Weltkirche

Reden, stabilisieren, überleben

Redaktion am 12.04.2022

2022 04 11 pb alb kind krieg trauma Foto: Adobe Stock
"Krieg ist für die Kinderseele das giftigste, was man sich vorstellen kann", sagt Helmut Höfl, der Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau. Er gibt im Interview Tipps wie man Hilfe leisten kann.

Der Krieg in der Ukraine ist für die Erwachsenen, aber auch für Kinder und Jugendliche eine Belastung und damit eine Herausforderung. Tod, Elend und Zerstörung sind damit von einem Tag auf den anderen sehr nahe gerückt und medial überall präsent. Wie sollen Eltern damit umgehen? Was können Therapeuten erreichen? Wir sprachen darüber mit Helmut Höfl, dem Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau.

Herr Höfl, Trau­ma­be­hand­lung bei Kin­dern ist an sich schon etwas sehr Spe­zi­el­les. In Bezug auf Krieg ist die Her­aus­for­de­rung noch spe­zi­el­ler, oder?
Höfl: Der Krieg bedroht uns alle. Wir Erwach­se­ne haben von unse­ren Eltern oder Groß­el­tern noch gehört, wie exis­ten­zi­ell for­dernd, wie bedroh­lich, wie gefähr­lich er ist. Egal ob wir das jetzt emo­tio­nal beson­ders sicht­bar oder eher ver­schlos­sen ver­ar­bei­ten als Eltern und Erwach­se­ne – Kin­der spü­ren das. Kin­der spü­ren, wenn wir z. B. beson­ders kon­zen­triert auf Nach­rich­ten schau­en oder in der Zei­tung etwas lesen und das mit dem Part­ner z. B. besorgt bespre­chen. Sie hören den Ton raus, sie spü­ren die Schwin­gun­gen in der Fami­lie. Und allein schon dadurch spü­ren sie natür­lich mit: Irgend­et­was ist hier gefährlich. 

Das ist die Situa­ti­on, wie sie sich für unse­re Kin­der und die Eltern dar­stellt. Auf der ande­ren Sei­te gibt es jetzt auch unter den Geflüch­te­ten vie­le Kin­der, die den Krieg teils haut­nah mit­er­lebt haben.
Höfl: Bei den geflüch­te­ten Kin­dern haben wir eine ganz spe­zi­fi­sche Situa­ti­on. Wenn man davon aus­geht, dass das Aller­wich­tigs­te für Kin­der Sicher­heit und Gebor­gen­heit sind, dann kann man sich vor­stel­len, wie es sich auf ein Kind aus­wirkt, das kei­ne Kon­trol­le und kei­ne Dif­fe­ren­zie­rungs­mög­lich­kei­ten mehr hat und die Welt nicht so klug oder gefasst betrach­ten kann wie Erwach­se­ne. Es fin­det sich plötz­lich wie­der in einer völ­lig ande­ren Wirk­lich­keit, wo die Men­schen anders spre­chen, wo ein ande­res Kli­ma herrscht, wo viel­leicht eine Umge­bung da ist, die es über­haupt nicht kennt, wo es kei­ne Spiel­ge­fähr­ten fin­det. Wo die Oma fehlt oder der Papa und zugleich eine oft­mals wei­nen­de, beküm­mer­te oder stän­dig in sich hin­ein­schau­en­de Mama da ist. Dann kön­nen wir uns vor­stel­len, wie es den Kin­dern geht: Die sind ein­fach nicht in der Lage, das zu begrei­fen. Dass plötz­lich ihr Haus brennt, dass Gra­na­ten oder Bom­ben ein­schla­gen. Krieg ist für die Kin­der­see­le das zer­stö­re­rischs­te und gif­tigs­te, was man sich vor­stel­len kann.

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Helmut Höfl, Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau.

Unter­schei­det sich die The­ra­pie von Kin­dern bei uns, die erst­mals Krieg durch die Medi­en erfah­ren haben, und von geflüch­te­ten Kin­dern?
Höfl: Da muss man vor­aus­schi­cken, dass die­ser Begriff Trau­ma“ ein Mode­be­griff gewor­den ist. Es ist wört­lich über­setzt nichts ande­res gemeint als eine see­li­sche Ver­let­zung, aber psy­cho­the­ra­peu­tisch defi­niert ist ein Psy­cho­trau­ma doch etwas ande­res. Es ist die Erfah­rung, dass ich unter Hoch­stress weder flie­hen noch kämp­fen kann, son­dern qua­si in der trau­ma­ti­schen Zan­ge fest­ste­cke, nicht mehr ein noch aus weiß und dann kei­ne Chan­ce mehr habe, das see­lisch in mir zu ver­ar­bei­ten. Ich befin­de mich als Kind in einer ganz schwa­chen Stress­to­le­ranz. Mei­ne See­le wird, sagen wir, frag­men­tiert, sie zer­split­tert sich. Wir haben dann Tei­le in uns, an die wir uns über den Geruch, das Gehör oder über sen­su­el­le Aspek­te erin­nern, aber wir kön­nen sie nicht mehr zusam­men­brin­gen. Kin­der erle­ben dann schreck­li­che Alb­träu­me, das ver­setzt sie in Angst und Schre­cken. Das ist in etwa Psychotrauma. 

Da gibt es ver­mut­lich meh­re­re Abstu­fun­gen oder Unter­schei­dun­gen?
Höfl: Nicht jedes Kind, auch nicht jedes Kriegs­kind, kommt mit einem Psy­cho­trau­ma bei uns an. Es kommt zunächst mit einer erheb­li­chen psy­chi­schen Belas­tung – und auch des­halb braucht es uns. Und zwar nicht nur die Fach­diens­te, son­dern vie­le hel­fen­de Hän­de, die die­sen aus­ge­setz­ten Wesen, die­sen klei­nen hilf­lo­sen Men­schen­kin­dern ein­fach so etwas sind wie ein siche­rer Hafen, wie eine ber­gen­de Höh­le, wie ein geschütz­ter Ort, an dem sie sagen kön­nen: Da kann ich ein biss­chen los­las­sen, da kann ich ein biss­chen durch­at­men und ent­span­nen, weil da jemand da ist, der mir sei­nen Ted­dy geschenkt hat oder ein klei­nes Stück Scho­ko­la­de oder einen war­men Tee. Allein so beginnt schon qua­si die Vor­stu­fe der psy­cho­trau­ma­ti­schen Behand­lung, indem wir siche­re Orte schaffen. 

Zunächst ist für die Kin­der, aber auch die Erwach­se­nen beson­ders wich­tig, dass sie sich in Sicher­heit füh­len, dass die­se unmit­tel­ba­re ört­li­che Bedro­hung nicht mehr gege­ben ist, oder?
Höfl: Die­se Men­schen brau­chen über see­lisch fein­füh­li­ge Kon­tak­te immer wie­der das Gefühl, da gibt es Men­schen, die kön­nen sich empha­tisch ein­füh­len, die spü­ren unge­fähr so wie ich spü­re, die wis­sen auf mei­ne Bedürf­nis­se eine Ant­wort zu geben – und dann beru­higt sich lang­sam die See­le. Wenn die Eltern und Ange­hö­ri­gen der geflüch­te­ten Kin­der dann mer­ken, dass schlicht­weg kei­ne Ruhe ein­kehrt, dass die Kin­der über­er­regt sind, dass sie stän­dig um sich bli­cken und die Umge­bung abscan­nen, ob da viel­leicht eine Gefahr ist, dass sie nicht mehr kon­zen­triert spie­len oder reden kön­nen, dass sie enorm schreck­haft wer­den, dass sie in der Nacht nicht durch­schla­fen kön­nen, Mons­ter sehen, viel­leicht sogar das Ein­näs­sen begin­nen oder im schlimms­ten Fall ver­stum­men, dann haben wir es mit den Sym­pto­men eines Psy­cho­trau­mas zu tun.

Letzt­lich ist auch Trau­ma­the­ra­pie eine Hal­tung, die aus dem tie­fen Glau­ben kommt, dass wir es über­le­ben. Dass der Tod nicht das letz­te Wort hat. Und da kom­men dann Glau­be und rea­le psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Hal­tung oder Kunst zusammen.”

Helmut Höfl, Leiter der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Passau

Wie gehen Sie dann vor?
Höfl: Das Aller­wich­tigs­te in der Psy­cho­trau­ma­to­lo­gie ist zunächst Sta­bi­li­sie­rung, Sta­bi­li­sie­rung, Sta­bi­li­sie­rung. Wie ver­su­che ich denn das sel­ber unter Hoch­stress zu errei­chen? Was hilft mir bei der Selbst­be­ru­hi­gung? Ich brau­che in der Regel neben dem siche­ren Ort ein Du, eine Per­son, der ich ver­trau­en kann, der ich ganz so, wie ich bin, mein Leid erzäh­len, mein Leid kla­gen kann.

