Herr Prof. Montgomery, Sie sind zwar auch kein Hellseher, dennoch: Wie schätzen Sie die Lage ein, wann ein Corona-Impfstoff auf dem Markt sein wird? Oder werden wir nie mehr zur Normalität zurückkehren?
Prof. Montgomery: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt im Moment fast 200 Impfstoffprojekte weltweit, von denen einige erfolgversprechend aussehen. Es wird wohl möglich sein, verträgliche Impfstoffe herzustellen. Unklar ist aber noch, wieviel Immunität die erzeugen und wie lange die Immunität anhält. Wir dürfen deswegen den Aspekt der Therapie nicht vernachlässigen. Wir müssen auch Standardtherapien entwickeln, um die Krankheit – wenn auch nicht zu verhindern – so doch wenigstens behandeln zu können.
Die Weltgesundheitsorganisation machte während der Pandemie im Umgang mit China keine gute Figur. Vor diesem Hintergrund hat der US-Präsident den Geldhahn zugedreht. Was für Folgen hätte es, wenn es ihm mehrere Länder gleichtun würden?
Prof. Montgomery: In der Tat hat China einen unguten, übermäßigen Einfluss in der WHO und nutzt diesen auch für seine geopolitischen Zwecke. Deswegen muss die WHO dringend reformiert werden. Ihr in dieser Situation aber den Geldhahn zuzudrehen ist der falsche Weg. Jetzt wird jeder Cent gebraucht, denn in vielen armen Ländern der Welt ist die WHO die einzige Institution, die sich um die Gesundheitsversorgung notleidender Bevölkerungen kümmert. Noch schlimmer aber ist der Ausstieg aus der WHO wie ihn Donald Trump gerade vollzieht. Nur wenn man in der WHO ist, kann man bei der Reform mitwirken. So wird nur der Einfluss Chinas weiter gestärkt. Das ist eine Steilvorlage für Xi Ping.
Treten Sie für eine Corona-Impfpflicht ein?
Prof. Montgomery: Ich bin für eine Corona-Impfpflicht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
- Es muss einen sicheren, wirksamen und bezahlbaren Impfstoff geben.
- Das Risiko der Impfung muss wesentlich geringer sein als das der Erkrankung.
- Es muss über die Impfung und ihre anhaltende Wirkung möglich sein, Herdenimmunität zu erreichen. Das heißt: die geimpfte Immunität der Bevölkerung schützt die Wenigen, die man aus medizinischen Gründen nicht impfen konnte oder bei denen die Impfung nicht anschlug.
Sie tragen in der Öffentlichkeit eine Mund-Nasen-Maske – aus innerer Überzeugung als Arzt oder aus Gründen der Solidarität zu ihren Mitmenschen?
Prof. Montgomery:Am Anfang waren das nur Solidarität und Höflichkeit. Ich war vom Sinn und Zweck einfacher Mund-Nase-Bedeckungen (MNS) nicht überzeugt. Stattdessen war ich der Meinung, dass der Staat uns alle mit ausreichend wirksamen FFP2 Masken versorgen sollte. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Evidenz, dass auch einfache MNS etwa 85 Prozent des Virusaustritts verhindern. Sie sind also wirksam. Deswegen habe ich meine Meinung geändert.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Gesellschaft beim Umgang mit Abstandsgebot und Maskenpflicht?
Prof. Montgomery: Über 90 Prozent der Menschen halten sich daran, die meisten sogar vorbildlich. Natürlich gibt es ein paar „Covidioten“, die fehlgeleitet von abstrusen Theorien und verführt von rechten angeblichen Heilsbringern das Tragen von Masken ablehnen. Für die gibt es das Ordnungs- und Strafrecht.
Es fehlt hierzulande noch immer flächendeckend an medizinisch hochwertigen und sicheren Mund-Nase-Bedeckungen. Sogar Krankenschwestern und Pfleger müssen sich teilweise mit selbstgenähten Masken aus Vorhangstoffen behelfen. Ist das nicht ein Armutszeugnis für das ansonsten hochgelobte deutsche Gesundheitssystem?
Prof. Montgomery: Wie schon ausgeführt befürworte ich FFP2 Masken für alle. Die sind besser als selbstfabrizierte MNS – aber sie haben auch ihre Handicaps – der Atemwiderstand ist deutlich höher, das macht sie lästig und es erfordert Überwindung, sie nicht abzulegen. Deswegen ist die selbstgenähte Maske immer noch besser als gar nichts.
