Marktl. Am 20. Januar 2022 hat die Münchner Kanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl das vom Erzbistum München und Freising in Auftrag gegebene Gutachten zu „Sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019“ vorgestellt. Untersucht werden sollten Verantwortlichkeiten und systemische Ursachen sowie Konsequenzen und Empfehlungen erarbeitet werden. Im Mittelpunkt des Interesses: Papst em. Benedikt XVI. Er war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising. In diese Zeit fiel die Entscheidung, den Missbrauchstäter Pfarrer H. im Erzbistum aufzunehmen. Wir haben dazu mit Pfarrer Dr. Franz Haringer, Theologischer Leiter des Papstgeburtshauses in Marktl am Inn, gesprochen.
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Herr Haringer, die falsche Angabe in seiner Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten hat Papst em. Benedikt XVI. erheblich unter Druck gesetzt?
Haringer: Ja, das ist offensichtlich fehlerhaft, was in seiner Antwort auf eine Frage der Kanzlei stand. Benedikt XVI. hat das sofort erkannt und richtiggestellt. Er hat es bedauert und um Entschuldigung für diesen Fehler gebeten. Es waren ja insgesamt 8000 Seiten digitaler Akten durchzusehen und 50 Seiten Fragen zu beantworten. Benedikt hat sich helfen lassen von Juristen, die dann auch für ihn die Stellungnahme entworfen haben. Es ist mittlerweile klargestellt, warum und wie dieser Fehler da reingerutscht ist. Es war gewiss keine bewusste Lüge, denn es war ja auch vorher bekannt, dass er an der betreffenden Sitzung teilgenommen hat.
Unabhängig von dieser Frage: Papst em. Benedikt XVI. war jahrzehntelang in Führungsverantwortung – erst in München, dann in Rom – hat er genug gegen die Vertuschung der Missbrauchstaten getan?
Haringer: Ich denke, man muss differenzieren und der Wirklichkeit von damals gerecht werden. In den 70er- und 80er-Jahren hat man noch ganz anders auf das Thema Missbrauch geschaut. Pädophilie galt weithin als therapierbar, ja heilbar. Mittlerweile haben wir sehr viel gelernt, haben verstanden, unter welchen Folgen die Opfer leiden und welche Strategien Täter entwickeln. Ich glaube, es ist unbestritten, dass Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Glaubenspräfekt und Papst das Thema sehr nach vorne gebracht hat, sensibilisiert hat dafür. Er hat die Fälle an sich gezogen und das Strafrecht verschärft. Er hat Hunderte Priester bestraft und ihnen ihr Amt entzogen. Vor allem hat er sich als erster Papst mit den Opfern getroffen und sie in den Mittelpunkt gerückt. Ich glaube, das ist wirklich ein Verdienst von ihm, dass er dieses Thema auch auf weltkirchlicher Ebene ins Bewusstsein gehoben hat.
Jetzt hat sich Papst em. Benedikt XVI. vergangene Woche (Dienstag, 8.2.2022) zu den gegen ihn erhobenen Lügenvorwürfen geäußert und auch um Entschuldigung gebeten. Wie werten Sie seine Äußerungen?
Haringer: Ich war beim Lesen seines Textes sehr bewegt. Menschlich und auch geistlich sind das für mich sehr persönliche und tiefe Worte. Ein alter Mann von fast 95 Jahren macht Gewissenserforschung im Angesicht Gottes und im Gedanken an die Missbrauchsopfer. Die Vorwürfe gegen ihn, so sagt er, hätten ihn tief getroffen. Sich nach der Wahrheit auszurichten und ihr zu dienen, ist ja stets der Impuls seines Lebens, Glaubens und Lehrens gewesen. Für mich stehen seine Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit nach wie vor außer Zweifel.
Er hat die Missbrauchsopfer um Entschuldigung gebeten und damit eine Mitverantwortung der Kirche anerkannt, an deren Spitze er ja lange stand. Heißt das, dass er eine gewisse Mitverantwortung auch sich selbst anlastet?
Haringer: Es ist klar, dass man als Bischof und auch als Papst immer die letzte Verantwortung in seinen Amtsbereichen trägt. Ich glaube, auch Papst Benedikt hat gemerkt, wie viel in der Kirche weggeschaut und vertuscht wurde und wie da auch zusammengehalten wurde, um die Dinge nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Er hat das mit Scham und mit Erschrecken festgestellt und er hat gesagt, er kann nur noch einmal die Opfer um Entschuldigung für all dieses Versagen bitten.
In manchen Medien wurde schon diskutiert, ob die Benennung von Straßen oder Plätzen oder die Ehrenbürgerwürden von Papst em. Benedikt XVI. zurückgenommen oder überprüft werden sollten. Wie sehen Sie diese Diskussion?
Haringer: Es braucht sicher Zeit, um all die Aussagen der letzten Wochen gut einzuordnen, sowohl die Wortmeldungen von Benedikt XVI. als auch das Gutachten, das ja immer von Wahrscheinlichkeiten, Anhaltspunkten und Indizien spricht und ja gar nicht als rechtskräftiges Urteil verstanden werden will. Ich würde mir wünschen, dass das alles vorurteilsfrei und ohne Verzweckung geschieht und dass man auch die großen Leistungen Joseph Ratzingers nicht übersieht: als überragender Theologe, als Papst aus Deutschland, aber auch als Mensch, der persönlich aufrichtig und liebenswürdig ist. All das zusammengenommen, meine ich, steht jetzt nicht die Rücknahme von Ehrenbürgerwürden oder Straßennamen an.
Wie wird dieses Thema das Andenken an den Theologen, den Papst Benedikt XVI. belasten? Wir werden Sie im Papsthaus damit umgehen?
Haringer: In seinem Geburtshaus wollen wir dem Wunsch von Benedikt XVI. gerecht werden, ein Ort der würdigen Begegnung mit den Fragen unseres Glaubens zu sein. Es geht ihm und es geht uns nicht darum, ihn als Person zu überhöhen oder zu beweihräuchern. Wir stellen sein Leben und Wirken vor als ein Beispiel, wie ein Lebensweg aus dem Glauben verlaufen kann. Wir wünschen uns, dass die Besucher des Hauses ins Nachdenken kommen: Wo komme ich her? Wo bin ich verwurzelt? Was bedeuten mir Geburt und Taufe? Die Besucher lernen den Lebensweg von Joseph Ratzinger kennen mit allen Wendungen und Herausforderungen und gelangen hoffentlich dann selbst zu einem Bild, das ihm gerecht wird.
Armin Berger
Leitung Externe Kommunikation