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In einem gemeinsamen Appell zur Bundestagswahl treten die Vorsitzenden der christlichen Kirchen in Deutschland für Demokratie und Menschenwürde und gegen Extremismus ein. Auch der Autor unseres aktuellen Editorials der Ausgabe 8-2025 bezieht Stellung.
Nix Gwiss woass ma ned.“ Gut, dass der „Finessensepperl“ alias Joseph Huber (1763−1828) neugierige Fragen so schlau konterte – es musste ja nun wirklich nicht jeder wissen, was in den Liebesbriefen stand, die der stadtbekannte Vertrauensmann in München austrug. Manche Dinge bleiben besser privat.
Dann aber gibt es Dinge, die uns alle angehen. Politische zum Beispiel. Denn so lustig es ist, dass ein Münchner Spitzbua eine ganze Stadt in Liebesangelegenheiten an der Nase herumführen konnte, so furchteinflößend ist die Aussicht, wenn dies einem politischen Selbstdarsteller in Fragen des Gemeinwesens gelingt.
„Der ideale Untertan totalitärer Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder engagierte Kommunist, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert.”
Tatsächlich erwische ich mich aktuell dabei, dass ich den Spruch vom „Finessensepperl“ vor mich hinmurmle, wenn ich versuche bei der Fülle an Nachrichten und Videos und Posts zu politischen Themen im Internet den Überblick zu behalten: Genaues weiß ich eh nicht … Dann aber erinnere ich mich an die Warnung der genialen Publizistin Hannah Arendt: „Der ideale Untertan totalitärer Herrschaft ist nicht der überzeugte Nazi oder engagierte Kommunist, sondern Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert.“
A bissl was Gwiss woass ma aber scho! Etwa, dass ein Blick in die Geschichtsbücher nicht nur nette Gschichtn über bayerische Originale zum Vorschein bringt, sondern auch „harte“ Fakten über unser Zusammenleben – wie es sich entwickelt hat, was schiefgehen kann, was uns vorangebracht hat, was uns zusammenhalten kann …
Denn „harte“ Fakten gibt es nicht nur in der Welt der Technik oder in der Medizin. Sie gibt es auch in der „weichen“ Welt der Geschichte, der Politik – oder in der Welt des Glaubens. Wir wissen, dass unser christliches Menschenbild jeden Einzelnen als einen von Gott geliebten Menschen versteht, der eine Würde hat. Wir wissen, dass es demokratische Parteien gibt, die in ihrem Menschenbild davon ausgehen, dass jeder Einzelne eine Würde und damit auch das Recht besitzt, mitzubestimmen.
„Für die christlichen Kirchen ist unsere Demokratie unverhandelbar. Auf dieses Fundament sind wir stolz.”
Wir wissen, dass es neben diesen demokratischen Parteien auch solche gibt, die einzelne Menschen nur als Nebendarsteller eines Klassen- oder Rassenkampfes sehen (Kommunisten oder Rassisten/Nazis). Wir wissen, dass es Parteien gibt, die Menschen lieber sortieren und gegeneinander ausspielen: Hier diejenigen, die zu „unserem Volk“ gehören – und da die anderen. Wir wissen – dank der deutschen, dank der sowjetischen, dank der (…) Geschichte –, wie schlimm es endet, wenn einige bei einem exklusiven „Volksclub“ dabei sein dürfen und andere nicht. Wir wissen übrigens auch, dass Hitler kein Kommunist war, und dass wir als Christen beide nicht wollen. Und wir wissen, dass Parteien mit Vorliebe für einen russischen Kriegsherrn mit besten Beziehungen zu Ländern, die Christen verfolgen (China, Nordkorea, Iran), keine guten Alternativen sein können.
Freilich haben die demokratischen Parteien Unterschiede: Konservative bevorzugen einen starken Staat, der Sicherheit garantiert; liberale betonen die individuelle Freiheit; sozialdemokratische legen Wert auf die (wirtschaftlich-soziale) Gleichberechtigung; „grüne“ haben ein bisschen was von allen dreien und setzen sich für Gottes Schöpfung ein. Freilich machen die Vertreter dieser Parteien große Fehler – nicht nur die aktuellen. Aber die demokratischen Parteien haben ein Werte-Fundament, das auch Christen unterstützen können.
Wir wissen, dass wir es besser können, dass wir schlau sein können wie der Finessensepperl und dass es einen Fortschritt auch in Fragen unseres Zusammenlebens geben kann. Wir wissen, dass demokratische Parteien trotz all ihrer Unterschiede und Fehler zusammenarbeiten, Kompromisse schließen, Krieg und Gewalt verhindern können. Unsere Demokratie hat Vertrauen verdient. Gerade auch dann, wenn es nicht so gut läuft.
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Michael Glaß
Redakteur