Zwei Kirchenmusikstudenten aus Regensburg haben gerade für je drei Wochen den Stiftskapellmeister und die Stiftsorganistin vertreten. Sie erzählen von ihren Erfahrungen am Wallfahrtsort, dessen kirchenmusikalisches Angebot einzigartig ist in Deutschland.
Ich bin seit dem ersten Tag überwältigt, welch eine besondere Rolle der Glaube hier noch spielt“, sagt Lucia Gasser. „Altötting ist ein Ort, wo die Kirchenmusik noch im wahrsten Sinne des Wortes lebt.“ Die 21-Jährige, die an der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg (HfKM) ihren Bachelor in Kirchenmusik mit Hauptfach Orgel (BA) und Gesangspädagogik macht, hat für drei Wochen den Stiftskapellmeister Stephan Thinnes vertreten. Insgesamt 40 Einsätze inklusive Proben galt es für sie zu bewältigen: „Die Gottesdienste, die hier fast im Stundentakt stattfinden, werden häufig mit Orgel begleitet“, erzählt sie. „So hat man als Organist, bei mehreren Diensten täglich, auch die Möglichkeit viel auszuprobieren und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Man kann an unterschiedlichen Orgeln in verschiedenen Kirchenräumen spielen und ausprobieren.“ Zudem sei es „bewundernswert, wie viele Gottesdienste, vor allem in der Basilika, noch mit Chor und Orchester begleitet werden“. Ähnlich schildert dies auch Manuel Kleinhenz, der ebenfalls an der HfKM katholische Kirchenmusik studiert: „Das kirchenmusikalische Angebot in Altötting ist absolut einmalig“, stellt der 22-Jährige fest, der drei Wochen lang die Stiftsorganistin Johanna Maria Stitz vertreten hat und in diesem Zeitraum auf insgesamt 56 Einsätze kam. „An keinem anderen Ort hat man diese Vielfalt an Orgeln, Ensembles und Anlässen bei so geringer Distanz“, schildert er. „Es ist jeden Tag wieder spannend und bereichernd für das eigene musikalische Denken und Arbeiten.“
Spannend und bereichernd sind die Tage freilich auch für Stephan Thinnes und Johanna Maria Stitz, die das ganze Jahr über in der Basilika, Gnadenkapelle und in den Kirchen rund um den Kapellplatz im Einsatz sind. Die Tage sind aber auch kräftezehrend: Rund 900 Gottesdienste im Jahr, rechnet der Stiftskapellmeister vor. Hinzu kommen Proben, Bürozeiten, organisatorische Aufgaben und natürlich auch das Üben der Instrumente. Noch mehr Gottesdienste sind es für die Stiftsorganistin. Auch wenn es weitere Kirchenmusiker gibt, die regelmäßig zusätzliche Gottesdienste übernehmen: Für einen längeren Urlaub bleibt trotzdem meist nicht genügend Zeit. So entstand die Idee für dieses Pilotprojekt: Studenten werden ins kalte Wasser geworfen und sammeln Erfahrungen. Und dafür dürfen die beiden Profis endlich mal richtig Urlaub machen.
„Die Studenten bekommen liturgische Pläne und haben sonst alle Freiheiten“, sagt Stephan Thinnes über die Vereinbarung. Freiheiten, die die beiden zu schätzen wissen, die sie aber auch herausfordern: „Man muss sich schnell an eine Orgel anpassen, auch an die unterschiedlichen Wünsche der Priester und Pilger – da kann das Programm auch schon mal kurzfristig geändert werden“, erzählt Lucia Gasser. Ihr Kommilitone Manuel Kleinhenz schildert: „Als ich das erste Mal das aktuelle Wallfahrtsprogramm las, dachte ich: ‚Da ist was geboten und für jeden ist was dabei‘. Das hat sich bewahrheitet. Chance und Herausforderung zugleich ist die Vielzahl der Gottesdienste und der Kirchenräume. Wenn ich an einem Tag drei Gottesdienste begleite, dann kann es passieren, dass ich dreimal dieselben Texte und Gesänge vor mir habe, es können aber auch drei völlig verschiedene Gottesdienste sein.“ Die Aufgabe sei es, hierbei in gleichbleibend guter Qualität zu musizieren und die Gottesdienstbesucher mitzunehmen.
Als Höhepunkt in den drei Wochen nennt Manuel Kleinhenz das Pontifikalamt zu Mariä Himmelfahrt: „Es ist eine Freude zu sehen, dass auch im Jahr 2024 zu einem solchen Anlass die Basilika voll besetzt ist“, stellt er fest. Lucia Gasser nennt „die Orchestermesse, die ich leiten durfte“ als ihr „persönliches Highlight“. Beide aber haben die Zeit am Wallfahrtsort „in Summe sehr genossen“: „Altötting ist ein besonderer Ort und man spürt wahrlich, dass es ein Ort der Gnade ist und hier noch sehr viel gebetet wird. Meiner Meinung nach ist dies die Grundlage für eine ‚gute‘ Kirchenmusik schlechthin“, sagt Lucia Gasser. Manuel Kleinhenz ergänzt: Nicht nur die großen Anlässe seien „reizvoll und bereichernd“; ganz allgemein sei es „eine Freude, wenn man in Gemeinschaft musizieren, singen und Gottesdienst feiern kann“.
Die Orgel ist in der Kirche das am meisten beanspruchte Instrument – und eines der schönsten obendrein, zumindest wenn es nach den beiden Studenten geht: „Das Schöne am Orgelspielen ist die Vielfalt, die man immer wieder neu erleben darf. Jede Orgel ist anders, so wie auch jeder Kirchenraum andere Gegebenheiten mitbringt“ schildert Manuel Kleinhenz und fügt hinzu: „Als Organist kann man aus der Vielzahl der Klangfarben immer neue Kombinationen auswählen und muss immer wieder neu den Klang erkunden. Zusätzlich steht man in den verschiedenen Gottesdienstformen und liturgischen Zeiten immer wieder vor der Herausforderung, Emotionen aufzugreifen, zu verstärken oder hervorzurufen. Es wird nie langweilig.“
Auch Lucia Gasser liebt die „Königin der Instrumente“: „Man hat sozusagen ein gesamtes Orchester in einem Instrument vereint; durch die unterschiedlichen Register kann man verschiedene Klangfarben erzeugen – an der Orgel in der Altöttinger Basilika gibt es sogar ein eigenes Farbmanual mit ganz besonderen Klängen und Klangkombinationen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man im Plenum spielt und der Klang in jede Faser des Körpers dringt. Jede Orgel ist unterschiedlich und die Kunst des Organisten liegt darin, das Instrument sprechen und singen zu lassen.“ Außerdem sei es „ein wunderbares Gefühl, in der Kirche spielen zu können: im Haus Gottes, zu seiner Ehre und Verherrlichung“.
Lucia Gasser wird demnächst wieder ihr Studium in Regensburg fortsetzen, „meine musikalischen Kompetenzen erweitern und mich intensiver mit der Kirchenmusik beschäftigen“, wie sie sagt. Manuel Kleinhenz will im kommenden Sommer sein Bachelorstudium abschließen, dann noch ein Masterstudium draufsetzen und gerne eine Stelle als Kirchenmusiker antreten, einen Chor und ein Orchester leiten.
So viel Freude an der Kirchenmusik beeindrucken auch Stephan Thinnes und Johanna Maria Stitz. Das Pilotprojekt lief sehr gut. Beide freuen sich auf eine Wiederauflage im kommenden Jahr.
Michael Glaß
Readkteur