„Diskurs bleibt auf der Strecke“

Redaktion am 31.03.2025

2025 03 31 pb alb soziale netzwerke Foto: Adobe Stock
Die Sozialen Netzwerke sind Fluch und Segen zugleich. Die Gefahr, darin verloren zu gehen, ist groß, wie dieses KI-generierte Foto versinnbildlicht.

Im Pfarrverband Hauzenberg spaltet ein Streit um einen Pfarrer die Gemeinde. Die Entscheidung, ihn abzuberufen, sorgt vor Ort bei vielen Menschen für Wut und Unverständnis. Das Thema kocht vor allem in den Sozialen Medien hoch. Wir sprachen darüber mit Dr. Michael Graßl. Seine Fachgebiete sind u.a. Print- und Onlinejournalismus, Social Media und Innovationen im Journalismus. Er forscht und lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Herr Dr. Graßl, im Pfarr­ver­band Hau­zen­berg im Bis­tum Pas­sau spal­tet ein Streit um einen Pfar­rer die Gemein­de: Alex­an­der Aulin­ger ist seit Mon­tag, 24. März, nicht mehr Dekan und Pfar­rer im Pfarr­ver­band. Grund­la­ge für die Ent­schei­dung des Bischofs sind die Inter­ven­ti­ons­ord­nung der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz sowie der Ver­hal­tens­ko­dex des Bis­tums Pas­sau. Vor Ort sorgt die­se Ent­schei­dung bei vie­len Men­schen für Wut und Unver­ständ­nis. Das The­ma kocht vor allem in den Sozia­len Medi­en hoch. Auf­ru­fe, Stel­lung­nah­men, State­ments wer­den hun­dert­fach geteilt. Durch das Inter­net und vor allem durch die Sozia­len Medi­en kön­nen alle am Dis­kurs teil­neh­men. Die­se Teil­ha­be ist eigent­lich eine gute Ent­wick­lung, oder?

Graßl: Auf den ers­ten Blick durch­aus. Dem­entspre­chend opti­mis­tisch war man lan­ge Zeit auch im Hin­blick auf Sozia­le Medi­en, weil sie eben jedem eine Stim­me geben kön­nen bzw. zu einer auf den ers­ten Blick sicht­ba­re­ren Stim­me füh­ren. Und das auf eine sehr ein­fa­che Art und Wei­se, weil man mit wenig Zeit und kos­ten­los – nimmt man die eige­nen Daten aus, die man den Platt­for­men dafür gibt – am Dis­kurs teil­neh­men kann, bes­ten­falls noch im Jog­ging­an­zug von zuhau­se auf der Couch.

2025 03 31 pb alb michael grassl Foto: privat
Dr. Michael Graßl.

Und doch hat man das Gefühl, dass allein durch man­che State­ments und vor allem die Kom­men­ta­re die Erre­gungs­kur­ve immer noch wei­ter ansteigt und es nur mehr ein Für“ oder Gegen“ gibt und alle Zwi­schen­tö­ne unter­ge­hen. Ist das so?

Graßl: Das ist in der Tat lei­der häu­fig so. Die gro­ßen Hoff­nun­gen, über die wir gera­de schon spra­chen, haben sich nicht in der Form bewahr­hei­tet, wie wir uns das gewünscht hät­ten. Statt­des­sen erle­ben wir immer öfter, dass die Pola­ri­sie­rung stark zunimmt und der Aus­tausch und Dis­kurs, den wir im per­sön­li­chen Streit­ge­spräch noch regel­mä­ßi­ger füh­ren, in Sozia­len Medi­en auf der Stre­cke bleibt. Das ist auch durch die Algo­rith­men bedingt, die eine emo­tio­na­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wei­se mit mehr Auf­merk­sam­keit beloh­nen als die neu­tral-sach­li­che. Ein Kern­pro­blem von Sozia­len Medi­en aus demo­kra­ti­scher Sicht. Emo­tio­nen gehö­ren dazu, aber sie allein sind kei­ne gute Ent­schei­dungs­grund­la­ge, weder in der per­sön­li­chen poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on noch in Sozia­len Medi­en. Wohin die­se Ver­ständ­nis­lo­sig­keit für die ande­re Sei­te, das rei­ne mei­ne Mei­nung ist die ein­zig rich­ti­ge“, füh­ren kann, zeigt das Bei­spiel der USA. Hier wis­sen wir aus Stu­di­en bei­spiels­wei­se auch, dass Mani­pu­la­tio­nen via Sozia­le Medi­en, z.B. durch die bewuss­te Streu­ung von Falsch­mel­dun­gen und deren per­ma­nen­te Wie­der­ho­lung, durch­aus Wahl­ent­schei­dun­gen beein­flusst haben.

Ver­stär­ken die Algo­rith­men die Erre­gung sogar noch weiter?

Graßl: In der Regel schon. Weil sie, wie gesagt, emo­tio­na­le Mei­nun­gen eher för­dern als neu­tra­le und sach­li­che. Möch­te ich also gese­hen und gehört wer­den, wer­den mei­ne Emo­tio­nen, mei­ne Wut in ein­fa­chen und kur­zen Bot­schaf­ten eher von Erfolg gekrönt sein als mei­ne aus­führ­lich und sach­lich dar­ge­leg­ten Argu­men­te. Die Fol­ge ist ein Dis­kurs, der eben stär­ker durch die­se kur­zen, emo­tio­na­len State­ments geprägt ist als eine auf Argu­men­ten basie­ren­de Dis­kus­si­on. Die­se Pro­ble­ma­tik ken­nen wir auch aus Stu­di­en zur Poli­zei­kom­mu­ni­ka­ti­on auf Social Media. So ist es für die Poli­zei häu­fig schwie­rig, Falsch­mel­dun­gen oder Gerüch­te, die z.B. rund um eine Kri­sen­la­ge ver­brei­tet wer­den, schnell und ziel­si­cher wie­der ein­zu­fan­gen, da die Poli­zei in der Regel ihre Infor­ma­tio­nen und Klar­stel­lun­gen nüch­tern und sach­lich kom­mu­ni­ziert, die­se Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wei­se aber nach den Regeln der Platt­for­men eher benach­tei­ligt wird. So kann die Fol­ge sein, dass sich eine Falsch­mel­dung wei­ter wie ein Lauf­feu­er ver­brei­tet, obwohl die Klar­stel­lung der Poli­zei längst vor­liegt und kom­mu­ni­ziert wurde.

So wie ich nicht von ande­ren behan­delt wer­den möch­te, so soll­te ich auch kei­nen ande­ren behan­deln. Lei­der haben wir fest­stel­len müs­sen, dass dies im vir­tu­el­len Raum nicht so funk­tio­niert wie in der rea­len Welt.”

Dr. Michael Graßl über die Gefahren der Social Media

Wel­che Wir­kung haben Face­book, Ins­ta, Tik­tok und Co über­haupt auf die Nutzer?

Graßl: Da gehen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. Eini­ge mei­nen, dass die Sozia­len Medi­en die Nut­zer und somit ihre Mei­nun­gen und Ansich­ten sehr stark beein­flus­sen. Ande­re wie­der­um mei­nen, dass dies eben genau nicht der Fall ist. Ich den­ke, dass die Wahr­heit irgend­wo dazwi­schen liegt. Aus der Wahl­for­schung wis­sen wir zum Bei­spiel, dass zur Wahl­ent­schei­dung einer Per­son mehr als nur ihre Nut­zung von Sozia­len Medi­en gehört. Zum Bei­spiel die Fami­lie, der Freun­des­kreis, etc.; auch sehen wir, dass der Bil­dungs­grad einen Ein­fluss auf die Anfäl­lig­keit für Falsch­mel­dun­gen in Sozia­len Medi­en hat. Sicher ist aber, dass gera­de in der jün­ge­ren Bevöl­ke­rung die Nut­zung von Sozia­len Medi­en über die ver­gan­ge­nen Jah­re per­ma­nent gestie­gen ist, was bedeu­ten wür­de, dass der Ein­fluss der Platt­for­men also ten­den­zi­ell eher noch wei­ter zuneh­men wird als abnehmen.

Was emp­feh­len Sie den Nut­zern Sozia­ler Medi­en? Wie geht man rich­tig damit um, ohne ande­ren und sich selbst zu schaden? 

Graßl: Wenn wir die­se Fra­ge schon zufrie­den­stel­lend beant­wor­tet hät­ten, wären wir schon ein gan­zes Stück wei­ter. Die Gol­de­ne Regel gibt es dafür lei­der nicht. Prin­zi­pi­ell soll­ten wir aber die Umgangs­re­geln, die wir uns für den per­sön­li­chen Aus­tausch gege­ben haben und wün­schen, auch auf den Aus­tausch in Sozia­len Medi­en über­tra­gen. Damit ist z.B. gemeint, dass ich sach­lich dis­ku­tie­re, mir die Mei­nung des ande­ren anhö­re und nicht belei­di­ge. So wie ich nicht von ande­ren behan­delt wer­den möch­te, so soll­te ich auch kei­nen ande­ren behan­deln. Lei­der haben wir fest­stel­len müs­sen, dass dies im vir­tu­el­len Raum nicht so funk­tio­niert wie in der rea­len Welt. Häu­fig weil die Hemm­schwel­le viel nied­ri­ger ist. Teils auch, weil ich anonym auf­tre­ten kann und ich nur sel­ten Kon­se­quen­zen befürch­ten muss. Trotz­dem soll­te man sich nicht ganz aus dem Dis­kurs zurück­zie­hen und wei­ter­hin ver­nünf­tig mit­dis­ku­tie­ren, sonst über­lässt man genau die­ser pola­ri­sier­ten Dis­kus­si­ons­wei­se die freie Bühne.

Sozia­le Medi­en: Mehr Fluch oder mehr Segen?

Graßl: Auch hier liegt die Wahr­heit wohl wie­der irgend­wo dazwi­schen. Da wir über den Fluch“ der Sozia­len Medi­en schon breit gespro­chen haben, viel­leicht noch­mal ein Wort zum Segen“ Sozia­ler Medi­en. Bei allen nega­ti­ven Ein­flüs­sen auf unse­ren gesell­schaft­li­chen Aus­tausch, so haben wir in der Ver­gan­gen­heit auch immer wie­der den posi­ti­ven Ein­fluss gese­hen. The­men wie die #metoo-Bewe­gung oder ande­re gesell­schafts­re­le­van­te The­men oder Pro­ble­ma­ti­ken wären ohne Sozia­le Medi­en zu jenen Zeit­punk­ten nie­mals so stark in den öffent­li­chen Dis­kurs gekom­men. Wel­che Wir­kun­gen das haben kann, hat man beim Ara­bi­schen Früh­ling gese­hen. Hier zeigt sich also, dass durch­aus auch Poten­tia­le in Sozia­len Medi­en lie­gen kön­nen, die in unse­rer Gesell­schaft zu Ver­bes­se­run­gen füh­ren kön­nen. Wenn­gleich wir aktu­ell vor allem eher mit den Schat­ten­sei­ten kon­fron­tiert sind, das muss man schon ehr­lich sagen.

Wolfgang krinninger

Wolfgang Krinninger

Chefredakteur

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