„Löscht den Geist nicht aus!“ mahnt der Apostel Paulus seine Gemeinde im 1. Brief an die Thessalonicher. Der Appell gilt auch 2000 Jahre später. Sattheit und Trägheit, Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit sind der Tod des Glaubens. Was können wir tun, damit sich der Geist nicht verflüchtigt? Wie können wir im Lärm der Welt erspüren, wohin der Geist uns lenken will?
Bischof Oster: Was für eine wichtige, schwere und zugleich einfache Frage. Die einfache Antwort lautet: Gebet. Die schwere Seite davon: Es geht dabei nicht einfach um ein paar Minuten, in denen ich Sätze sage, in denen das Wort „Gott“ vorkommt. Es geht vielmehr um eine Herzensöffnung, einen Herzensaufschwung zu Gott. Es geht um eine innere Haltung, die lernt, Jesus immer mehr vor dem inneren Auge zu haben, ihn gleichsam dabei zu haben, ihn die innere Mitte meiner Seele sein zu lassen, die er ja von sich her eh schon ist. Stellen Sie sich ein Liebespaar vor oder eine Mutter von einem kleinen Kind: Die Mutter hat ihr Kind innerlich immer dabei, ebenso wie der Liebende die Geliebte – und zwar unabhängig davon, ob sie grad körperlich beieinander sind oder nicht. In diesem Sinn heißt „Beten lernen“ zugleich „Gott lieben lernen“ und dann lernen mit neuen Augen zu sehen – und damit auch lernen, die anderen Menschen zu lieben – wie Er. Das ist es, was den Geist nicht auslöscht.
An Pfingsten wurden Angst und Furcht, Kleingläubigkeit und Hoffnungslosigkeit von den Jüngern genommen. Es wurde ihnen neuer Schwung und neuer Mut geschenkt. Was ist Ihre Botschaft für ein neues Pfingsten, das die Kirche bei uns wohl nötiger denn je hat?
Bischof Oster: Jesus hat uns zugesagt, dass er uns nicht verlässt, bis zum Ende der Welt. Und ich habe am eigenen Leben erlebt, wie er mich von innen her verändert hat. Und das wirklich Schöne ist: ich sehe sehr regelmäßig bei Menschen, oft jungen Menschen, dass sie sich wirklich bekehren. Und ich stehe staunend daneben und denke mir: Wie groß ist das denn! Das Evangelium ist wirklich wahr. Es stimmt, wir leben eigentlich von Zeuginnen und Zeugen. Die braucht die Kirche mehr als fast alles andere. Und ja, wir brauchen eine Überwindung von Menschenfurcht! Wie selten habe ich in der Kirche erlebt, dass darüber überhaupt gesprochen wurde, dass es diese Menschenfurcht gibt, die uns wirklich hindert, von unserer Freude am Herrn zu erzählen!
Was können Zeichen des Heiligen Geistes heute sein?
Bischof Oster: In jedem Fall ist es ein persönliches Zeichen für Ihr Leben, wenn Sie sich mehr zu Gott hingezogen fühlen, wenn Sie mehr über Jesus lernen wollen, wenn die Hl. Schrift plötzlich ein spannendes Buch für Sie wird – und nicht eines mit sieben Siegeln bleibt. Wenn Sie Sehnsucht haben nach Gebet, nach der Messe, nach der Beichte. Wenn Sie wirklich berührt werden von Not und Armut anderer Menschen. Dann ist der Geist Gottes am Werk. Im Brief an die Galater (5,22−23) zählt Paulus auf, was „Frucht des Geistes“ ist. Wenn Sie also im Herzen mehr Frieden, Güte, Geduld spüren – mehr Freude und Liebe – auch für schwierige Menschen, dann wachsen Sie im Geist. Ein Zeichen des Geistes ist aus meiner Sicht auch, dass es weltweit so etwas wie eine Gebetsbewegung gibt: Menschen aus allen Konfessionen versammeln sich im Bild gesprochen neu und vertieft und gemeinsam „im Obergemach“ – um wie die Jünger mit Maria vor Pfingsten um die Herabkunft des Geistes zu beten. Überall sprießen so genannte 24/7‑Orte hervor, also Orte, wo rund um die Uhr das Gebet nicht mehr aufhört.
Der Pfingstgeist wird durch Taufe und Firmung in die Herzen der Menschen ausgegossen. Nachdem es zwangsläufig einige Zeit fast keine Firmungen gab, empfangen jetzt die ersten jungen Leute mit 16 Jahren die Firmung. Was erhoffen Sie sich von der Neuerung? Und was erwarten Sie von den nun älteren Firmlingen?
Bischof Oster: Ich denke, es wird in jedem Fall ehrlicher sein. Wir müssen uns ja ehrlich eingestehen, dass wir in den letzten Jahren viel mehr „sakramentalisiert“ haben – aber eben kaum „evangelisiert“; ein wenig nach dem Motto: Hauptsache gefirmt, den Rest wird der liebe Gott schon richten. Aber ein echtes Hinführen zu den Inhalten und Vollzügen des Glaubens und in die tiefere Auseinandersetzung, was das mit meinem eigenen Leben zu tun hat, damit tun wir uns insgesamt schwer. Ich hoffe, dass das nun mit den älteren Jugendlichen etwas besser gelingen kann.
Ein aktuelles Bemühen in der Kirche von Passau zielt dahin, die Pastoral gut aufzustellen und wo nötig neu zu organisieren. Was darf man sich darunter vorstellen? Was erwartet die Gläubigen in den Pfarreien?
Bischof Oster: Zunächst erleben wir ja vielerorts das Bewusstsein, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher. Die strukturelle Krise der Kirche, die Glaubenskrise, die Pandemie-Krise – all das lässt uns fragen, wie wir morgen Kirche sein werden? Wir sehen, dass wir Pastorale Räume entstehen lassen, die auch durch die Verwaltungszentren schon ein wenig Struktur haben. Und wir fragen uns, wie können wir besser kooperieren in der Seelsorge. An welchen Orten genügt eine Grundversorgung, an welchen Orten kann und soll es ein breiteres, gutes Angebot geben? Wenn Sie Firmung mit 16 ansprechen: Wir sehen, dass das eine Aufgabe sein kann, die man auch im Pastoralen Raum gut angehen kann. Die Rolle der Dekane und Prodekane wird noch wichtiger werden als bisher: Wir wollen sie in ihrer Verantwortung stärken und zugleich die in der Seelsorge Tätigen ermutigen, mit ihnen gemeinsam nach neuen Wegen und Schwerpunkten zu suchen.
Auch das am Domplatz entstehende HOME Passau steht als Schule für Glaubens- und Persönlichkeitsentwicklung für einen Neuanfang. Welche Hoffnung setzen Sie in HOME Passau?
Bischof Oster: Wir fragen uns, wie ein junger Mensch heute Christ wird, wenn die bisher gängigen Wege immer weniger zu greifen scheinen? Und wir wollen lernen, wie es in veränderter Zeit gelingen kann. Die Loretto Gemeinschaft aus Österreich, von der ja die Idee für das HOME stammt, zeigt uns da einen vielversprechenden Weg. Ich hoffe, dass davon nach und nach auch gute Impulse für das Bistum ausgehen werden, zum Beispiel auch wieder in der Firmvorbereitung. Aber zunächst einmal müssen wir sie gut starten und Erfahrungen sammeln lassen.
Der Heilige Geist öffnet den Mund und bewirkt Verständigung: Wo tut Verständigung heute besonders Not – und wo müssen gerade wir Christen den Mund besonders deutlich öffnen?
Bischof Oster: Ich glaube, wir brauchen konsequente Schritte in der Ökumene. Wie kommen wir zusammen, wie sprechen wir mehr mit geeinter Stimme? Wie kommen wir zusammen, wie sprechen wir mehr mit geeinter Stimme? Da muss uns der Geist Gottes wirklich immer neu zusammen führen. Aber wir haben auch dringende Anliegen: Der Schutz des Lebens am Anfang und Ende wird in dieser Gesellschaft immer zerbrechlicher. Die Polarisierungen nehmen zu. Der Hass, der vor allem im Internet geäußert wird, wird unerträglich – und wir Christen machen nicht selten mit. Europa ist angeschlagen, unsere Demokratie wird angefragt, die Fragen nach den Formen unseres Zusammenlebens und der Identität des Menschen fordern uns heraus, die Umwelt leidet massiv, Menschen werden ausgeschlossen oder an den Rand gedrängt; Pflegekräfte werden weniger und sind schlecht bezahlt. In alledem und anderem mehr sind wir als Christen gefragt – und sind gerufen, auch unsere Stimme zu erheben.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur