Reisen verändern. Das ist keine neue Erkenntnis. Jeder, der gern verreist, hat das bestimmt schon erlebt. Die vielen neuen Eindrücke, neue Menschen, fremde Kulturen – viel Stoff zum Nachdenken, oft verbunden mit einem neuen Blick auf das eigene Leben und das gewohnte Zuhause. Fernreisen sind natürlich dazu prädestiniert, solche Empfindungen auszulösen, lange Auslandsaufenthalte sowieso. Denn man sieht so viele Dinge, die man nicht gekannt, nie vorher erlebt hat! Da ich sehr gern reise, fallen mir sofort jede Menge Länder ein, in denen es zu Ereignissen und Begegnungen kam, die in der einen oder anderen Weise prägend für mich waren. Lange habe ich überlegt, welches Erlebnis ich für meine erste Reisegeschichte auswählen soll: Griechenland? Island? Spanien? Israel? Viele Möglichkeiten…
Doch nicht immer muss man weit in die Ferne schweifen, um Momente zu erleben, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ein solcher Moment war für mich der Besuch der Vorderkaser-Klamm im Salzburger Saalachtal. Etwa zweieinhalb Stunden fährt man von mir daheim dorthin – eher ein Ausflug als eine Reise also. Und doch ein Besuch in einer anderen Welt! Ich muss dazusagen: Ich liebe Klammen und Schluchten. Vor allem solche, durch die ein Fluss fließt. Die engen Wege, die teils verwinkelten Stege, die besonderen Felsformationen – all das hat mir schon immer gefallen, weit mehr eigentlich, als hohe Gipfel zu erklimmen und den Blick über majestätische Panoramen schweifen zu lassen. In eine Klamm hinabzusteigen, hat für mich etwas Ursprünglicheres, Urtümlicheres. Ein bisschen wie eine Reise in den Bauch der Erde.
Die Natur gibt Antwort auf viele Fragen des Lebens
Doch zurück zur Vorderkaser-Klamm. Es ist nur eine kleine Wanderung, aber eine, die sich aus meiner Sicht mit kaum einer anderen vergleichen lässt. Der „Auftakt“ ist vergleichsweise unspektakulär: Durch eine schöne Flusslandschaft führt der Weg näher zum Berg; durch dicht bewaldetes Gebiet geht es in Serpentinen immer höher hinauf, und wer genau hinschaut, kann zwischen Gras und Blättern manch zauberhafte botanische Seltenheit entdecken – ein Lehrpfad macht auf die Besonderheiten aufmerksam. Ist der kurze Anstieg bewältigt, geht es in die Klamm hinein.
Wir haben den Ort 2020, kurz nach dem ersten Corona-Lockdown besucht. Vielleicht auch deswegen war außer uns nur eine Familie in der Klamm unterwegs. Eine Einbahn-Regelung sorgte zudem dafür, dass wir keinen weiteren Menschen begegneten. Ich weiß nicht, wie oft es möglich ist, den Ort in solcher Einsamkeit zu erleben. Doch ich glaube, nur so erschließt sich seine Außergewöhnlichkeit in ihrem ganzen Umfang.
Eine steile Holztreppe führt durch einen engen Durchlass – die wuchtigen, meterhoch aufragenden Felswände zur Rechten und Linken sind zum Greifen nah. Ob man den „Stairway to heaven“ oder doch eher das Tor zur Hölle gefunden hat – an dieser Stelle des Weges ist das unmöglich zu ergründen.
Es ist ein wenig beklemmend, sich in den Spalt hineinzuwagen – die Geräusche des Waldes verstummen, das Tosen des Wassers, das direkt unter den Füßen dahinbraust, übertönt alles andere, vor allem dann, wenn es, wie bei unserem Besuch, zuvor mehrere Tage stark geregnet hat. Richtet man den Blick nach oben, bleibt nur ein dünner Lichtstreifen, der die kantige Dunkelheit der Felswände durchbricht. So genau mag man auch gar nicht hinschauen, denn zwischen den Felswänden haben sich massive Steinbrocken bei ihrem Sturz Richtung Erde verfangen – hunderte Kilos, die über den Köpfen schweben. Bis zum Boden verliert das Licht seine Kraft, dämmriges Grün umringt den Wanderer. Und plötzlich sind sie da, diese Fragen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Fragen, auf die es keine Antwort gibt.
Oder doch? Denn die Schlucht selbst, sie gibt eine Antwort: Egal wie steil, eng, rutschig, beängstigend der Weg auch sein mag – am Ende führt er hinaus, ins Licht.