„Der Wirklichkeit von damals gerecht werden“

Armin Berger am 16.02.2022

210808 Predigt Haringer 5

Eine differenzierte Sichtweise auf das Leben und Wirken von Benedikt XVI. fordert Pfarrer Dr. Franz Haringer, der theologische Leiter des Papstgeburtshauses in Marktl am Inn.

Marktl. Am 20. Janu­ar 2022 hat die Münch­ner Kanz­lei West­pfahl, Spil­ker, Wastl das vom Erz­bis­tum Mün­chen und Frei­sing in Auf­trag gege­be­ne Gut­ach­ten zu Sexu­el­lem Miss­brauch Min­der­jäh­ri­ger und erwach­se­ner Schutz­be­foh­le­ner durch Kle­ri­ker sowie haupt­amt­li­che Bediens­te­te im Bereich der Erz­diö­ze­se Mün­chen und Frei­sing von 1945 bis 2019“ vor­ge­stellt. Unter­sucht wer­den soll­ten Ver­ant­wort­lich­kei­ten und sys­te­mi­sche Ursa­chen sowie Kon­se­quen­zen und Emp­feh­lun­gen erar­bei­tet wer­den. Im Mit­tel­punkt des Inter­es­ses: Papst em. Bene­dikt XVI. Er war von 1977 bis 1982 Erz­bi­schof von Mün­chen und Frei­sing. In die­se Zeit fiel die Ent­schei­dung, den Miss­brauchs­tä­ter Pfar­rer H. im Erz­bis­tum auf­zu­neh­men. Wir haben dazu mit Pfar­rer Dr. Franz Harin­ger, Theo­lo­gi­scher Lei­ter des Papst­ge­burts­hau­ses in Marktl am Inn, gesprochen. 

Ihnen entgeht ein toller Beitrag!

Ohne die Ver­wen­dung von Coo­kies kann die­ser Bei­trag nicht ange­zeigt wer­den. Coo­kies sind klei­ne Datei­en, die von Ihrem Web­brow­ser gespei­chert wer­den, um Ihnen ein opti­ma­les Erleb­nis auf die­ser Web­site zu bieten.

Herr Harin­ger, die fal­sche Anga­be in sei­ner Stel­lung­nah­me zum Münch­ner Miss­brauchs­gut­ach­ten hat Papst em. Bene­dikt XVI. erheb­lich unter Druck gesetzt?
Harin­ger:
Ja, das ist offen­sicht­lich feh­ler­haft, was in sei­ner Ant­wort auf eine Fra­ge der Kanz­lei stand. Bene­dikt XVI. hat das sofort erkannt und rich­tig­ge­stellt. Er hat es bedau­ert und um Ent­schul­di­gung für die­sen Feh­ler gebe­ten. Es waren ja ins­ge­samt 8000 Sei­ten digi­ta­ler Akten durch­zu­se­hen und 50 Sei­ten Fra­gen zu beant­wor­ten. Bene­dikt hat sich hel­fen las­sen von Juris­ten, die dann auch für ihn die Stel­lung­nah­me ent­wor­fen haben. Es ist mitt­ler­wei­le klar­ge­stellt, war­um und wie die­ser Feh­ler da rein­ge­rutscht ist. Es war gewiss kei­ne bewuss­te Lüge, denn es war ja auch vor­her bekannt, dass er an der betref­fen­den Sit­zung teil­ge­nom­men hat.

Unab­hän­gig von die­ser Fra­ge: Papst em. Bene­dikt XVI. war jahr­zehn­te­lang in Füh­rungs­ver­ant­wor­tung – erst in Mün­chen, dann in Rom – hat er genug gegen die Ver­tu­schung der Miss­brauchsta­ten getan?

Harin­ger:
Ich den­ke, man muss dif­fe­ren­zie­ren und der Wirk­lich­keit von damals gerecht wer­den. In den 70er- und 80er-Jah­ren hat man noch ganz anders auf das The­ma Miss­brauch geschaut. Pädo­phi­lie galt weit­hin als the­ra­pier­bar, ja heil­bar. Mitt­ler­wei­le haben wir sehr viel gelernt, haben ver­stan­den, unter wel­chen Fol­gen die Opfer lei­den und wel­che Stra­te­gien Täter ent­wi­ckeln. Ich glau­be, es ist unbe­strit­ten, dass Joseph Ratz­in­ger in sei­ner Zeit als Glau­ben­s­prä­fekt und Papst das The­ma sehr nach vor­ne gebracht hat, sen­si­bi­li­siert hat dafür. Er hat die Fäl­le an sich gezo­gen und das Straf­recht ver­schärft. Er hat Hun­der­te Pries­ter bestraft und ihnen ihr Amt ent­zo­gen. Vor allem hat er sich als ers­ter Papst mit den Opfern getrof­fen und sie in den Mit­tel­punkt gerückt. Ich glau­be, das ist wirk­lich ein Ver­dienst von ihm, dass er die­ses The­ma auch auf welt­kirch­li­cher Ebe­ne ins Bewusst­sein geho­ben hat.

Jetzt hat sich Papst em. Bene­dikt XVI. ver­gan­ge­ne Woche (Diens­tag, 8.2.2022) zu den gegen ihn erho­be­nen Lügen­vor­wür­fen geäu­ßert und auch um Ent­schul­di­gung gebe­ten. Wie wer­ten Sie sei­ne Äuße­run­gen?
Harin­ger:
Ich war beim Lesen sei­nes Tex­tes sehr bewegt. Mensch­lich und auch geist­lich sind das für mich sehr per­sön­li­che und tie­fe Wor­te. Ein alter Mann von fast 95 Jah­ren macht Gewis­sens­er­for­schung im Ange­sicht Got­tes und im Gedan­ken an die Miss­brauchs­op­fer. Die Vor­wür­fe gegen ihn, so sagt er, hät­ten ihn tief getrof­fen. Sich nach der Wahr­heit aus­zu­rich­ten und ihr zu die­nen, ist ja stets der Impuls sei­nes Lebens, Glau­bens und Leh­rens gewe­sen. Für mich ste­hen sei­ne Wahr­haf­tig­keit und Glaub­wür­dig­keit nach wie vor außer Zwei­fel.

Er hat die Miss­brauchs­op­fer um Ent­schul­di­gung gebe­ten und damit eine Mit­ver­ant­wor­tung der Kir­che aner­kannt, an deren Spit­ze er ja lan­ge stand. Heißt das, dass er eine gewis­se Mit­ver­ant­wor­tung auch sich selbst anlas­tet?

Harin­ger:
Es ist klar, dass man als Bischof und auch als Papst immer die letz­te Ver­ant­wor­tung in sei­nen Amts­be­rei­chen trägt. Ich glau­be, auch Papst Bene­dikt hat gemerkt, wie viel in der Kir­che weg­ge­schaut und ver­tuscht wur­de und wie da auch zusam­men­ge­hal­ten wur­de, um die Din­ge nicht an die Öffent­lich­keit drin­gen zu las­sen. Er hat das mit Scham und mit Erschre­cken fest­ge­stellt und er hat gesagt, er kann nur noch ein­mal die Opfer um Ent­schul­di­gung für all die­ses Ver­sa­gen bit­ten.

In man­chen Medi­en wur­de schon dis­ku­tiert, ob die Benen­nung von Stra­ßen oder Plät­zen oder die Ehren­bür­ger­wür­den von Papst em. Bene­dikt XVI. zurück­ge­nom­men oder über­prüft wer­den soll­ten. Wie sehen Sie die­se Dis­kus­si­on?

Harin­ger:
Es braucht sicher Zeit, um all die Aus­sa­gen der letz­ten Wochen gut ein­zu­ord­nen, sowohl die Wort­mel­dun­gen von Bene­dikt XVI. als auch das Gut­ach­ten, das ja immer von Wahr­schein­lich­kei­ten, Anhalts­punk­ten und Indi­zi­en spricht und ja gar nicht als rechts­kräf­ti­ges Urteil ver­stan­den wer­den will. Ich wür­de mir wün­schen, dass das alles vor­ur­teils­frei und ohne Ver­zwe­ckung geschieht und dass man auch die gro­ßen Leis­tun­gen Joseph Ratz­in­gers nicht über­sieht: als über­ra­gen­der Theo­lo­ge, als Papst aus Deutsch­land, aber auch als Mensch, der per­sön­lich auf­rich­tig und lie­bens­wür­dig ist. All das zusam­men­ge­nom­men, mei­ne ich, steht jetzt nicht die Rück­nah­me von Ehren­bür­ger­wür­den oder Stra­ßen­na­men an.

Wie wird die­ses The­ma das Andenken an den Theo­lo­gen, den Papst Bene­dikt XVI. belas­ten? Wir wer­den Sie im Papst­haus damit umge­hen?
Harin­ger: In sei­nem Geburts­haus wol­len wir dem Wunsch von Bene­dikt XVI. gerecht wer­den, ein Ort der wür­di­gen Begeg­nung mit den Fra­gen unse­res Glau­bens zu sein. Es geht ihm und es geht uns nicht dar­um, ihn als Per­son zu über­hö­hen oder zu beweih­räu­chern. Wir stel­len sein Leben und Wir­ken vor als ein Bei­spiel, wie ein Lebens­weg aus dem Glau­ben ver­lau­fen kann. Wir wün­schen uns, dass die Besu­cher des Hau­ses ins Nach­den­ken kom­men: Wo kom­me ich her? Wo bin ich ver­wur­zelt? Was bedeu­ten mir Geburt und Tau­fe? Die Besu­cher ler­nen den Lebens­weg von Joseph Ratz­in­ger ken­nen mit allen Wen­dun­gen und Her­aus­for­de­run­gen und gelan­gen hof­fent­lich dann selbst zu einem Bild, das ihm gerecht wird. 

Armin Berger

Armin Berger

Leitung Externe Kommunikation

Weitere Nachrichten

2024 11 18 pb alb gebetstag fuer betroffene sexuellen missbrauchs1
Messfeier
18.11.2024

„Gib uns Kraft und Mut!“

Der Gebetstag für Betroffene sexuellen Missbrauchs will bewusst Zeichen setzen: für die Anerkennung des Leids…

2024 11 18 pb alb queer seelsorge2
Bistum
18.11.2024

Kirche kann mehr

Seit 2022 betreut Hans-Peter Eggerl die Queer-Pastoral im Bistum Passau. Doch wer ist eigentlich die…

2024 11 18 pb alb 40 jahre stmax
18.11.2024

Ein Familienfest in St. Max

Ein wertvoller Baustein für die Jugendarbeit im Bistum: Das Ministrantenreferat St. Max in Passau feiert in…

2024 11 18 pb alb uganda chor
Kichenmusik
18.11.2024

Ein völkerverbindendes Chorprojekt

Am 19. Oktober hat in Rom ein Internationaler Chor ein besonderes Jubiläum gefeiert. Mit dabei waren auch…