Herr Bischof, am 24. Mai 2014 wurden Sie zum 85. Oberhirten der Diözese Passau geweiht. Tausende Gläubige waren damals da. Wie erinnern Sie sich an Ihre Ankunft im Bistum Passau?
Bischof Stefan Oster: Ich war – ehrlich gesagt – wie ein staunender kleiner Junge, der ja wenig Ahnung hatte von diesem Dienst. Ich wusste nicht, was da auf mich zukommt, und gleichzeitig war ich auch ein bisschen, sagen wir mal, beängstigt, weil ich auch gespürt habe, dass eine riesige Erwartungshaltung da ist, verbunden mit dieser Euphorie.
Sie haben versucht, diese Euphorie ein bisschen zu bremsen und um Geduld gebeten, wenn Sie den Erwartungen nicht ganz gerecht werden können.
Bischof Stefan Oster: Ja, das weiß ich noch. Vor allem war ich noch nie ein besonders guter Sänger. Meine eigene Selbstbeschreibung ist: Früher war ich grottenschlecht, jetzt bin ich nur noch schlecht. Aber es hat eine leichte Steigerung gegeben. Außerdem neige ich manchmal dazu, länger zu predigen. Ich habe gesagt: „Freunde, da müsst ihr euch dran gewöhnen hin und wieder.“ Und dann predige ich sehr christologisch. Es geht immer direkt oder indirekt um Christus. Und interessanterweise verbindet man mit jemandem, der gefühlt freundlich und als Bischof jünger ist als der Durchschnitt, automatisch klassische Reformanliegen. Und natürlich gibt es da viele Themen, über die man reden muss und die man auch erklären und vertiefen muss.
Aber Sie sind mit Ihrem Kurs oft auch angeeckt…
Bischof Stefan Oster: Ja, natürlich, wenn man sich da in eine Minderheitenposition begibt, dann ist man schnell mal in Erklärungsnot. Zudem wird mit konservativ immer gleichzeitig verbunden, dass jemand irgendwie böse ist oder keine Ahnung hat oder ein Betonkopf ist. Das zeigt sich dann auch in der Bildersprache in den Medien. Man sucht sich dann zu jemandem, der nicht die Mainstream-Position hat, immer irgendwelche Bilder, auf denen der ganz komisch oder ganz grimmig schaut.
Der Synodale Weg wurde ja eingerichtet damals als Reaktion auf die vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Wie, glauben Sie, kann das Vertrauen wieder wachsen?
Bischof Stefan Oster: Es ist da in den vergangenen Jahren wirklich viel passiert. Sowohl im Bistum Passau wie auch auf der Ebene der Bischofskonferenz – in der Aufarbeitung, in der Prävention wie auch in der Sorge um die Betroffenen. Natürlich gibt es im Blick auf die Betroffenen auch das Gefühl: Es ist nie genug, was wir tun. Aber wenn wir auf andere große Organisationen schauen, in denen auch Missbrauch passiert, habe ich das Gefühl, es gibt keinen Ort, keine Organisation, wo so tiefgreifend und so ehrlich versucht wird, sich dem Thema zu stellen. Wir versuchen, wirklich auch an die Ursachen ranzugehen und uns um die Betroffenen zu sorgen, die Prävention zu stärken, um die Kirche zu einem sicheren Ort zu machen. Wir sind da auf einem guten Weg. Deshalb können wir, glaube ich, auch allmählich aus dem Selbstanklagemodus rauskommen und sagen, unser Glaube ist schön und tief und groß. Und er hilft Menschen zu leben. Wir müssen uns dafür nicht verstecken, vor allem weil es nicht der Glaube ist, den wir uns gemacht haben, sondern der, den wir überliefert bekommen haben. Ich sage daher auch mit einigem – richtig verstandenem – Selbstbewusstsein, unser Glaube ist wunderbar und hat mit Christus ein unglaubliches Alleinstellungsmerkmal; wenn das wahr ist, dass er lebt und unter uns ist, dann müssen und dürfen wir das auch immer wieder neu verkünden.