Man muss also zunächst Ver­trau­en auf­bau­en…
Höfl: Genau. In die­se Posi­ti­on muss sich jetzt ein Psy­cho­the­ra­peut oder ein Beglei­ter ein­füh­len. Es geht ein­fach damit los, dass wir neben der Sta­bi­li­sie­rung, die Sicher­heit gibt, begin­nen, die Erzäh­lun­gen der Kin­der zu spie­geln. Damit ver­su­chen wir ihm zu zei­gen: Du, ich ver­ste­he dich und glau­be dir. Auf die­se Wei­se ent­steht immer mehr Sicher­heit. Wenn wir nach vie­len Sta­bi­li­sie­rungs­übun­gen sehen kön­nen, dass die Kin­der oder auch die Erwach­se­nen so weit sind, dass sie sich mit dem Trau­ma näher beschäf­ti­gen kön­nen, dann begin­nen wir, inne­re Anker zu set­zen, die sehr viel Selbst­wert zuspre­chen, die ihnen immer wie­der hel­fen zu sagen: Ich habe es über­lebt, ich bin in Ord­nung, ich bin eine star­ke, eine über­le­ben­de, eine kom­pe­ten­te Per­sön­lich­keit und so weiter.

Das ist also die Annäh­rung, der ers­te Schritt, bevor es über­haupt um das Trau­ma als sol­ches geht…
Höfl: Dann begin­nen wir sehr lang­sam und Schritt für Schritt auf eine beson­ders behut­sa­me Wei­se, mit den Kin­dern so zu tun, als wür­den wir die­ses trau­ma­ti­sche Ereig­nis wie in einem Film betrach­ten. Wir haben eine Art ima­gi­nä­re Fern­steue­rung in der Hand. Wir begin­nen, den Film lang­sam anlau­fen zu las­sen, dann kom­men wie­der die sta­bi­li­sie­ren­den Sät­ze dazwi­schen und dann nähern wir uns lang­sam die­sem Gesche­hen. Und immer wie­der die Absi­che­rung dazwi­schen. Und so tas­ten wir uns an das lang­sam her­an. Und wenn wir sehen, dass es tat­säch­lich über­tra­gen wer­den kann, dann gehen wir durch das Ereig­nis noch­mal hin­durch und las­sen das Kind oder den Erwach­se­nen spü­ren, Ich habe es über­lebt. Du bist jetzt nicht mehr in der Situa­ti­on. Du bist hier am siche­ren Ort. Hier ist es gut. Und so ver­su­chen wir, das Ereig­nis von damals vom hier und jetzt zu trennen.

Ich kann mir vor­stel­len, das ist auch für den The­ra­peu­ten nicht leicht. Vor allem ist das ja alles sehr zeit­in­ten­siv und auch emo­tio­nal for­dernd…
Höfl: Es ist wirk­lich eine her­aus­for­dern­de und per­sön­lich mäch­tig belas­ten­de Arbeit, weil man auch sel­ber häu­fig nur Ohn­macht spürt. Aber natür­lich haben wir auch gewis­se Fer­tig­kei­ten und Fähig­kei­ten, damit umzugehen. 

Das Gespräch, Offen­heit und Ehr­lich­keit sind immer ein wich­ti­ger Zugang, oder?
Höfl: Es klingt viel­leicht ein biss­chen banal oder ein­fach. Aber ich muss sagen, was uns in der Bewäl­ti­gung von Ängs­ten und düs­te­ren Zukünf­ten am bes­ten unter­stützt und ent­las­tet, ist, über unse­re Gefüh­le zu reden. Wenn ich in der Lage bin, über inne­re Bedräng­nis zu spre­chen und ste­he dazu, kom­me ich als Erwach­se­ner in Distanz. Dann ent­steht im Reden eine gewis­se Sicher­heit und Gebor­gen­heit. Letzt­lich ist auch Trau­ma­the­ra­pie eine Hal­tung, die aus dem tie­fen Glau­ben kommt, dass wir es über­le­ben. Dass der Tod nicht das letz­te Wort hat. Und da kom­men dann Glau­be und rea­le psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Hal­tung oder Kunst zusam­men. Und das leis­ten wir als kirch­li­che Ein­rich­tung, als psy­cho­lo­gi­scher Fach­dienst die­ser Seel­sor­ge in unse­rem Bis­tum. Und inso­fern dür­fen wir auch wirk­lich Dan­ke sagen, unse­rem Bischof, aber vor allem den Kir­chen­steu­er­zah­lern, dass die unse­re Arbeit finan­zie­ren und tra­gen und dass sie uns das Ver­trau­en schen­ken, dass wir das, so gut es geht, doch eini­ger­ma­ßen gut kön­nen. Dafür haben sie teu­re Aus­bil­dun­gen bezahlt und uns einen guten Arbeits­platz gege­ben. Und inso­fern mei­ne ich, dass auch die­se gegen­wär­tig mäch­tig in der Kri­tik und Kri­se ste­cken­de Kir­che in so einer Situa­ti­on tie­fe, wert­vol­le Res­sour­cen hat, die ich nicht mis­sen möchte.

Inter­view: Tho­mas König / Mit­ar­beit: Lui­sa Deiner

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