Aufmerksamen Betrachtern der Turmuhren an der Altöttinger Stiftspfarrkirche ist es vermutlich schon aufgefallen: Wer vom Tillyplatz oder der Kreuzung Marienstraße/Trostbergerstraße kommend auf das Turmpaar der Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus blickt, genauer auf die der Südseite zugewandten Turmuhr, der wird verwundert feststellen, dass der große Minutenzeiger seit der Zeit kurz vor Heiligabend fehlt. Da erinnert man sich spontan an den Titelsong der Zeichentrickserie „Paulchen Panther“ mit dem Beginn: „Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät …“, denn eine korrekte Uhrzeit abzulesen ist momentan nicht möglich, nur im Stundentakt.
Von einem „Uhrzeiger-Dreher“ kann im Falle Stiftspfarrkirchen-Turmuhr keine Rede sein – vielmehr hat sich wohl am großen Minutenzeiger jemand gewaltsam zu schaffen gemacht. Ein kleiner, sichtbar verbliebener Rest des Minutenzeigers deutet an, dass der Hauptteil des etwa 80 cm langen Zeigers abgebrochen ist. Der Verursacher war schnell ausgemacht und ist nicht menschlicher Natur: Kurz vor Weihnachten gab es einen gewaltigen Föhnsturm, der auch über den Gnadenort fegte und dem die in die Jahre gekommenen Zeiger der Turmuhr wohl nicht mehr Stand halten konnten. Jedenfalls blieb bis zum 31. Dezember der abgebrochene Uhrzeiger unauffindbar verschollen.
Dass der große Zeiger der Stiftspfarrkirchen-Turmuhr fehlte, ist auch einem aufmerksamen jungen Altötting-Pilger namens Johannes Paul Weiß (16) aus Weingarten aufgefallen. Mehrmals im Jahr, meist zu Ferienzeiten, kommt er mit seinen Eltern Klaus und Silvia Weiß nach Altötting, um die Gnadenmutter zu besuchen, so auch Silvester. Der junge Mann, technisch sehr versiert und interessiert, bringt in der Kirche seines Heimatortes die Orgel wieder zum Klingen, wenn sie „verstimmt“ ist und spielt sie dann zur Probe. Zudem interessiert er sich von klein auf dafür, wie er erzählte, was in den Kirchtürmen vor sich geht – etwa wie die Glocken im Kirchturm angetrieben werden oder auch wie die Technik bei den Turmuhren funktioniert. Die Glocken in Weingarten hat er sogar schon von Hand geläutet.
So ließ ihm der fehlende Zeiger keine Ruhe. Kurzerhand rief er den befreundeten Altöttinger Diakon Gerold Hochdorfer an, der die Einliegerwohnung der Stiftspfarrkirche über der Sakristei bewohnt und fragte bei ihm nach, ob der fehlende Uhrzeiger schon gefunden worden sei. Dies musste Diakon Gerold Hochdorfer verneinen. Auf Initiative von Johannes Paul Weiß machte man sich dann auf intensive „Uhrzeiger-Suche“. Weder auf den Dächern der Stiftspfarrkirche, noch in der Umgebung rund um das Gotteshaus war irgendetwas zu entdecken, das sich zumindest als Bruchstücke eines Uhrzeigers hätte deuten lassen.
Damit gaben sich Johannes Paul und nun auch Gerold Hochdorfer nicht zufrieden. Gegenseitig vom „Suchfieber“ angesteckt wandten sie eine andere Strategie an bzw. änderten die Blickrichtung, um die Suche nach dem verschollenen Uhrzeiger fortzusetzen, und zwar von oben nach unten: denn, so vermuteten die beiden „Hobbydetektive“, eigentlich könne sich der abgebrochene Uhrzeiger dann nur auf einem von unten nicht einsehbaren Dachteil oder in einer Dachrinne der Stiftspfarrkirche oder der angebauten Tillykapelle befinden.
Gedacht, getan: über den Treppenaufgang zur Schmerzhaften Kapelle im Kreuzgang der Stiftspfarrkirche begaben sie sich in die Speicherräume der Tillykapelle, in die Musikschule und viele Räume mehr, immer aus den dort befindlichen Fenstern die Dachregionen der Stiftspfarrkirche und der Tillykapelle intensiv begutachtend. Volltreffer: Beim Blick aus einem Nordfenster des Dachspeichers der Tillykapelle werfend, wurden sie auf einem flachen Vordach der Mesnerwohnung endlich fündig. Mit Hilfe eines Teleskopstiels samt Haken konnte schließlich der aus Glasfaser und Holz bestehende goldfarbene Uhrzeiger geborgen werden – dank Johannes Paul Weiß und unter Mithilfe von Diakon Hochdorfer als „Schlüsselfigur“ zu den normalerweise versperrten kirchlichen Zugängen.
Trotzdem kann man in diesem Fall nicht sagen: Ende gut, alles gut! Denn, so vermuten Stadtpfarrer Dr. Klaus Metzl und Verwaltungszentrum-Chefin Stefanie Stühler, dass die Reparatur der beschädigten Stiftspfarrkirchen-Turmuhr eben doch mit einem beachtlichen Kostenaufwand verbunden sein wird. Ob der abgebrochene Turmuhr-Minutenzeiger noch zu verwenden ist oder durch einen neuen ersetzt werden muss, wird sich nach der Inspektion durch eine Fachfirma zeigen. „Bis die Uhr repariert ist, geht die Stiftspfarrkirche in die Vollen!“, kommentiert Stiftsmesner Martin Kopietz den vorläufigen Stundentakt mit Augenzwinkern.
Text und Fotos: Roswitha Dorfner