Sie machte sich mächtig breit. Allein durch ihre Masse nahm sie den Raum für sich ein und stand sofort im Mittelpunkt. Das war vor rund 20 Jahren. Wir – drei Kinder (damals) und zwei Erwachsene – hatten die Couch bei Freunden gesehen und wussten vom ersten Moment an: Die muss es sein und sonst keine.
Unser neues Sofa war kein durchgestyltes, cooles Designerstück, im Gegenteil: Rot und gemütlich war es, mit dicken Polstern rundherum und so riesig, dass es in zwei Teilen geliefert wurde – und selbst dann brauchte man noch vier Leute, um es durch die breiten Terrassentüren ins Wohnzimmer zu hieven.
Das Wort Sofa geht auf das arabische „suffa“ zurück, Wikipedia übersetzt das mit „gepolsterter Ruhebank“. Und genau das war es: Eine Liegestatt, der weich gepolsterte Ruhepol des Hauses. Ein Ort zum Hinfläzen, zum Zurücksinken und die Augen schließen, zum sich Ausklinken aus dem Getriebe des Alltags. Sei es für ein paar Minuten, sei es für die halbe Nacht.
Und doch war dieses Möbelstück noch viel mehr. Eine eigene Lebenswelt. Zwei Decken und ein paar Kissen reichten den Kindern aus, um auf der breiten Liegefläche eine dunkle Höhle inmitten einer unwirtlichen Wildnis entstehen zu lassen. Auf den beiden Lehnen ritten sie johlend durch Tag und Nacht und purzelten gelegentlich herunter. Und jedes unserer Kinder kurierte auf dem Sofa Fieber, Kopfweh und Magen-Darm-Verstimmungen aus. Weil da die Mama oder der Papa und der Fernseher nah und greifbar waren und weil sie vermutlich nur hier spürten und rochen, dass alles immer wieder gut wird. Selbst Hund und Katzen hatten schnell entdeckt, dass an diesem Ort des Friedens weder Kratzen noch Kläffen angebracht sind.
„Kommen Rührgeräte in den Himmel?“, fragte 2016 ein abendfüllender Dokumentarfilm – oder anders ausgedrückt: Können Dinge eine Seele haben?
Aristoteles sagte Nein. Doch unser Riesensofa war schließlich Spielplatz, Tierheim, Fußballstadion, Krankenlager und Himmelbett zugleich. Und da springt mir dann Prof. Dr. Josef Freitag von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt zur Seite. Dinge, sagt er, haben eine Eigenart – und sie haben Menschen, die sie hergestellt haben, und Menschen, die sie benutzen. Diese Menschen legen ihre Arbeit, ihren Kunstsinn, ihre Ästhetik in die Dinge hinein. Und wo Dinge für Menschen zu sprechen anfangen, da gehören sie zu ihnen. Da ist es dann vorbei mit dem puren Materialismus, da bekommen sie ein Verhältnis zu ihnen, manchmal ein ganz inniges. Dinge, die uns nostalgisch werden lassen, sagt Prof. Freitag, „haben einen besonderen Geist und nehmen damit indirekt einen wichtigen Platz in der menschlichen Seele ein“.
Und so trauere ich um unser altes, völlig verschlissenes Sofa. Als es abgeholt wurde, war ich nicht da. Bestimmt war es sauschwer beim Raustragen. Voller Erinnerungen, voller Leben, seelenvoll.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur