Hallo? Sind Sie noch wach? Ja, lesen macht müde. Gerade jetzt im Winter, wenn es so lange dunkel ist. Ohne genügend natürliches Tageslicht kann sich unser „Schlafhormon“ Melatonin quietschfidel ausbreiten und schwungvoll den Kampf mit uns aufnehmen, während wir uns die Augen reiben und die Glieder strecken. Hilft nichts. Die Müdigkeit bleibt. Wir sind wintermüde.
Augen auf! Bitte noch nicht einschlafen! Der Winter ist die ideale Jahreszeit, sich über Finsternis Gedanken zu machen. Wieso eigentlich hat Dunkelheit einen gar so schlechten Ruf? Als unheimlich oder gar als böse schimpfen wir sie. Doch sollten wir nicht dankbar sein, wenn sie uns jede Nacht sanft in das Reich der Träume gleiten lässt? Schätzen sollten wir sie auch als den Kontrast, der die Freude am Licht überhaupt erst möglich macht: „Damit das Licht so hell scheint, muss die Dunkelheit vorhanden sein“, stellte der englische Philosoph Francis Bacon (1561−1626) fest. Erst die Dunkelheit ermöglicht wahre Lichtblicke.
Nicht zuletzt schenkt uns die Dunkelheit Urlaub: „Augenurlaub“ nämlich, wie Sie auf Seite 21 dieser Ausgabe lesen können. Ein schönes Wort. Gemeint ist eine Art des Urlaubs, die wir brauchen, weil wir geradezu „Licht-narrisch“ sind und durch zu viel künstliches Licht unsere Augen überreizen. Wahre „Leucht-Orgien“ feiern wir und wirbeln dadurch den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus derart durcheinander, dass nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch wir selber darunter leiden.
„Lichtverschmutzung“ nennen wir dieses Phänomen. Dieses aber ist ein furchtbar hässliches Wort, das eigentlich nur ein wintermüder Beamter erfunden haben kann. Und es ist auch sachlich falsch: es ist ja schließlich die natürliche Dunkelheit, die durch künstliches Licht überflutet und „verschmutzt“ wird – die natürliche Dunkelheit, die erst die Sterne am Nachthimmel zum Leuchten bringt. Das Licht aber bleibt sauber und schön.
Wie schön Licht im Kontrast zur Dunkelheit sein kann, daran können wir uns rund um den Feiertag „Maria Lichtmess“ am 2. Februar erinnern, wenn wir Jesu gedenken und ihm zuliebe Kerzen weihen (siehe Seiten 13 + 20 zu „Darstellung des Herrn“). Nicht unheimlich, eher geheimnisvoll wirkt das Kerzenlicht gerade jetzt, bevor die Tage wieder spürbar länger werden.
An dieser Stelle traue ich mich auch zu behaupten, dass Jesus nicht wie eine große Leucht-Reklame zurück in unsere Welt kommen wird; als künstliche Beleuchtung, vor der wir wie die Insekten herumschwirren, bis wir völlig überreizt und übermüdet zu Boden fallen. Eher ist anzunehmen, dass sich das „Licht der Welt“ (vgl. Joh 8,12) als sanfter Schein in tiefer Dunkelheit nähert, damit wir uns langsam daran gewöhnen und dann umso klarer sehen.
Sind Sie immer noch wach? Fein. Dann werfen Sie doch noch kurz einen Blick auf eine meiner Lieblingsstellen in der Bibel: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. (…) In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. (…) Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, heißt es im Johannes-Prolog sehr poetisch. Dann aber folgt schon das erste große „Aber“: „Er war in der Welt (…), aber die Welt erkannte ihn nicht.“
Das sollten wir künftig besser vermeiden. Also Licht aus! Licht nämlich ist immer da, auch wenn wir es nicht wahrnehmen (können). Schicken Sie ihre Augen auf Urlaub, schärfen Sie Ihre Sinne und träumen Sie was Schönes …
Michael Glaß
Readkteur