Herr Bischof, nach Weihnachten werden nun auch in der Fasten- und Osterzeit viele Gottesdienste via Fernsehen, Radio und Internet übertragen. Was gab dafür den Ausschlag?
Oster: Wir haben uns gefragt, wie wir im Lockdown bei den Menschen sein können. Und diese Kanäle haben sich als herausragende Möglichkeit erwiesen, bei den Menschen zu sein und ihnen wenigstens auf diesem Weg die Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen.
Wie waren die Rückmeldungen auf die bisher ausgestrahlten Gottesdienste? Was hat man daraus gelernt?
Oster: Die Rückmeldungen sind in der Regel sehr, sehr positiv. Die Menschen würdigen das Gesamtpaket: die musikalische Gestaltung, die gut ausgewählten Bilder, die wir senden, die Art der Verkündigung. Wir sind inzwischen ein eingespieltes Team, und die Menschen sind dankbar, dass sie sich irgendwie zuhause fühlen können. Sie erleben heimatliche, regionale Gefühle, weil sie ihren Bischof sehen, weil sie ihre Kirche, ihren Dom sehen – und das tut den Menschen offenbar sehr gut.
Braucht es ergänzende Angebote?
Oster: Wir haben gelernt, dass der Zuspruch so groß ist, dass wir ergänzende Angebote machen müssen. Wir werden die Möglichkeit, telefonisch Rückmeldung zu geben, deutlich ausbauen, verdoppeln quasi. Wir werden auch vorweg Angebote machen – etwa Videos produzieren –, die auf den Gottesdienst und seinen Inhalt hinführen. Wir werden auch anbieten, dass Menschen auf unserer Homepage vielerlei Möglichkeiten finden werden, sich auf den Gottesdienst vorzubereiten oder auch mit Kindern zu beten oder den Gottesdienst mit zu feiern. Solche ergänzenden Angebote wird es geben.
Sonntagvormittag, der Papa oder die Mama steht am Bügelbrett und im Fernsehen läuft der Gottesdienst aus dem Dom St. Stephan. Geht das? Was sind absolute No-Gos?
Oster: Ich glaube, das muss jeder Mensch selbst entscheiden. Auch in meinem Büro ist darüber eine Debatte entstanden. Einer meiner Mitarbeiter zieht sich am Sonntag, wenn er in den Gottesdienst geht, immer eine Krawatte an. Jetzt war die Frage: Zieht er sich auch, wenn er den Fernsehgottesdienst mitverfolgt und daran teilnimmt, eine Krawatte an? Man diskutiert zuhause: Knien wir uns hin, machen wir das Kreuzzeichen, wenn dazu aufgefordert wird, singen wir mit, beten wir laut das Vater unser mit? Solche Sachen werden diskutiert. Man übt ein, wie man eigentlich medial den Gottesdienst mitfeiert. Und ich glaube, viele Menschen, die einfach nur konsumieren, spüren auch, dass sie jetzt einfach nur konsumieren. Wir werden dazu verführt, keine Frage, aber vielleicht mag mancher auch einfach nur die Predigt hören und trinkt daneben Kaffee. Ich kann’s ihm nicht verbieten, das ist deswegen auch kein No-Go, da darf jeder natürlich selbst entscheiden, wie er das macht. Aber wenn man ernsthaft mitfeiern will, sollte man sich selbst No-Gos geben, vielleicht verbunden mit der Frage: Was würde ich in einer Kirche auf keinen Fall tun?
Eine neue Religion im digitalen Gewand werde die offline erlebte Religion kaum ersetzen, die neuen Möglichkeiten werden allenfalls als eine Besonderheit im Markt kultureller Angebote existieren, sagt der Kulturwissenschaftler Jan Assmann. Sind Sie auch der Meinung, dass die Glaubensreligion von der Leiblichkeit lebt und sich die feiernde, betende, zuhörende Gemeinde auf Dauer nicht digitalisieren lässt?
Oster: Gerade wir als Katholiken und Katholikinnen leben auch von der sinnlichen Erfahrung unserer Sakramente, die ja auch die Mitte unserer Gottesdienste sind; es sind leiblich-sinnliche Erfahrungen, Gott macht sich erfahrbar, erlebbar, sogar essbar. Wir kommunizieren die Kommunion und trinken die Kommunion, das sind sehr, sehr wichtige Erfahrungen. Auch die leibliche Gemeinschaft der Menschen als Brüder und Schwestern ist primär. Und deshalb, nein, der digitale Gottesdienst ist kein gleichwertiger Ersatz. Er ist ein Ersatz für manche, die nicht anders können, aber auch ein guter Ersatz ist nicht wirklich adäquat.
