Wenn es Gott gibt, dann ist er wahrscheinlich das Wichtigste, was es gibt; denn ohne ihn gäbe es ja alles andere nicht – mich eingeschlossen. Und wenn Gott dreifaltig ist – ein Wesen in den drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist – und also das Christentum Recht hat, dann wäre es wohl das Vernünftigste, Christin oder Christ zu sein. Aber was ist dann mit den anderen Religionen? Sind sie falsch? Und wenn Jesus der Sohn Gottes ist, der Offenbarer, der Erlöser und all das andere, was der christliche Glaube ihm zuschreibt, dann wäre es wohl das einzig Richtige, an ihn zu glauben, ihm nachzufolgen, seine Jüngerin bzw. sein Jünger zu sein. Und wenn es den Heiligen Geist gibt, dann sollte man ihm wohl die Chance geben, bei uns ankommen und uns verwandeln zu können. Und wenn die Kirche die Folge des Wirkens des Heiligen Geistes ist, die Konsequenz aus der Verkündigung des Evangeliums; wenn ihr die Bewahrung und Verkündigung der Botschaft Jesu aufgetragen ist, dann wäre es unklug zu meinen, man brauche sie gar nicht – nicht für dieses und nicht für das nächste Leben.
Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist
Viele „Wenns“ und „Danns“ – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Ist der religiöse Glaube nicht vollkommen relativ, rein beliebig? – Das klingt für viele heute plausibel und attraktiv. Man lässt einfach alles Mögliche (und Unmögliche) nebeneinander stehen und jeder glaubt, was und wie er will. Und nicht selten bedient man sich bei den verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen wie in einem Ramschladen und bastelt sich etwas nach dem eigenen Gusto zusammen: hier ein wenig Nächstenliebe (oder eher Toleranz – denn den Nächsten, oder gar den Feind lieben, wie es Jesus in der Bergpredigt lehrt, geht dann doch irgendwie zu weit …), dann ein wenig Ökobewusstsein (Stichwort: Schöpfungsverantwortung) und dazu vielleicht noch ein wenig Wiedergeburtsglaube (Kreuz und Auferstehung klingen zu hart und zu eindeutig; ich lasse mir lieber eine Hintertür offen) …
Stimmt es also, was der (bayerische) Volksmund sagt: „Glaub’n hoaßt: nix wissen“, oder: „Nix g’wieß woaß ma ned …“?
Zugegeben, wenn man über Gott und unsere Beziehung zu ihm ernsthaft ins Nachdenken kommt, dann merkt man nicht nur, dass sich da die ganz großen Fragen stellen und sehr schnell zu persönlichen Herausforderungen werden, die letztlich zulaufen auf die Grundfrage nach dem Sinn meines Lebens, nach dem Grund meines Daseins, ja, nach dem Grund von allem überhaupt. Der Philosoph Gotthold Wilhelm Leibniz (1646−1716) hat das in die Frage gefasst: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Und der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889−1951) bemerkt im Satz 6.44 seines „Tractatus logico-philosophicus“: „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“
Wer sich grundlegende Fragen wie diese denkend und glaubend zu Herzen und zu Verstand gehen lässt, der wird sich vielmehr die Denkarbeit nicht ersparen wollen und können – das, was der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770−1831) die „Anstrengung des Begriffs“ genannt hat. Schon Aristoteles (384−322 v.Chr.) wusste: „Alle Menschen streben nach Wissen“; sie wollen herausfinden, wie die Dinge in Wahrheit sind. Papst Johannes Paul II. bemerkt dazu: „Der Mensch ist das einzige Wesen in der ganzen sichtbaren Schöpfung, das nicht nur zu wissen fähig ist, sondern auch um dieses Wissen weiß; darum interessiert er sich für die tatsächliche Wahrheit dessen, was für ihn sichtbar ist. Ehrlicherweise darf niemandem die Wahrheit seines Wissens gleichgültig sein. Wenn er entdeckt, dass es falsch ist, verwirft er es; wenn er es hingegen als wahr feststellen kann, ist er zufrieden.“ (Enzyklika „Fides et ratio“, Nr. 25)
Wie ein dicker, roter Faden zieht sich die Überzeugung durch die Geschichte christlichen Denkens von seinen Anfängen an: dass aus der Mühe, die objektive und absolute Wahrheit zu erkennen, nicht folgt, dass es sie nicht gibt, und aus der Schwierigkeit, die damit zusammenhängenden Fragen zu beantworten, nicht folgt, dass keine Antwort auf sie möglich ist.
Anders herum wird ein Schuh daraus: „An und für sich erscheint jede Wahrheit, auch Teilwahrheit, wenn sie wirklich Wahrheit ist, als universal. Was wahr ist, muss für alle und für immer wahr sein. Außer dieser Universalität sucht der Mensch jedoch nach einem Absoluten, das in der Lage sein soll, seinem ganzen Suchen und Forschen Antwort und Sinn zu geben: etwas Letztes, das sich als Grund jeder Sache herausstellt. Mit anderen Worten, er sucht nach einer endgültigen Erklärung, nach einem höchsten Wert, über den hinaus es weitere Fragen oder Verweise weder gibt noch geben kann. Hypothesen können den Menschen faszinieren, aber sie befriedigen ihn nicht. Es kommt für alle der Zeitpunkt, wo sie, ob sie es zugeben oder nicht, das Bedürfnis haben, ihre Existenz in einer als endgültig anerkannten Wahrheit zu verankern, welche eine Gewissheit vermittelt, die nicht mehr dem Zweifel unterworfen ist.“ („Fides et ratio“, Nr. 27)
Text: Dr. Anton Spreitzer, Leiter Hauptabteilung Bildung und Evangelisierung
Dr. Anton Spreitzer
Domkapitular, Hauptabteilungsleiter
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