In einer Welt, die von Individualismus geprägt ist, scheint der Glaube immer weniger Platz zu finden. Die Kirche steckt in der Krise. Klöster in Mitteleuropa kämpfen mit großen Umbrüchen. Dort hinein beleuchtet das Buch „Kleine Gemeinschaften“ von Schwester Carmen Tatschmurat eine fast vergessene Wirklichkeit: das Leben in kleinen, eng verbundenen Gemeinschaften.
„Kleine klösterliche Zellen gab es schon immer“, berichtet Schwester Carmen zu Beginn des Buches. „Sie sind ein ganz eigenständiges Modell geistlichen Lebens. Wir verbinden sie nur allzu leicht mit frommem Einsiedlertum und längst vergangenen Zeiten.“ Die Autorin hingegen vertritt eine andere Sicht: „Dagegen möchte ich zeigen, wie gut sie in unsere Zeit passen: klein, flexibel und hochspirituell.“ Besonders in einer Zeit, die von Veränderung und Entfremdung geprägt ist, könnten kleine Gemeinschaften nicht nur ein Gegenmittel zu diesen Entwicklungen bieten, sondern auch auf ihre stets eigene Weise ihr Umfeld positiv prägen. So lädt Tatschmurat die Leser ein, den Blick auf kleine klösterliche Wohngemeinschaften in Europa zu richten, die auf vielfältige Weise in Treue ihr geistliches Leben gestalten.
In den einzelnen Kapiteln stellt die Soziologin und Benediktinerin neun benediktinische Gemeinschaften in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien vor, die bewusst als Cella, d.h. in kleinen Gruppen von ca. fünf Personen, zusammenleben. Darin sieht Schwester Carmen eine große Chance: „Jedes Mitglied ist voll verantwortlich, es gibt keine Nischen, in denen man sich verstecken kann. Und es gibt Gestaltungsmöglichkeiten. Die 1500 Jahre alte Regel des heiligen Benedikt kann neu ausbuchstabiert werden und ihre Kraft kann sich gegenwartsbezogen entfalten.“ Doch nicht nur die strukturellen Aspekte dieser Gemeinschaften werden im Buch angesprochen, sondern auch ihr spirituelles Leben und ihre Anpassung an die örtlichen und personellen Gegebenheiten.
Ein zentrales Thema des Buches ist die vielfältige Ausprägung des klösterlichen Zusammenlebens in kleinen Gruppen, welches die Autorin in Interviews mit den Schwestern und Brüdern vorstellt. Jede Gruppierung – ob kurz oder länger bestehend – zeichnet sich durch Besonderheiten aus, welche in den Gesprächen und persönlichen Eindrücken geschildert werden. Überein stimmen sie jedoch alle in einer Überzeugung: „Ich bin überzeugt, dass es zukünftig mehr kleine Gemeinschaften mit deutlich unter zehn Mitgliedern geben wird, ja, dass das wohl die Zukunft der Klöster – zumindest in Europa – sein wird“, so Schwester Carmen. Vieles könne die Kirche von heute von solchen kleinen Gemeinschaften lernen. So berichtet Schwester Anežka aus der Gemeinschaft der Benediktinerinnen auf dem Weißen Berg in Prag: „Ich merke, dass die kleinere Gemeinschaft viel dynamischer lebt. Dass man einiges nicht nur schneller erfahren kann, sondern auch gegebenenfalls leichter verändern. Wir sind alle drei in einer WhatsApp-Gruppe, so wissen alle gleich, was kommt. Jede ist wirklich wichtig. Wenn wir vier oder fünf sind, dann kann man sich wirklich so viel Zeit nehmen, dass jede gehört wird. Irgendwie ist das offener – wir suchen dann gemeinsam, was das Beste zu sein scheint. Das finde ich wichtig.“
Das Buch „Kleine Gemeinschaften“ ist nicht nur ein informatives Werk über alternative klösterliche Lebensformen, es bietet vielfältige Anregungen für alle, die nach neuen Wegen des Zusammenlebens suchen oder Impulse mit in ihre Gruppierung nehmen wollen. Auch kleine „Schmunzler“ bringt das Buch: Vor dem Resümee Tatschmurats sind immer ein bis zwei Lieblingsrezepte der Gemeinschaft aufgeführt, die man zu Hause nachmachen kann.
Das Werk regt zum Nachdenken über die Art und Weise an, wie wir leben und wie wir unsere Beziehungen zu anderen und unsere Spiritualität in einer Cella gestalten können. Mit einer lebensnahen und praktisch orientierten Darstellung zeigt Carmen Tatschmurat auf, dass klösterliches Leben vielfältig und inspirierend ist und wie kleine Gemeinschaften viel Potenzial für das klösterliche Leben der Zukunft haben.
Susanne Schmidt
Bischöfliche Pressesprecherin