Die Mund-Nasen-Maske scheint zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl zu verleiten, etwa nach dem Motto: Maske auf und rein ins Getümmel! Ist nicht der Mindestabstand das alles entscheidende Mittel, um sich zu schützen?
Prof. Montgomery: Nach wie vor ist die AHA-Regel das Wichtigste:
- Abstand halten
- Hygieneregeln einhalten
- Atemschutz tragen
Und diese werden wir übrigens noch sehr lange beherzigen müssen. Wenn es einen Impfstoff gibt, heißt das ja noch nicht, dass gleichzeitig alle Menschen Immunität
haben. Impfen dauert – und auch auf die biologische Immunantwort wird man noch warten müssen. Fazit: Wir werden noch über Jahre Vorsichtsmaßregeln beachten müssen.
Zum Thema „Corona“ hören wir viel wirres Zeug. Woran liegt’s, dass Menschen die abenteuerlichsten Theorien entwickeln?
Prof. Montgomery: Teilweise haben „wir“ Ärzte und Wissenschaftler dazu beigetragen. Die Bevölkerung hat unsere Meinungsänderungen im wissenschaftlichen Diskurs nicht nachvollziehen können und nicht verstanden, dass das in der Wissenschaft ganz normal ist. Aber zum Teil haben sich auch krude Verschwörungstheoretiker, Politphantasten und rechte Scharfmacher der Situation bemächtigt und wirre Theorien postuliert, denen manch verirrtes Hirn leider nachläuft…
War in Deutschland die föderalistische Ordnung eher hinderlich oder nützlich, um das Virus zu bekämpfen?
Prof. Montgomery: Es hat an föderalem Gleichklang sehr gefehlt. Es ist unmöglich, den Menschen unterschiedliche Regeln in einzelnen Bundesländern klar zu machen. Und der lächerliche Schönheitswettbewerb der Ministerpräsidenten um Kanzlerkandidatur oder Parteivorsitz war auch nicht hilfreich. Es fehlte an von allen gleich umgesetzten national einheitlichen Vorgaben.
Es gibt Leute, die des Urlaubes wegen sogar in Risiko-Gebiete reisen. Sie scheinen zu glauben, auch das Virus mache Ferien. Wäre hier nicht bei der Rückkehr automatisch eine zwei Wochen dauernde häusliche Isolation als Konsequenz angezeigt? Oder, dass ihnen im Fall der Fälle alle Behandlungskosten aufgebrummt werden?
Prof. Montgomery: Wir kennen in der Gesetzlichen Krankenversicherung kein Schuldprinzip in der Behandlung von Erkrankungen. Deswegen bezahlen wir auch den Sportunfall und Infektionen, die man sich holt, auch wenn das Risiko bekannt ist. Ich finde aber schon, dass diejenigen, die wissend um das Risiko, sich diesem aussetzen, mindestens die Kosten für Test und Quarantäne tragen sollten. Sie sind inhärenter Bestandteil des Reisewunsches; warum soll die Allgemeinheit dafür aufkommen?
Irgendwann wird uns der Staat die Rechnung aufmachen für all die Kosten, die während der Pandemie entstanden sind. Wird es auch für viele Patienten ein böses Erwachen geben, die sich in Corona-Zeiten nicht mehr in Arztpraxen zur Vorsorgeuntersuchung und in Kliniken zu Behandlungen trauen?
Prof. Montgomery: Die Rechnung der Regierung ist das eine. Hier ist vor allem die Wirtschaft angesprochen – und die wird ja schon reichlich bedient. Es sei in dem Kontext nur erwähnt, dass z.B. die WHO für alle Länder der Welt nur einen Haushalt von etwas über 2,5 Milliarden US-Dollar im Jahr hat, wir uns aber die Rettung der Lufthansa alleine 9 Milliarden Euro kosten lassen.
Das Andere sind die verschobenen Operationen, verschobene Diagnostiktermine, aufgeschobene Vorsorgeuntersuchungen. Da kommt mit Sicherheit noch Einiges auf uns zu – und auch die eine oder andere verschleppte und dadurch verschlimmerte Krankheit wird dabei sein. Deswegen arbeiten wir alle gemeinsam an einer Verhinderung eines weiteren „lock-downs“.