Seit bald vier Monaten kümmert sich Anna-Lena Eizenhammer in Indien um bedürftige Kinder. Die 18-Jährige aus Triftern erzählt von ihrem Freiwilligendienst bei den Salesianern Don Boscos.
Morgens legt Anna-Lena ihr weites Punjabi-Kleid an und wirft sich einen Schal um. Auf dem Weg zur Arbeit begegnet ihr oft ein Bettelkind mit zwei Totenkopf-Äffchen auf der Schulter. An ihrem Ziel, dem sogenannten Shelter (Unterkunft), läuft eins von sechs Projekten der Don-Bosco-Salesianer in der Millionenstadt namens Vijayawada.
Das Shelter dient als Erstaufnahmestation für Buben und Jugendliche im Alter von sieben bis 18 Jahren. Es wirkt wie ein großes Wohnzimmer. Den eingelieferten Straßenkindern bietet Anna-Lena Eizenhammer zusammen mit einer anderen Freiwilligen ein Dach über dem Kopf. „Falls nötig, können wir einen Ordenspriester um Rat fragen“, erklärt die junge Rottalerin. In der Regel bringen Nicht-Regierungs-Organisationen die Gestrandeten zu ihnen. Diese stammen aus Slums oder aus schwierigen Elternhäusern. „Auch wenn niemand hungert, ist die Armut groß“, weiß Anna-Lena.
Das Shelter war für sie „Liebe auf den ersten Blick“. Bei welchem Projekt sie mitarbeitet, durfte sich die Rottalerin nämlich aussuchen. An der Herberge gefällt ihr, „sich auf wenige Kinder konzentrieren zu können“. Manche bleiben nur ein paar Tage, andere länger. Ein 14-jähriger Junge ist etwa genauso lange dort wie sie. „Da kann man langsam eine menschliche Beziehung aufbauen“, so Anna-Lena.
Bei ihrer Arbeit beobachtete Anna-Lena: „Werden die Kinder ins Shelter gebracht, haben sie zunächst keine Lust, etwas zu machen.“ Erst nach einer Weile beginnen sie zu malen oder zu spielen. „Bis es soweit ist, braucht es Geduld“, so Anna-Lena. Da die Kinder kein Englisch sprechen, verständigt sie sich mit Händen und Füßen. In der regionalen Sprache Telugu kann sie ein paar Brocken. „Wadu heißt stopp“, weiß Anna-Lena. Machen die Kinder zu viel Unsinn, nutzt sie dieses Wort, um sie zum Aufhören zu bewegen. Bei alledem findet die junge Frau: „Im Prinzip sind Kinder überall gleich.“
Untergebracht ist die junge Rottalerin zusammen mit acht weiteren Freiwilligen aus Deutschland und Österreich in einer Wohngemeinschaft. „Wir haben ein eigenes Haus, die Priester des Ordens wohnen ein paar Minuten zu Fuß entfernt.“ In einer zentralen Küche wird für alle gekocht. An das scharfe Essen, meist Gemüse, musste sie sich erst gewöhnen. „Am Anfang habe ich gar nicht genug runtergekriegt, weil das im Mund richtig weh tat“, erinnert sich Anna-Lena. Dabei soll es in den Slums oder in den Dörfern noch wesentlich schärferes Essen geben.
Einmal fing sie sich eine Lebensmittelvergiftung ein. Ihr Verdacht fällt auf ein Stück Hühnerfleisch. „Erst nach drei Tagen ist es wieder besser geworden“, so Anna-Lena. Ihr indisches Lieblingsgericht heißt Palak Paneer. Dabei handelt es sich um pürierten Spinat mit Hüttenkäse, eine Spezialität aus Nordindien. Anna-Lena wohnt und arbeitet im Südosten des Landes mit seinen 1,4 Milliarden Menschen. Vor Ort beobachtet sie „eine extreme soziale Ungleichheit“. Ihr eigenes Leben ähnelt dem der indischen Mittelschicht. Deren Lebensstandard ist natürlich niedriger als in Deutschland. „Wer ein Auto hat, ist reich“, so Anna-Lena.
Alles in allem fiel ihr das Eingewöhnen überraschend leicht. „Heimweh habe ich erst nach drei Monaten bekommen“, so Anna-Lena. Da saß sie abends rum und dachte sich: „Gerne wäre ich jetzt daheim bei meiner Familie und meinen Freunden.“ Den Kontakt mit ihren Eltern in Triftern hält sie durch WhatsApp-Anrufe mit Kamera. „Das Internet ist in Indien mindestens so gut wie in Deutschland“, weiß Anna-Lena. Anstatt ein Tagebuch zu führen, spricht sie mit ihrer Mutter. Womöglich fällt dieser die große Distanz schwerer als ihr selbst.
Auf die Frage, ob das Leben in Indien auf sie selbst abfärbt, antwortet Anna-Lena: „Ich bin sicher ruhiger und geduldiger geworden.“
Text: Herwig Slezak