Hier das Interview mit Bischof Stefan zum Nachhören:
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Aber dennoch wird die Gemeinschaft der Gläubigen kleiner. Und das betrifft ja gerade auch diejenigen, die das Glaubensleben organisieren.
Bischof Stefan Oster: Das eine ist: Es ist noch viel da. Es sind viele Menschen da, die sich für die Kirche engagieren und ehrenamtlich unterwegs sind. Ich freue mich auch sehr über unsere guten Priester und die engagierten Mitarbeiter in der Pastoral, in der Kirchenmusik, im hauptamtlichen Dienst. Und nicht wenige Ehrenamtliche tun so viel! All das erfüllt mich mit Dank – und gleichzeitig macht es mir Sorgen, dass gerade die Zahl der Priesteramtskandidaten wie auch die Zahl derer in Ausbildung für Pastoralberufe überall drastisch zurückgegangen sind – auch bei uns. Was wir nicht so gut können, ist Dinge bleiben lassen, die nicht mehr so gut funktionieren. Katholizismus in einem eher ländlichen Raum wie dem unseren ist beharrend und in gewisser Weise strukturkonservativ. Den Menschen fällt es schwer, das heimatliche, alles was an Gefühls- und Erfahrungswelt damit verbunden ist, zu verlassen. Wenn wir sagen, der Gottesdienst findet jetzt nur in der Nachbarpfarrei statt, dann verliert man Menschen und es bleiben Leute auf der Strecke. Und trotzdem müssen wir, glaube ich, solche Wege suchen. Auch wenn wir ein überschaubares Bistum sind und noch auf Jahre hin auch die heilige Messe so feiern und organisieren können, dass Menschen nicht besonders weit gehen oder fahren müssen, um eine heilige Messe feiern zu können.
Was mir wirklich Sorgen macht, ist die inhaltliche Dimension des Glaubens. Die Frage ist: Wie helfen wir Menschen, den Glauben im Kopf und im Herz auch zu verstehen und da auch in die Tiefe zu gehen, wenn wir gleichzeitig merken, dass das Interesse für Glaubensfragen nicht so groß ist. Und auch das Vertrauen, dass in der Kirche Antworten für die großen Fragen dieser Zeit gefunden werden können, ist nicht besonders groß.
Sie wurden am 24. Mai zum Bischof geweiht, an dem Tag feiert die Kirche das Hochfest „Maria, Hilfe der Christen“. Wie stark bauen Sie auf die Unterstützung der Gottesmutter?
Bischof Stefan Oster: Ich will die Mutter Gottes den Menschen als wichtige spirituelle Erfahrung nahelegen, weil sie die Antwort ist. Sie hat die authentischste, tiefste, ganzheitlichste Antwort gegeben, die ein Mensch geben kann. So tief, dass in ihr Gott Wohnung genommen hat, dass sie praktisch eine Art Inbegriff der Kirche geworden ist. Denn Kirche ist Wohnung Gottes unter den Menschen. Meine innere Überzeugung ist, ich kann mich in dieses Ja der Gottesmutter hineinstellen und mit ihr lernen, Ja und Amen zu sagen. Ja auf das, was der Anruf an mich ist. Und dadurch wird mein Glaube hoffentlich tiefer und existenzieller und verbindlicher diesem Gott gegenüber, der uns ruft. Und, ja, deswegen glaube ich, dass das eine wichtige Dimension für uns Katholiken ist. Wenn wir nach Altötting gehen, dann spüren viele: Hier ist heile Welt – weil sie selbst die heile Welt in Person ist. Deswegen ist die Mutter Gottes eine sehr wichtige spirituelle Dimension für mich. Alle großen Erneuerer in der Kirche, die ja fast alle Ordensgründer waren, waren tiefe Verehrer und Verehrerinnen der Mutter Gottes.
Ein kurzer Blick in die Zukunft. Was ist Ihr persönlicher Wunsch, Ihre Hoffnung?
Bischof Stefan Oster: In einem der ersten Zeitungsinterviews vor zehn Jahren bin ich gefragt worden, was mein Programm sei. Dann war ich echt überrascht und habe gesagt: Mehr von Jesus. Und ehrlich gesagt, das hat sich nicht geändert. Ich habe einfach die Sehnsucht oder die Aufgabe, Menschen mit ihm bekanntzumachen. Ich glaube, dass das eine ganzheitliche Erfahrung wird, die mein Leben in die größere Freiheit, in die größere Freude führt, auch in die größere Fähigkeit zu lieben, zu glauben, zu hoffen. Die Tatsache, dass wir uns für die Ökologie engagieren, dass wir uns für Arme einsetzen, dass wir Kindern und Jugendlichen in der Erziehung helfen wollen, dass wir uns um Menschen in Not sorgen – das ist alles eine Folge daraus, dass wir berührt sind von der Hingabe Christi und von seinem Leben für uns. Deswegen wollen wir für andere leben, ja, es ist eine Folge daraus. Und die Gefahr, die ich sehe, ist, dass sich da was entkoppelt. Ich will, dass Menschen, Christus für sich entdecken, und ich darf das auch durch meinen Dienst oder durch den Dienst, den ich mit anderen zusammen mache, immer wieder mal erleben. Das ist die größte Freude, zu entdecken, dass ein Mensch dorthin findet und davon irgendwie Zeugnis geben kann, dass das sein Leben verändert hat. Ja, das hoffe ich, dass das möglichst viele Menschen finden können.
Sie haben vor zehn Jahren ein Amt übernommen, das sehr fordernd ist. Haben Sie das Gefühl, dass dieses Amt Sie in diesen zehn Jahren verändert hat, und wenn ja, wie?
Bischof Stefan Oster: Mich selber? Ja, natürlich, es wäre schlimm, wenn nicht. Ich hoffe, ich bin demütiger geworden, auch geduldiger. Ich glaube, ich bin anfangs sehr enthusiastisch angetreten, mit der Überzeugung, ich kann jetzt da irgendwie was bewegen, und hab vielleicht auch manchmal jemanden mit meinen Überzeugungen überfahren oder überfordert. Da versuche ich heute einen anderen Ansatz, ohne dass ich die grundlegenden Überzeugungen verloren hätte. Was sich verändert hat, ist auch, dass ich gelassener geworden bin. Ich habe eine größere Freiheit des Wortes und des Handelns gefunden.
Was war die schönste Überraschung in den vergangenen zehn Jahren?
Bischof Stefan Oster: Letztes Jahr war ich in Italien in der Nähe eines Wallfahrtsorts im Urlaub, und dort habe ich eine Gruppe von sechs Leuten getroffen: ein junger Mann, dessen Eltern, eine junge ehemalige Muslima und deren Verlobter, und noch eine andere Person. Und die waren alle miteinander auf den Spuren in Italien von Franziskus und Clara. Sie haben mich kontaktiert, weil sie gewusst haben, ich bin in der Nähe. Beim Mittagessen haben sie mir erzählt: „Du, wir wollten Dich einladen und Dir sagen, 2016 war noch keiner von uns gläubig.“ Das berührte mich zutiefst. Ich habe natürlich große Sachen erleben dürfen: Ich war jetzt auf der Synode, ich war bei Weltjugendtagen und so weiter… Und immer steht man als Bischof da irgendwie im Mittelpunkt. Das ist alles schön, aber am meisten berührt mich, wenn sowas passiert. Erst kürzlich war ich bei einer Visitation. Und an einem der Abende kam am Ende eine Frau mit Tränen in den Augen und hat gesagt: „Herr Bischof, heute habe ich zum ersten Mal nach Jahren verstanden, was Sie uns eigentlich sagen wollen.“ Solche Erfahrungen, da kommen mir selber die Tränen. Da merke ich dann: Der Heilige Geist ist am Werk. Das glaube ich zutiefst. Und das sind die kleinen Dinge. Eigentlich geht‘s mir um nichts anderes als um das: Menschen dahin zu führen. Das ist der Dienst, den wir als Kirche tun.
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