Gewähren Sie uns einen Blick in Ihr Innenleben: Wie erleben Sie als Priester am Altar einen TV-Gottesdienst? Was ist anders?
Oster: Zunächst habe ich versucht, einfach ganz normal wie immer im Gottesdienst da zu sein. Es waren ja immer einige Musiker da oder Ministrantinnen, Ministranten, Lektoren oder der Diakon. Ich habe im Grunde auf die hin, mit denen Gottesdienst gefeiert. Und darüber hinaus habe ich bedacht, dass auch noch Menschen da sind, die aus der Ferne teilnehmen. Aber mir hat es sehr geholfen, dass wirklich leiblich Menschen da waren. Deswegen konnte ich auch innerlich einigermaßen entspannt sein. Es ist auch so, dass ich wirklich gerne Gottesdienst feiere und innerlich das Mysterium vollziehe. Die Versuchung ist, dass man zu viel gewissermaßen Show daraus macht, damit man irgendwelche Effekte erzielt, dass man zu viel auf die Menschen eingeht, die den Gottesdienst mitverfolgen. Mir ist eigentlich daran gelegen, den Gottesdienst so selbstverständlich wie möglich zu feiern. Es gibt eine schlichte Feierlichkeit, würdig, das ist mir ganz wichtig. Ich habe erlebt, dass wir das tun konnten, weil wir eine so hoch professionelle Vorbereitung hatten. Dr. Bauernfeind und Herr Duschl haben das sehr, sehr gut vorbereitet, haben auch unsere Fernsehleute sehr gut drauf eingestimmt, so dass ich mich wirklich auf den Gottesdienst und auf die Verkündigung konzentrieren und mich dabei sammeln konnte.
Corona prägt mittlerweile über ein Jahr unseren Alltag. Nehmen Sie wahr, dass die Menschen in Zeiten der Krise mehr Kraft aus dem Glauben schöpfen? Hat unsere Kirche die richtigen Antworten für die Suchenden?
Oster: Es gibt einige, die in die Tiefe kommen, die nach Antworten suchen und die vielleicht die gewonnene Zeit anders nutzen. Es gibt andere, die lassen sich verängstigen. Und viele haben natürlich tatsächlich existenzielle Not, haben Angst. Wenn wir uns fragen, will uns Gott etwas damit sagen, bekommen wir als Antwort: Gott will uns immer sagen, dass wir uns zu ihm hinkehren, zu ihm hinwenden sollen – und ich hoffe, dass viele Menschen das tun werden. Ich hoffe, dass wir mit dem digitalen Angebot in der rechten Weise bei den Menschen sind. Aber ich weiß natürlich auch, dass sich viele Menschen draußen in unserer Seelsorge bemühen, bei den Menschen zu sein, wo es möglich ist – persönlich oder eben auch über die Technik mit Kontakten, Briefen und E‑Mails usw. Es gibt viele kreative Aktionen, mit denen Menschen einander nahe sein können.
Blicken wir nach vorne, auf die Zeit, wenn wir die Pandemie endlich hinter uns haben. Kehren die Menschen wieder in die Gottesdienste zurück? Wird sich im kirchlichen Leben etwas grundlegend verändern?
Oster: Ich hoffe, dass viele zurückkehren. Ich hoffe, dass die Sehnsucht wächst und auch zurückkehrt. Ich hoffe, dass bei den Menschen das, was spezifisch katholisch ist, seine Wirkung entfaltet: also eben auch sinnliche Erfahrung, leibliche Gemeinschaftserfahrung. Das kirchliche Leben, glaube ich, verändert sich insofern, als wir viel gelernt haben, auch im Umgang mit technischen Möglichkeiten. Das wird sich auf die Verkündigung auswirken. Ich glaube, bei dem Thema sind wir besser geworden.
Ich glaube schon, dass wir auch gesellschaftlich durch eine Zeit gehen, die für die Kirche sehr herausfordernd ist. Wir werden sehr bald eine sehr veränderte Kirche erleben, das hängt auch mit Corona zusammen, aber nicht alleine. Corona ist ein Beschleunigungsfaktor.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur