich bin, glaub‘ ich, ein sehr selbstständiger Mensch und irgendwo auch ein Einzelkämpfer. Grad auch in meiner Arbeit. Plötzlich für viele Handgriffe jemanden zu brauchen, war schwierig. Das Schlimmste war natürlich, dass ich nicht mehr lesen konnte. Dann merkt man erst, wie essenziell lesen ist. Meine Familie hat sich ganz rührend um mich gekümmert. Aber die waren natürlich auch nicht immer da und meine Frau musste als Ärztin ja noch in die Klinik. Meine Kinder waren auch stark eingebunden, die eine hat gerade Abitur, der andere seine Abschlussarbeit gemacht. Also war das in der Tat für mich eine große Herausforderung, die Hilfe einzufordern, die ich brauchte in dieser Zeit.
Du beschreibst im Buch, wie dein 94-jähriger Vater dir aus der Zeitung vorliest, was es vorher so nie gegeben hat. Ist das eines der kleinen Wunder, die du erfahren durftest?
Kronawitter: In der Tat. Also diese Szene mit meinem Vater, als der plötzlich anfängt, mir aus der Presse vorzulesen, weil ich nicht mehr lesen konnte, die hat mich sehr beeindruckt und berührt. Und ich will auch nicht verschweigen, dass mir da ein paar Tränen über die Wange gekullert sind. Es waren viele Erfahrungen, die ich machen durfte, die ich so nicht erwartet hätte und die ich gerne als die „kleinen Wunder dieser Zeit“ bezeichnen möchte, weil sie so unerwartet waren und gleichzeitig auch so wunderbar für mich zu erleben.
Du schreibst, die Last der Ursachenfindung sei dir genommen worden, es sei Schicksal gewesen, dass die Krankheit dich getroffen hat. Macht es das für dich leichter?
Kronawitter: Auf alle Fälle. Zum einen glaub ich nicht, dass ich eine Lebensweise gelebt hab‘, die zu den Risiken für solche Erkrankungen gehört. Und zum anderen, weil für mich das keine Bestrafung durch Gott ist, oder wie auch immer. Es ist einfach ein Defekt der Natur, der immer wieder vorkommt, der millionenfach vorkommt. Der ist sozusagen in das System Schöpfung eingespeist und mich hat es halt erwischt. Aber ich habe dafür keinen Gott verantwortlich gemacht oder irgendein anderes Schicksal. Sondern das passiert halt. Und wenn es passiert, dann muss man es akzeptieren – und das habe ich getan.
Wie hat die Diagnose deine Sichtweise auf Leben und Tod verändert?
Kronawitter: Eigentlich gar nicht und zwar deswegen, weil ich mich sowohl als Theologe als auch als Filmemacher sehr lange und sehr intensiv immer wieder mit dem Thema Tod und Sterben auseinandergesetzt habe. Ich habe ungefähr zehn Filme zu dem Thema gemacht. Von daher war das ein Thema, in dem ich einfach drin war. Also war mir klar, dass irgendwann jeder Mensch sterben muss und bei mir ist es vielleicht ein bisschen früher. Aber die Auseinandersetzung damit, die war eigentlich gelaufen.
„Für mich ist der Himmel die Überraschung Gottes. Ich glaube, es ist etwas ganz Großes, das auf uns wartet, etwas, das unsere beschränkten Möglichkeiten, unser beschränktes Denken um so viel übersteigt, dass es einfach nicht in Worte gefasst werden kann.”
Wie kam es, dass du dich in deinen Filmen so oft mit Schicksalen von Menschen auseinandergesetzt hast, die an der Schwelle zwischen Leben und Tod standen?
Kronawitter: Ich habe die Erfahrung gemacht, an der Schwelle zum Tod oder wenn es dann wirklich wesentlich wird, dann werden die Menschen sehr ehrlich. Dann fällt vieles ab, was vorher Schminke war und wohinter man sich verstecken konnte. Und dann ist plötzlich eine Wahrhaftigkeit da, die mich immer beeindruckt hat. Dass Menschen eben nicht mehr versuchen, sich hinter irgendwelchen Fassaden zu verstecken, sondern wirklich das Essenzielle zur Sprache bringen. Und das hat mich gereizt, mit solchen Menschen in Dialog zu treten.
Der Titel des Buches „Ikarus stürzt“ hängt mit deiner Firma zusammen, die ja Ikarus heißt. Warum hast du diesen Titel gewählt?
Kronawitter: Die Figur des Ikarus hat mich als kleiner Junge schon fasziniert. Dass da einer etwas vollbringt, was man eigentlich nicht kann: fliegen. Der einfach kühn genug ist, um sich Federn zu basteln, um dann abzuheben. Also von daher war der Ikarus für mich ein sehr motivierendes Bild. Mein ganzes filmisches Leben bestimmte dieser kühne Mensch, der sich nicht von den Konventionen abhalten lässt, sondern immer auch Dinge ausprobiert, wo alle sagen: Das geht nicht. Das als Galionsfigur, als Anreiz über meine Firma zu stellen, das fand ich einfach cool.
Die Zeit des Schreibens war ja nicht leicht, wo hast du da die Kraft hergenommen, immer weiterzumachen?
Kronawitter: Dieses Buch zu schreiben, war für mich wirklich wie ein Anker. Am Anfang ist man ja völlig ohnmächtig und sagt: Was bleibt dann noch? Was ist mein Leben eigentlich noch wert? Täglich an diesem Buch zu arbeiten, das war wieder eine Herausforderung. Ich hatte wieder ein Ziel vor Augen und dieses Ziel hat mich einfach mit Leben erfüllt. Jedes Mal, wenn ich mich hingesetzt hab‘ und wenn mir dann ein Artikel ganz gut von der Hand gegangen ist, dann war das so ein kleines Glückserlebnis, wie ich es in meinem Beruf auch hatte. Wenn einem etwas glückt und wenn man auf etwas gerne schaut, weil es gut geworden ist, dann ist das eine Kraftquelle, so war das auch für mich. Die tägliche Arbeit an dem Buch war für mich wie so ein Lebenselixier. Allerdings, ohne die vielfältige Unterstützung meiner Frau beim beim Schreiben hätte ich es nicht geschafft.
Gab es aber auch Zweifel in der Zeit?
Kronawitter: Die Zweifel waren natürlich da. Und es war natürlich immer die Frage:
Jetzt hast du vielleicht nur noch so eine kurze Zeitspanne und du verplemperst sie damit, dass du irgendwas schreibst, von dem du eh nicht weißt, ob das irgendjemand interessiert, oder du machst da Korrekturen und solltest eigentlich eine Weltreise machen oder dich deiner Familie ganz und gar widmen. Also diese Zweifel gab es in der Tat und ich habe die auch immer wieder mit meiner Frau diskutiert. Aber im Grunde genommen waren wir uns immer einig: Es ist wichtig, dass dieses Buch entsteht, es ist wichtig für uns, es ist wichtig für unsere Familie, aber vielleicht auch für meine Freunde und vielleicht auch für Menschen, die mich nicht kennen, weil darin eine Botschaft steckt, die vielleicht auch tröstlich sein kann.
Du schreibst, warum muss immer erst eine Katastrophe kommen, dass einem die Augen aufgehen. Wie meinst du das?
Kronawitter: Ich muss schon selbstkritisch zugeben, dass ich für meine Kinder, für meine Familie, für meine Frau nicht die Zeit aufgewendet habe, die man hätte aufwenden können. Ich habe mich, glaub‘ ich, sehr oft viel zu schnell wieder in mein Studio zurückgezogen, um Filme fertig zu machen und hätte mich in der Zeit vielleicht auch mehr meinen Kindern widmen können. Ich habe vieles in meinem Leben auf meine Zeit als Opa verschoben, hab‘ mir gedacht: Wenn du dann mal in der Rente viel Zeit hast, dann kannst du das alles machen. Mir ist jetzt klargeworden: Vielleicht hast du aber gar keine Gelegenheit mehr dazu, alles dann als Opa gutzumachen.
Dann ist dein Rat also auch, sich nicht zu viel für die Zukunft aufzuheben, oder?
Kronawitter: Richtig. Also im Grunde genommen muss man immer so leben als wäre es der letzte Tag. Und der Versuch, sich immer selber zu vertrösten und zu sagen: Das mach ich dann, wenn ich…, das soll man vergessen. Man muss jetzt leben, man muss jetzt die Gelegenheit beim Schopf packen, weil man vielleicht keine Möglichkeit hat, das in zehn Jahren zu tun.
In einer Szene im Buch beschreibst du, wie du mit unserem Kollegen Johannes Schießl an einem verregneten Tag auf einen Berg steigst. Oben angekommen, fragst du ihn: Glaubst du an den Himmel? Und er sagt leise „Ja“. Glaubst du an den Himmel?
Kronawitter: Ja. Ich glaube an einen Himmel, der allerdings anders aussieht als der beim Brandner Kaspar. Mein Himmel ist nicht ein ewiges Hosiannasingen und ein Weißwurstessen, das kein Ende mehr hat. Für mich ist der Himmel die Überraschung Gottes. Ich glaube, es ist etwas ganz Großes, das auf uns wartet, etwas, das unsere beschränkten Möglichkeiten, unser beschränktes Denken um so viel übersteigt, dass es einfach nicht in Worte gefasst werden kann. Was uns erwartet, das ist die große Überraschung Gottes – und auf die freue ich mich.
Spielt der Glaube jetzt eine andere Rolle für dich als vor der Diagnose?
Kronawitter: Nein, eigentlich nicht. Das verwundert zwar manche, aber ich sag‘ immer gern: Was wäre das für ein Glaube, wenn er mit so einem Knoten hinten am Kopf völlig aus den Angeln geraten würde? Ich habe mich vorher schon relativ intensiv mit dem Glauben auseinandergesetzt und von daher bin ich jetzt auch nicht völlig aus dem Ruder geworfen mit dieser neuen Situation.
Für mich ist aber Gott nicht derjenige, der jetzt da angefleht werden müsste mit religiösen Praktiken und davon abgehalten werden müsste, mich weiter mit diesem zu bestrafen. Nein, das ist nicht Gott, der mir das, sozusagen als Prüfung, zuschustert. Das ist eben ein Defekt der Natur – und ich sehe Gott eher als jemanden, der dich in solchen Situationen einfach begleitet. Ich habe so viele Menschen in den letzten Wochen und Monaten erlebt, die mir zur Seite gestanden haben. – Für mich ist das eine Weise, wie Gott mich in dieser Zeit begleitet, eben durch diese Menschen. Und von daher erfahre ich jetzt auch diese Krisenzeit als eine Zeit, die von Gott begleitet ist. Und wo ich nicht mit ihm hadere, sondern ganz im Gegenteil, wo ich mich daran freue, dass er an meiner Seite steht.
Max Kronawitter und Wolfgang Krinninger gingen beide im Gymnasium Untergriesbach zur Schule. Sie kennen sich bereits sehr lange. Deshalb das vertraute „Du“ im Interview. Das Gespräch in voller Länge finden Sie hier.
Mitarbeit: Thomas König und Jasmin Grundmüller
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur