
Im Pfarrverband Hauzenberg spaltet ein Streit um einen Pfarrer die Gemeinde. Die Entscheidung, ihn abzuberufen, sorgt vor Ort bei vielen Menschen für Wut und Unverständnis. Das Thema kocht vor allem in den Sozialen Medien hoch. Wir sprachen darüber mit Dr. Michael Graßl. Seine Fachgebiete sind u.a. Print- und Onlinejournalismus, Social Media und Innovationen im Journalismus. Er forscht und lehrt an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Herr Dr. Graßl, im Pfarrverband Hauzenberg im Bistum Passau spaltet ein Streit um einen Pfarrer die Gemeinde: Alexander Aulinger ist seit Montag, 24. März, nicht mehr Dekan und Pfarrer im Pfarrverband. Grundlage für die Entscheidung des Bischofs sind die Interventionsordnung der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Verhaltenskodex des Bistums Passau. Vor Ort sorgt diese Entscheidung bei vielen Menschen für Wut und Unverständnis. Das Thema kocht vor allem in den Sozialen Medien hoch. Aufrufe, Stellungnahmen, Statements werden hundertfach geteilt. Durch das Internet und vor allem durch die Sozialen Medien können alle am Diskurs teilnehmen. Diese Teilhabe ist eigentlich eine gute Entwicklung, oder?
Graßl: Auf den ersten Blick durchaus. Dementsprechend optimistisch war man lange Zeit auch im Hinblick auf Soziale Medien, weil sie eben jedem eine Stimme geben können bzw. zu einer auf den ersten Blick sichtbareren Stimme führen. Und das auf eine sehr einfache Art und Weise, weil man mit wenig Zeit und kostenlos – nimmt man die eigenen Daten aus, die man den Plattformen dafür gibt – am Diskurs teilnehmen kann, bestenfalls noch im Jogginganzug von zuhause auf der Couch.

Und doch hat man das Gefühl, dass allein durch manche Statements und vor allem die Kommentare die Erregungskurve immer noch weiter ansteigt und es nur mehr ein „Für“ oder „Gegen“ gibt und alle Zwischentöne untergehen. Ist das so?
Graßl: Das ist in der Tat leider häufig so. Die großen Hoffnungen, über die wir gerade schon sprachen, haben sich nicht in der Form bewahrheitet, wie wir uns das gewünscht hätten. Stattdessen erleben wir immer öfter, dass die Polarisierung stark zunimmt und der Austausch und Diskurs, den wir im persönlichen Streitgespräch noch regelmäßiger führen, in Sozialen Medien auf der Strecke bleibt. Das ist auch durch die Algorithmen bedingt, die eine emotionale Kommunikationsweise mit mehr Aufmerksamkeit belohnen als die neutral-sachliche. Ein Kernproblem von Sozialen Medien aus demokratischer Sicht. Emotionen gehören dazu, aber sie allein sind keine gute Entscheidungsgrundlage, weder in der persönlichen politischen Kommunikation noch in Sozialen Medien. Wohin diese Verständnislosigkeit für die andere Seite, das reine „meine Meinung ist die einzig richtige“, führen kann, zeigt das Beispiel der USA. Hier wissen wir aus Studien beispielsweise auch, dass Manipulationen via Soziale Medien, z.B. durch die bewusste Streuung von Falschmeldungen und deren permanente Wiederholung, durchaus Wahlentscheidungen beeinflusst haben.
Verstärken die Algorithmen die Erregung sogar noch weiter?
Graßl: In der Regel schon. Weil sie, wie gesagt, emotionale Meinungen eher fördern als neutrale und sachliche. Möchte ich also gesehen und gehört werden, werden meine Emotionen, meine Wut in einfachen und kurzen Botschaften eher von Erfolg gekrönt sein als meine ausführlich und sachlich dargelegten Argumente. Die Folge ist ein Diskurs, der eben stärker durch diese kurzen, emotionalen Statements geprägt ist als eine auf Argumenten basierende Diskussion. Diese Problematik kennen wir auch aus Studien zur Polizeikommunikation auf Social Media. So ist es für die Polizei häufig schwierig, Falschmeldungen oder Gerüchte, die z.B. rund um eine Krisenlage verbreitet werden, schnell und zielsicher wieder einzufangen, da die Polizei in der Regel ihre Informationen und Klarstellungen nüchtern und sachlich kommuniziert, diese Kommunikationsweise aber nach den Regeln der Plattformen eher benachteiligt wird. So kann die Folge sein, dass sich eine Falschmeldung weiter wie ein Lauffeuer verbreitet, obwohl die Klarstellung der Polizei längst vorliegt und kommuniziert wurde.
„So wie ich nicht von anderen behandelt werden möchte, so sollte ich auch keinen anderen behandeln. Leider haben wir feststellen müssen, dass dies im virtuellen Raum nicht so funktioniert wie in der realen Welt.”
Welche Wirkung haben Facebook, Insta, Tiktok und Co überhaupt auf die Nutzer?
Graßl: Da gehen die Meinungen auseinander. Einige meinen, dass die Sozialen Medien die Nutzer und somit ihre Meinungen und Ansichten sehr stark beeinflussen. Andere wiederum meinen, dass dies eben genau nicht der Fall ist. Ich denke, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Aus der Wahlforschung wissen wir zum Beispiel, dass zur Wahlentscheidung einer Person mehr als nur ihre Nutzung von Sozialen Medien gehört. Zum Beispiel die Familie, der Freundeskreis, etc.; auch sehen wir, dass der Bildungsgrad einen Einfluss auf die Anfälligkeit für Falschmeldungen in Sozialen Medien hat. Sicher ist aber, dass gerade in der jüngeren Bevölkerung die Nutzung von Sozialen Medien über die vergangenen Jahre permanent gestiegen ist, was bedeuten würde, dass der Einfluss der Plattformen also tendenziell eher noch weiter zunehmen wird als abnehmen.
Was empfehlen Sie den Nutzern Sozialer Medien? Wie geht man richtig damit um, ohne anderen und sich selbst zu schaden?
Graßl: Wenn wir diese Frage schon zufriedenstellend beantwortet hätten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Die Goldene Regel gibt es dafür leider nicht. Prinzipiell sollten wir aber die Umgangsregeln, die wir uns für den persönlichen Austausch gegeben haben und wünschen, auch auf den Austausch in Sozialen Medien übertragen. Damit ist z.B. gemeint, dass ich sachlich diskutiere, mir die Meinung des anderen anhöre und nicht beleidige. So wie ich nicht von anderen behandelt werden möchte, so sollte ich auch keinen anderen behandeln. Leider haben wir feststellen müssen, dass dies im virtuellen Raum nicht so funktioniert wie in der realen Welt. Häufig weil die Hemmschwelle viel niedriger ist. Teils auch, weil ich anonym auftreten kann und ich nur selten Konsequenzen befürchten muss. Trotzdem sollte man sich nicht ganz aus dem Diskurs zurückziehen und weiterhin vernünftig mitdiskutieren, sonst überlässt man genau dieser polarisierten Diskussionsweise die freie Bühne.
Soziale Medien: Mehr Fluch oder mehr Segen?
Graßl: Auch hier liegt die Wahrheit wohl wieder irgendwo dazwischen. Da wir über den „Fluch“ der Sozialen Medien schon breit gesprochen haben, vielleicht nochmal ein Wort zum „Segen“ Sozialer Medien. Bei allen negativen Einflüssen auf unseren gesellschaftlichen Austausch, so haben wir in der Vergangenheit auch immer wieder den positiven Einfluss gesehen. Themen wie die #metoo-Bewegung oder andere gesellschaftsrelevante Themen oder Problematiken wären ohne Soziale Medien zu jenen Zeitpunkten niemals so stark in den öffentlichen Diskurs gekommen. Welche Wirkungen das haben kann, hat man beim Arabischen Frühling gesehen. Hier zeigt sich also, dass durchaus auch Potentiale in Sozialen Medien liegen können, die in unserer Gesellschaft zu Verbesserungen führen können. Wenngleich wir aktuell vor allem eher mit den Schattenseiten konfrontiert sind, das muss man schon ehrlich sagen.

Wolfgang Krinninger
Chefredakteur